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SCHEDL Energie ins Land gelockt

aus DER SPIEGEL 31/1965

Der Obergefreite Otto Schedl, Hilfsschreiber einer Flak-Einheit bei

Köln, schüttete seinen Batterie-Offizieren kurz vor Kriegsende Schlafpulver in den Kaffee. Er wollte sie daran hindern; auf die Fliegenden Festungen der Amerikaner zu schießen, und dadurch wenigstens die Dörfer rund um die Domstadt vor der Zerstörung bewahren. Das Schlafpulver wirkte, die Bomben fielen nicht.

Auf die gleiche listige Art, in der er dem Schieß-Krieg seiner Flak-Einheit ein Ende machte, obsiegte der heutige Wirtschafts- und Verkehrsminister Bayerns, Dr. phil. Otto Schedl, 52, in Energie-Gefechten mit der Ruhrkohle und den internationalen Ölkonzernen. Sein Ziel ist heute: Das Land der Bierbrauer und Herbergsväter in ein Industriegebiet erster Ordnung zu verwandeln.

Schedl spielte einen Konzern gegen die anderen aus und verleitete dadurch alle zu einem Wettlauf nach Bayern, wo seither die Energiepreise sinken. Selbstbewußt sagt er: »Ich habe sie ohne einen Pfennig Staatszuschuß geholt, allein durch Drängen, Fordern und geschicktes Taktieren.«

Seine CSU-Brüder sind stolz auf den Taktierer, für seine CDU-Vettern in Nordrhein-Westfalen allerdings ist Schedl ein Ärgernis und im Bundestagswahlkampf sogar eine Gefahr.

Der Ruhrbergbau klagt, daß die deutsche Kohle in Schedls fremdländischem Öl ertrinke. Tatsächlich ist der süddeutsche Markt für die Ruhrkohle so gut wie verloren. Die Ölflut schwemmte 200 000 Kumpel von ihren Arbeitsplätzen fort, und im Revier kursiert eine Stilllegungs-Liste mit den Namen von 20 Zechen.

Die Ruhr rechnet Schedls Anteil daran so: Zusammen besitzen vier der von ihm ins Land gelockten Ölraffinerien der Esso, Shell, Eni und Gelsenberg/Mobil Oil eine Jahreskapazität von derzeit 10,2 Millionen Tonnen Öl. Sie verdrängen damit rund 16 Millionen Tonnen Steinkohle.

Etwa die gleiche Menge, nämlich 15 Millionen Tonnen Kohle und Koks, liegen an der Ruhr unverkäuflich auf Halde. Kohle ist so wenig gefragt, daß die Kumpel wenige Wochen vor der Wahl unbezahlten Urlaub nehmen müssen.

Gepeinigt von dem Gedanken an die Stimmzettel der zu Feierschichten verurteilten Bergleute, lud Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Dr. Franz Meyers seinen

bayrischen Kollegen Alfons Goppel und Schedl zu einem Arbeitsbesuch nach Düsseldorf ein. Sie parlierten über eine »gemeinsame Energiepolitik«, aber heraus kam nicht viel: Wenn Ruhrkohlebilliger werden sollte, so versprach Goppel, wolle Bayern erwägen, mehr davon zu kaufen.

Sein Wirtschaftsminister wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, an der Misere der Ruhrkohle schuld zu sein. Schedl: »Ich lasse mich nicht zum Buhmann machen.« Dennoch ist er an der Ruhr über und unter Tage als »Ruhr -

Reizker« (nach einer bitter schmeckenden Pilzart) verschrien.

Der Reizker ist 1,73 Meter groß, wiegt 85 Kilo, hat einen schwarzen Lockenkopf und einen so martialischen Schnurrbart, daß ihm Halbwüchsige gelegentlich »Dschingis-Khan!« nachrufen. Er stammt indes aus Sinzing bei Regensburg und ist der Sohn eines Mühlen-Hilfsarbeiters. Mutter Schedl trug am Waschbottich zum Unterhalt der Familie bei.

Zur Oberschule reichte es für den Sohn nur, weil er sich durch gute Leistungen - Durchschnittsnote 1,5 eine Freistelle verdiente. Studium (Philosophie, Psychologie, Literatur - und Kunstgeschichte, Volkswirtschaft in Regensburg, München und Würzburg) und Promotion finanzierte der junge Schedl als Reporter des »Regensburger Anzeigers«. Sein Zeilenhonorar: sieben Pfennig.

Das Waffenhandwerk lernte der Doktor der Philosophie bei den Panzerjägern in Straubing. Ein ziviles Zwischenspiel als Schriftleiter der »Karawanken -Post«, einer in Klagenfurt erscheinenden Zeitung für Slowenen, war nur kurz. Aus dem Schriftleiter wurde der Hilfsschreiber, der 1945 in amerikanische Gefangenschaft geriet.

Schon im Sommer des Kapitulationsjahres konnte der entlassene Schlafpulver-Kämpfer der »Partei der christlich sozialen Erneuerung« beitreten, einer Vorläuferin der CSU. Von deren damaligem Landesvorsitzenden, »Ochsensepp« Josef Müller, protegiert, avancierte Schedl binnen zweier Jahre zum Generalsekretär der CSU und Einpeitscher ihrer Fraktion im Münchner Landtag.

Wegen »interner Zwistigkeiten« (Schedl) retirierte er zwar 1948 als Landrat nach Neumarkt in der Oberpfalz, wurde aber 1957 in der damals neu gebildeten Koalitionsregierung von CSU, FDP und GB/BHE »Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr«.

Schedl hatte ein Konzept: »Ich nahm mir vor, Bayern für die Industrieansiedlung im größten Stil attraktiv zu machen. Dazu mußte als erstes die Energieknappheit beseitigt werden.«

In der Tat zahlten Bayerns Energieverbraucher von jeher höhere Kohlepreise, als im übrigen Deutschland gefordert wurden: um den Preis der weiten Fracht von der Ruhr teurer. Der Wirtschaftsminister versuchte deshalb zunächst, mit den anglo-amerikanischen Konzernen ins Ölgeschäft zu kommen. Sie wiesen ihn ab.

Schedl kollaborierte daraufhin mit dem Präsidenten Enrico Mattei vom italienischen Staatskonzern Eni Der römische Ölkönig versprach, in Ingolstadt eine Raffinerie zu bauen und sie mit eigenen Pipelines zu versorgen. Mattei starb, aber die Eni erfüllte seinen Willen. Die Ingolstädter Raffinerie wurde gebaut und kann vorerst zwei Millionen Tonnen Rohöl im Jahr verarbeiten.

Die Raffinerien der Eni-Nachläufer Esso, Shell und Gelsenberg/Mobil Oil arbeiten bereits mit voller Kapazität; weitere Raffinerien sind im Bau oder geplant: von BP in Vohburg, von Marathon am Inn-Dreieck und von Texaco/ Wintershall bei Forchheim.

Schon heute übersteigt die Produktion der bayrischen Ölküchen den Bedarf im Freistaat, aber das kümmert Schedl wenig: »Ich habe den Herren keine Empfehlung für die Werksgrößen gegeben.« Er hat erreicht, was er wollte: Heizöl ist in Bayern nicht teurer als im übrigen Bundesgebiet.

Zugleich zapfte Schedl mit dem Bau der nordbayrischen Ferngasleitung eine zweite wohlfeile Energiequelle an. Die Industrie um Hof bekommt Ferngas genau so billig, als stünde sie an der Ruhr.

Der Energie-Spender versteht sich selbst mehr als Struktur-Politiker. Um den Handel mit Italien zu forcieren, treibt Otto Schedl den Bau der Brenner-Autobahn voran. Dem intensiveren Handel mit Südosteuropa soll der Ausbau des Rhein-Main-Donau -Kanals dienen.

Als die Bundesbahn mit dem Plan herausrückte, auch in Bayern unrentable Nebenstrecken stillzulegen, konterte, Schedl sofort mit dem Plan, auf diesen Strecken dann eine »Bayrische Staatsbahn« fahren zu lassen. Er will, selbst um den Preis von Landeszuschüssen, nichts vom bayrischen Verkehrsnetz abschnippeln lassen.

Nach seinem Konzept sind um das pittoreske Dinkelsbühl in Mittelfranken und um Sankt Georgen nahe der Wagner-Stadt Bayreuth ganz neue Industriezentren entstanden. In München siedelten die MAN eine Lastkraftwagenproduktion an, in Regensburg Siemens eine Halbleiterfabrik und bei Gundremmingen die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke ein Atomkraftwerk.

Auf lange Sicht will Schedl auch den Bau von Chemiewerken neben den Raffinerien durchsetzen. Er prophezeit: »Die Ölchemie wird in den nächsten hundert Jahren die entscheidende Branche.«

Im Landtag fand Schedl für seine ehrgeizigen Projekte noch immer eine Mehrheit. Seine Hausmacht ist der CSU -Bezirk Oberpfalz, dem er vorsitzt.

Ministerpräsident Goppel verteidigt die Pläne seines Wirtschafts- und Verkehrsministers gegen Trachtenvereine und die Bayernpartei mit dem Argument, der weißblaue Staat dürfe »keine Art Indianerreservation« sein, und »vom Zimmervermieten und Schuhplatteln allein können wir nicht leben«.

Schedl selbst lebt von rund 6000 Mark Ministergehalt und etlichen Aufsichtsrat-Tantiemen mit Frau Maria, Sohn Otto Carl, 21 Jahre alt und Jurastudent, und Tochter Maria Kreszenz, einer 18jährigen Primanerin, in einer Villa in München-Bogenhausen.

Zu den bayrischen Liberalen zählend und in keinen Skandal verwickelt, könnte er längst Kultus- oder Finanzminister sein. Er lehnte ab, »obwohl beide Ämter in der öffentlichen Meinung Bayerns höher rangieren als das des Wirtschaftsministers«.

Noch mehr gilt allerdings das Amt des Ministerpräsidenten. Im Landtag meint man deshalb, daß der Schedl Otto nach den Batterieoffizieren und den Ruhrköhlern auch seinem Regierungschef etwas in den Kaffee tun will. Große Teile der CSU möchten den erfolgreichen Wirtschaftsminister im nächsten Jahr zum Nachfolger des glücklosen Alfons Goppel machen.

Wirtschaftsminister Schedl

Atom und Öl ...

... für Bierbrauer und Schuhplattler: Pipeline über die Alper

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