»Pardon«, das Satirikum, hat eine Umfrage veranstaltet bei zwölf Journalisten, 14 Politikern und sechs Professoren. Generalthema, ob denn Springer, überhaupt und für die Demokratie, gefährlich sei.
Beginnen wir bei ungefährlich.
Heute, so sagt Klaus Harpprecht, sei die Macht, die Springer »verwalte«, keine Gefahr; aber in unrechten Händen könnte sie gefährlich sein. Jens Feddersen ("Neue Ruhr Zeitung") beantwortet die Frage, ob er Springers publizistische Macht für gefährlich halte, einsilbig mit »Nein«.
Müller-Marein, der einen »Zeit«-Artikel über Springer mit »Der Meinungsmoloch« überschrieb, hält Springers Macht nur in Berlin für gefährlich. Hildegard Hamm-Brücher glaubt nicht an die Gefahr, »wenn sich die anderen Zeitungen anstrengen«.
Ulrich Lohmar, für die SPD im Bundestag, hält Springer zwar für »eine der unerfreulichsten Erscheinungen in der publizistischen Struktur unserer öffentlichen Meinung«, aber nicht »für eine ausgesprochene Gefahr«. Karl Moersch, FDP, will warten, bis der Beweis erbracht ist, »und der kann nicht erbracht werden«.
Nur Ewald Bucher, FDP, und Hans Matthöfer, SPD, nur Günter Gaus, Joachim Besser ("Kölner Stadt-Anzeiger") und Henri Nannen antworten ohne wenn und aber mit »Ja«. (Den Professoren wurde diese Frage nicht gestellt.) Am kuriosesten äußerte sich der langjährige Rundfunk-Journalist Max Schulze-Vorberg, jetzt für die CSU im Bundestag: Die Kommissionen der Bundesregierung prüften diese Fragen »schon seit Jahren« mit Sorgfalt; »das Ergebnis ist mir im Augenblick nicht bekannt«.
Die Berufspolitiker wurden gefragt, ob ein Bundestagsabgeordneter es sich leisten könne, gegen die Meinung der Springer-Zeitungen zu opponieren. Keiner antwortete: Die Springer-Zeitungen haben gar keine einheitliche Meinung. Hildegard Hamm-Brücher, neben Rubin die einzige Nicht-Bundestagsabgeordnete der 14 Politiker, meinte: »Wenn der Abgeordnete von seinem Mandat lebt, dann kann er es sich vielleicht nicht leisten« (gleichwohl hält sie Springer für keine Gefahr).
Franz Xaver Unertl, der Schelm, sagt: »Es kommt immer ganz darauf an, in welchem Gebiet er sitzt.« Fritz Sänger, SPD: »O ja, ich denke schon. Ich würde es gerne mal tun."(!)
Die anderen antworten ähnlich kraftbewußt, nur Hans Matthöfer, SPD, meint: »Der einzelne Abgeordnete kann dies« -- Springer opponieren -- »vielleicht eher als eine Partei« -- eine trostlos richtige Bemerkung.
Was unternehmen? Eine höchst unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe bezeugt einen wahrhaft Erhardschen Glauben an das Gute im Menschen. Als Mittel gegen Pressekonzentration und Meinungs-Industrialisierung wurden genannt: Die anderen Zeitungen sollen sich anstrengen (Hamm-Brücher); man solle Zeitungen wie »FAZ« und »Süddeutsche« zum Gegengewicht machen (Müller-Marein); man solle Springer kräftig opponieren, wenn man anderer Meinung ist (Harpprecht); die Käufer sollen Springers Druck-Erzeugnisse und die darin inserierten Güter verschmähen (Mitscherlich).
Springer soll seine eigenen politischen Auffassungen am besten gar nicht und vor allem nicht gegen die Auffassungen seiner Redaktionen durchsetzen, so Fritz Sänger; als ob man nicht Redakteure einstellen könnte, die des Verlegers Grundhaltung teilen, und als ob diese Grundhaltung nicht »mehr durch Osmose als durch Weisungen« (so Günter Gaus) weitergegeben würde!
Anders die Professoren. Ein monopolähnliches Übergewicht Springers hält Theodor Eschenburg in Berlin für gegeben, nicht aber in der Bundesrepublik. Helmut Arndt, der Spezialist für Konzentrationsfragen, sieht die Gefahr einseitiger Beeinflussung nicht nur in Berlin. Die Pressefreiheit sei »erheblich gefährdet, wenn nicht bereits teilweise aufgehoben«. Alle sechs (Ossip K. Flechtheim, Ulrich Klug, Dieter Pohmer, Helmut Arndt, Tobias Brocher, Theodor Eschenburg) befürworten ein Anti-Konzentrations-Gesetz.
Von den befragten zwölf Journalisten empfiehlt nur einer, Joachim Besser, gegen Springers Einflüsse ein Anti-Trust-Gesetz zu beschließen. Von den befragten 14 Politikern ebenfalls nur einer eindeutig, Wolfgang Stammberger. Güde, CDU, Matthöfer, SPD, und Hamm-Brücher erwägen immerhin gesetzgeberische Maßnahmen. Lohmar will Maßnahmen, aber kein Gesetz. Matthöfer erwägt aber auch »die Errichtung öffentlicher Institutionen, die etwa dem Fernsehen gleichen, die also nicht Privateigentum sind«.
Es scheint, als stünden die befragten Professoren dem Problem der Konzentration am unbefangensten gegenüber. Die ganz überwiegende Mehrheit der Politiker und Journalisten scheut sich, ein Anti-Konzentrations-Gesetz, geschweige ein De-Konzentrations-Gesetz zu erwägen.
Bedenken, Springer zu verprellen, schlagen wohl nicht stärker zu Buch als Bedenken, die ungehemmte Entfaltung des Privateigentums anzutasten. Dem deutschen Rechtsdenken widerstrebt es auf das äußerste, Belange der Allgemeinheit gegen das private Erwerbsstreben geltend zu machen. Überdies wittert die CDU/CSU in Springer einen au fond doch noch Verbündeten. Stehen Belange der Allgemeinheit im Fall Springer auf dem Spiel? Das bestreiten von den 32 Befragten neun rundweg (Müller-Hermann, Gradl, Unertl, Schulze-Vorberg, Kurt Wessel, Harpprecht, Feddersen, Herchenröder vom »Handelsblatt«, Walden). Drei weitere erstrecken ihre Befürchtungen ausdrücklich nur auf West-Berlin.
Ewald Bucher hält für ausgemacht, daß die Zeitungen des Springer-Konzerns die Bundesregierung und den Bundestag entscheidend beeinflussen können. Ulrich Lohmar meint, die Bundestagsabgeordneten hätten sich bislang mehr von der Quantität als von der Qualität der Druck-Erzeugnisse beeinflussen lassen -- keine schmeichelhafte Beobachtung.
Von denen, die gesetzgeberische Maßnahmen fordern, sind der Ökonom Dieter Pohmer und Wolfgang Stammberger ausdrücklich gegen eine Lex Springer. Ebenso lassen Eschenburg und Pohmer anklingen, daß der Inhalt der Zeitungen kein Kriterium sein darf. (Pohmer daß das Grundgesetz auch Erscheinungsformen wie 'Bild' deckt«.)
Eschenburg will eine weitere Ausdehnung des größten deutschen Konzerns verhindern und darüber hinaus die jetzt bestehende Expansion (?) durch eine De-Konzentration einschränken.
Weder Springers Meinungen und Methoden noch seinem anstößigsten Blatt (Hamm-Brücher: »Nicht mehr tolerabel") soll man durch eine Anti-Konzentrations-Gesetzgebung begegnen, darüber herrscht unter den Professoren Einigkeit. Nur unter dem Kriterium »objektive Machtzusammenballung« kann man dem Problem beikommen.
Freilich, es gibt diese Zusammenballung bisher nur im Springer-Konzern. Wie soll man ein Gesetz nennen, das zwar nach seiner offiziellen Begründung nicht gegen einen einzelnen gerichtet ist, das aber auf übersehbare Zeit nur einen einzelnen trifft?
Die Problematik jeglicher Zeitungsmacht wäre nicht so schlagend offenbar geworden, wenn es hier nicht einen Verleger gäbe, der
> von der Furcht vor Wettbewerbsverzerrung besessen scheint, obwohl die Besatzungsmacht als einzigem Deutschen ihm zweieinhalb Zeitschriften-Lizenzen und drei ausgewachsene Zeitungen überliefert hat;
> unter Berufung auf das Zeitungssterben neue Lizenzen und Konzessionen verlangt, obwohl er selbst der erfolgreichste Zeitungstöter ist;
> Politik zu machen sucht nicht durch Informierung, sondern durch Erregung von Primitiv-Emotionen. Zwar stimmt es, daß »Bild« der pluralistischen Gesellschaft ein Problem stellt, das von ihr nicht gelöst werden kann (und das sie deshalb auch gar nicht anvisieren muß). Aber natürlich werden andere Gesellschaften die pluralistische Gesellschaft dem so bewiesenen Unvermögen konfrontieren, erst recht in Deutschland.
Wenn richtig ist, daß die auf Druckzylindern verbreitete Aufreizung zur Gedankenlosigkeit nicht Springers Monopol ist, daß er sie vielmehr, nun allerdings immens, verstärkt hat, so ist doch auch wahr, daß Springers Zeitungen die Gedankenlosigkeit in sehr bestimmte Richtungen lenken. Hier läge die Problematik eines von den Zeitungsverlegern betriebenen Fernsehprogramms: Um die bisherigen beiden Programme auszupunkten, müßten die Zeitungsverleger sich der von Springer erprobten Verkaufspraktiken bedienen, die niemand annähernd so beherrscht wie Springer selbst.
Ein neues Gesetz wäre eines, das ohne Springer nicht oder noch nicht notwendig wäre, mag man ihm noch so beflissen einen anderen Namen suchen. Ein neues Gesetz würde allen Bundestagsabgeordneten sehr rasch die Gelegenheit bringen, »gegen die Meinungen der Springer-Zeitungen zu opponieren«, wie Fritz Sänger es sich wünscht; würde sehr bald erweisen. daß wohl dieser oder jener Abgeordnete, schwerlich aber eine Partei gegen Springer Front machen kann. Es ist ein Unterschied, ob man einige von Springers Ansichten belächelt -- dazu versteigen sich die Parteiführer -- oder ob man ihm einen Teil seines Kuchens nimmt.
Angesichts des, man darf wohl mittlerweile sagen, verhängnisvollen Einflusses, den Springer in West-Berlin und in zwei drei anderen Bundesländern ausübt, ist deutlich geworden, daß die objektive Grenze strikter gezogen werden muß. Kein einzelner Verleger soll »ein Drittel der deutschen Zeitungsproduktion« besitzen, wie Thilo Koch in der »Zeit« noch konzediert.
Objektive Maßstäbe, für alle künftigen Aspiranten gültig, bringen mit sich, daß Springer fühlbar beschnitten werden muß -- nicht gerade eine Ungerechtigkeit, wenn man seinen englischen Start bedenkt. Dafür müßte ihm eine Verkaufsfrist -- fünf Jahre? -- eingeräumt werden, Enteignung nur als Ultima ratio.
Die Höchstgrenze für verlegerische Macht müßte unbeschadet des »guten« oder »schlechten« Gebrauchs festgesetzt werden, den ein Verleger sich gestattet. Dies wäre eine vernünftige, mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Regelung: Kein Verlag und erst recht kein einzelner Verleger darf mehr als 20 Prozent der Gesamtauflage
> aller Tageszeitungen oder
> aller wöchentlich erscheinenden Zeitungen und Publikumszeitschriften verlegen (Springers Anteil bei den Tageszeitungen beträgt 26 Prozent, bei den einschlägigen Wochenpublikationen 29 Prozent, nach Stückzahl, nicht nach Vertriebserlös gerechnet).
Den politischen und gesellschaftlichen Belangen der Demokratie wäre so Genüge getan, und es wäre gleichzeitig der verlegerischen Initiative bei den vierzehntägig oder monatlich erscheinenden Publikationen, und auch bei allen Fachzeitschriften, jeder erdenkliche Spielraum gelassen.
Kein einzelner Verlag könnte gegenüber den Vertriebsfirmen und auf dem Anzeigengebiet eine marktbeherrschende Stellung gewinnen. Der Druck auf die Politiker wäre geringer. Für eine Telephondebatte müßten sie freilich nach wie vor aus den Ferien kommen, wenn Springer »Bild« und sie ihre Furcht vor »Bild« behielten.
Daß die Parteien nicht dies Gesetz und auch kein anderes, etwa bei 30 Prozent, beschließen wollen, ist offenkundig. Aber dann müssen sie sich sichtbar und immer wieder für inkompetent erklären, müssen ständig unter Beweis stellen, daß sie nicht frei sind, sich Handlungsfreiheit gegen einen einzelnen Mann zu schaffen -- auf Dauer ein mühseliges Geschäft. Man kann es ihnen mit Gründen sauer machen.
Wer dagegen »Enteignet Springer!« schreit, bewirkt außer dem Krawall nur das Gegenteil. Die »Enteignet Springer« -Plakette ist das abstruse Gegenstück zu Springers »Macht das Tor auf »-Miniatur.
In keiner kapitalistischen, in keiner pluralistischen Gesellschaft kann ein Konzern seinem Eigner in Bausch und Bogen weggenommen werden. Mag diese kapitalistische Gesellschaft krank, scheintot, scheinlebig oder sonstwie zum Untergang verurteilt sein: Wer Springer enteignen will, um eine Bresche für andere Enteignungen zu schlagen, wird die Eigentumsvergötzung nur festigen und Springer aus der Gefahrenzone herauslavieren. Dies den muntern Studenten mit ihren Sit-ins und Go-ins zur Erwägung.
Wohl haben die Berliner Studenten zur Bewußtmachung des Problems erklecklich beigetragen, aber bislang doch mehr beiläufig und als aktiv Leidende, als Verleumdete, als Verprügelte, als gehaßte Minderheit, nicht aber durch diskutable Ziele.
Wer Springer und die Politiker noch mehr zueinander treibt, was hätte denn der wohl erreicht? Im Sinne des SDS eine Menge. Aber die Ziele des SDS haben mehr endzeitlichen Charakter. Sie setzen den von außen bewirkten Zusammenbruch der Bonner Demokratie schon als gegeben voraus, der zwar möglich, aber doch nicht sicher ist und den wir anderen immer noch gern vermeiden möchten.
Zur Katastrophen-Politik gehört nun doch mehr Disziplin, mehr Atem, mehr Selbstkritik, als Dutschke und seine Leute uns bisher vorweisen konnten. Das wenigstens sollten sie in Betrachtung des Mauer-Springer von 1961 gelernt haben.