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GESAMTDEUTSCHE WAHLEN Entmutigend und schädlich

aus DER SPIEGEL 4/1952

Was Konrad Adenauer bei der Schuman - Plan - Ratifizierung geschafft hat und was er beim Pleven-Plan versuchen will, nämlich beide Gesetze gegen den Willen der SPD durch den Bundestag annehmen zu lassen, das soll beim Bonner Gesetzentwurf für eine gesamtdeutsche Wahlordnung vermieden werden.

Weil der erste Regierungsentwurf für ein gesamtdeutsches Wahlgesetz vom 4. November 1951 bei der Opposition auf heftige Ablehnung stieß (er wollte einer zukünftigen gesamtdeutschen Nationalversammlung vorschreiben, sie müsse eine föderalistische Verfassung annehmen und dürfe sich keine umfassenden Vollmachten geben), entschloß sich das Kabinett am Dienstag voriger Woche, seinen Wahlgesetzentwurf zu verändern und alle umstrittenen Punkte einfach auszuklammern.

Dem Beschluß des Kabinetts, die Vorlage zurückzuziehen, war eine Konferenz zwischen Jakob Kaiser und Herbert Wehner, dem sozialdemokratischen Vorsitzenden des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen, vorausgegangen. Ergebnis:

* die Regierung verzichtet auf die föderalistischen Auflagen an die Nationalversammlung und auf die Einsetzung eines Länderausschusses neben der Versammlung;

* die SPD verzichtet auf die buchstabengetreue Durchführung des Bundestagsbeschlusses vom 27. September 1951 über die Festlegung allumfassender Befugnisse für die Nationalversammlung als oberster Gewalt in Deutschland.

Diese Befugnisse der Versammlung werden nur noch durch eine allgemeine Formulierung angedeutet, etwa in der Form: »Es wird deshalb die Abhaltung freier, allgemeiner, gleicher, geheimer und gerechter Wahlen in ganz Deutschland zu einem verfassunggebenden Parlament gefordert, dem gleichzeitig die Aufgabe übertragen werden muß, bis zum Inkrafttreten einer einheitlichen Verfassung die Wahrnehmung der gesamtdeutschen Regierungsgewalt zu regeln.«

Das ist eine Generalklausel, die nach den Gegebenheiten der Lage ausgelegt werden kann, ausweitend oder einschränkend. Die Bundestagsfraktionen und die Bundesregierung geben bei der Verabschiedung der Wahlvorlage eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie sich verpflichten, die Rechte der Landesregierungen zu achten und bei der Verfassunggebung durch die Nationalversammlung für eine Beibehaltung der Länder einzutreten. In der Wahlvorlage selbst bleiben nur noch die Artikel mit wahltechnischen Bestimmungen und politischen Garantien, die für die Durchführung der Wahlen unerläßlich sind.

Die Revision der Wahlvorlage und ihre schnelle Verabschiedung sind bitter nötig, wenn der Sowjetzonen-Regierung in Pankow und der Volkskammer rechtzeitig eine hinreichende Antwort auf ihren »Entwurf eines Gesetzes für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung« gegeben werden soll. Um so mehr als bereits über drei Monate vergangen sind, seit ein Gesetzentwurf für eine Wahlordnung durch die Bundesregierung angekündigt wurde.

Herbert Wehner, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche Fragen, drückte die Sorgen in Bonn so

aus: »Die UNO-Untersuchungskommission ist zwar noch nicht konstituiert, und es ist ungewiß, wann das sein wird. Aber wenn sie jetzt käme und auftragsgemäß nach Unterlagen für ihre Prüfung fragte, könnten wir ihr nur Anklagen samt einer Ueberfülle belastenden Beweismaterials gegen die Sowjets und das SED-Regime geben und die Bundestagsbeschlüsse und Regierungsnoten dazu, die sie schon von Paris her kennt. Aber kein Wahlgesetz, während Pankow stolz auf ein angeblich demokratisches Gesetz nach dem Muster des Weimarer Wahlgesetzes hinweisen könnte.«

Dieses Sowjetzonen-Gesetz war die Beratungsgrundlage des Bundestagsausschusses für gesamtdeutsche Fragen am vergangenen Donnerstagvormittag im Bundeshaus. Staatssekretär Franz Thedieck vom Kaiser - Ministerium war auch gekommen und hatte sich zwei Ministerialreferenten zur Berichterstattung über die Pankow-Vorlage mitgebracht, einen aus seinem eigenen Ministerium, einen aus Robert Lehrs Innenministerium.

Das Kaiser-Ministerium brachte die allgemeinen politischen Bedenken zum Sowjetzonen-Gesetz:

* die Präambel des Entwurfs mache die Abhaltung freier Wahlen, wie gehabt, von »gesamtdeutschen Beratungen« abhängig;

* die Vorschrift der Präambel: »Die Frage der internationalen Kontrolle ist auf den gesamtdeutschen Beratungen zu besprechen«, wolle genau das

Gegenteil von dem, was Bundesregierung und Bundestag wünschen, die als erstes eine UNO-Kommission fordern;

* der in der Präambel in Paragraph 15 vorgesehene »Zentrale Wahlausschuß«, der von der »gesamtdeutschen Beratung« gebildet werden soll, habe unumschränkte Gewalt. Gegen seine Entscheidungen und Feststellungen gebe es keine Berufung.

Diese Argumentation wurde unterbaut durch den Referenten des Bundesinnenministeriums, der die rechtlichen Bedenken zum Sowjetzonen-Entwurf vorbrachte.

U. a.: Das sowjetzonale Wahlgesetz verstoße gegen das Grundgesetz und sei daher abzulehnen, weil sein Paragraph 2 ("Alle demokratischen Parteien, Organisationen und Vereinigungen haben die gleiche Freiheit für ihre Betätigung. Sie haben das Recht der Aufstellung von Kandidaten für die Nationalversammlung und die volle Freiheit der Wahlagitation") den Artikel 21 des Grundgesetzes*) gegenstandslos mache und so der Bundesregierung die Möglichkeit aus der Hand schlage, verfassungsfeindliche Parteien zu verbieten.

Dazu sagte Wehner: »Seit Jahren erklären wir, daß nur die absolute Freiheit

*) Artikel 21, Absatz 2: »Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Ueber die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.« der politischen Betätigung und Vereinigung eine Wahl möglich macht, und dann kommt dies als Begründung seitens des Innenministeriums gegen das ostzonale Wahlgesetz. Bezeichnender aber als diese Torheit ist die Grundeinstellung zu dem Problem: Man beweist nur immer, daß man nicht wählen kann, nicht aber, wie man wählen könnte. Dieser Mangel an Aktivität, diese Unlust zuzupacken, ist so entmutigend und so schädlich.«

Inzwischen sind auf Initiative des Berliner CDU - Abgeordneten Dr. Robert Tillmanns die Regierungsparteien aktiv geworden. Sie haben die Bundesregierung in einer »Großen Anfrage« vom 16. Januar um eine neue Regierungserklärung zur Wiedervereinigung vor dem Bundestag gebeten.

Diese »Große Anfrage« war mit Konrad Adenauer abgesprochen. Sie wurde am 17. Januar von Dr. Tillmanns im Ausschuß angekündigt, am 18. bereits gedruckt, verteilt, und noch am 18. abends ließ Bundestagspräsident Dr. Ehlers den Fraktionsbüros erklären, daß eine Beantwortung der Anfrage schon diese Woche vor dem Bundestag durch eine Regierungserklärung erfolgen könne. Noch nie war die Bundesregierung bereit, in so kurzer Zeit eine Interpellation von solcher Bedeutung zu beantworten, schon gar nicht in dieser Sache. Die »Große Anfrage« der Regierungsparteien lautet:

* »Betrifft Wiedervereinigung Deutschlands. Nach Pressemeldungen haben die Verhandlungen der Vereinten Nationen über den Antrag auf Einsetzung eines internationalen Untersuchungsausschusses zur Prüfung der Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen zu Ergebnissen geführt ... Wir fragen die Bundesregierung, ob sie bereit ist, dem Bundestag alsbald über diese Verhandlungen und ihre Ergebnisse zu berichten.«

Der Abschluß dieser Verhandlungen in Paris liegt über drei Wochen zurück. Die Bonner Delegierten haben in Pressekonferenzen über ihre Erfolge in Paris berichtet. Der Beschluß der 2. Politischen Kommission der UNO-Vollversammlung und

ihre Debatten sind bekannt und ebenfalls die Auslegung, die ihm der Bürgermeister von Berlin, Ernst Reuter, in langen Ausführungen vor der Presse gegeben hat. Auch die Stellungnahme der Bundesregierung liegt vor.

Als erster hat nun die freudig überraschte Anfrage, die auf Pressemeldungen fußt, der Dr. Heinrich von Brentano für die CDU/CSU unterzeichnet, der eigentlich schon wissen müßte, welchen Ausgang die Pariser Verhandlungen in dieser Sache genommen haben, falls es ihm nicht nur um eine Propagandaaktion gehen sollte.

Der Dr. von Brentano war nämlich selbst Mitglied der Delegation und erster deutscher Sprecher vor der UNO in dieser Sache.

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