»Er weiß, was sein Schicksal ist«
SPIEGEL: Das Bonner Justizministerium hat den Antrag gestellt, Wackernagel an die Bundesrepublik auszuliefern. Würde er ein Strafverfahren in Holland bevorzugen?
SPONG: Ja.
SPIEGEL: Könnte Wackernagel vor Gericht politische Motive geltend machen? Die molukkischen Geiseltäter, die sich gleichfalls als Polit-Täter betrachten, wurden als Kriminelle verurteilt.
SPONG: Trotzdem gelang es der Verteidigung in den Molukkerprozessen. die politische Überzeugung ihrer Mandanten darzustellen.
SPIEGEL: Welche Linie werden Sie bei der Verteidigung verfolgen?
SPONG: Die Prozeßkontrolle durchführen. Er soll einen Prozeß bekommen, der den Menschenrechten. festgelegt in der Konvention von Rom, entspricht.
SPIEGEL: Die Amsterdamer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Totschlagversuchs an Polizisten. Welche Höchststrafe steht darauf?
SPONG: Zwölf Jahre. Hat ein Häftling bei guter Führung zwei Drittel der Strafe verbüßt, kommt er auf freien Fuß.
SPIEGEL: Und wenn die Haager Justiz dem deutschen Auslieferungsantrag genügt? Wackernagel soll gesagt haben: »Ich lasse mich nicht an meine Mörder ausliefern.«
SPONG: Ich werde auf seinen Wunsch alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen, um das zu verhindern.
SPIEGEL: Könnte Wackernagel auch noch ausgeliefert werden, nachdem er hier verurteilt wurde?
SPONG: Im Prinzip hat der Staat jederzeit das Recht auszuliefern -- während der Ermittlungen, nach einem Strafprozeß, nach Verbüßung der Strafe. Wird hier der Strafprozeß wegen der in den Niederlanden begangenen Delikte geführt, dann liegt es auf der Hand, daß Wackernagel erst hier seine Strafe verbüßt und danach -- falls man den Antrag aufrechterhält -- ausgeliefert wird. Vielleicht weht dann in der Bundesrepublik ein milderer Wind hinsichtlich der RAF.
SPIEGEL: Wird Wackernagel als normaler Häftling behandelt?
SPONG: Eigentlich ja. Die Bewachung ist allerdings verschärft, man nimmt keinerlei Risiko in Kauf. Meine Besuche, bisher täglich, finden in einem Sprechzimmer statt, in das Wackernagels Bett von drei Bewachern, bewaffnet mit Karabinern, und einem Pfleger geschoben wird. Wir werden sowohl von außerhalb durch das Fenster wie von innen -- durch ein Fenster in der Tür -- beobachtet.
SPIEGEL: Empfinden Sie die Maßnahmen als unangenehm?
SPONG: Mein Mandant weniger -- er rechnete damit. Ich selbst ja -- ich betrachte das als ein Mißtrauensvotum gegenüber dem Anwalt. Ein anderes Zeichen für Mißtrauen ist die Leibesvisitation, der mein Mandant nach jedem meiner Besuche unterzogen wird: Man durchsucht seinen Mund -- hinter den Zähnen, unter der Zunge -, man überprüft die Gesäßfalte, er muß nach jedem Anwaltsbesuch den Pyjama wechseln. Eine bittere Erfahrung für mich.
SPIEGEL: Nicht ganz unbegreiflich nach den Vorfällen mit RAF-Anwälten in der Bundesrepublik.
SPONG: Wir sind hier nicht in der Bundesrepublik, wir haben es mit einer niederländischen Justiz und Advokatur zu tun. Soweit mir bekannt ist, hat -- jedenfalls im Haag -- noch kein Anwalt die Vertrauensbeziehung zur Justiz verletzt.
SPIEGEL: Wie wird Wackernagel sonst behandelt?
SPONG: Im Vergleich zu Knut Folkerts viel menschlicher. Er kann sich selber waschen, soweit das bei seinen Wunden möglich ist. Sein Zimmer ist nachts dunkel. Nur die Kontrollen, jede Stunde, reißen ihn aus dem Schlaf.
SPIEGEL: Und wie ist der Tagesablauf in der Krankenzelle?
SPONG: Wie im Krankenhaus. Früh Wecken, Waschen, Essen, Arztbesuch. weiter nichts. Er hat kein Radio, kann jedoch Bücher und Zeitschriften aus der Gefängnisbibliothek bekommen. Auf mein Ersuchen kann er auch deutsche Zeitungen, Zeitschriften und Bücher lesen, die ich ihm mitbringen kann.
SPIEGEL: Wackernagel hat Schußwunden an den Füßen, am Arm und einen Streifschuß am Kopf. Wie geht es ihm gesundheitlich?
SPONG: Die Genesung macht rasche Fortschritte. Zu dem Streifschuß am Kopf berichtet er, ein Polizist habe sich, nachdem er schon am Boden lag, mit beiden Füßen auf seine Oberarme gestellt. Dann habe er einen enormen Schlag ins Gesicht gespürt und meint, der Polizist habe neben seinen Kopf geschossen. Das Mündungsfeuer habe ihn geblendet, der Luftdruck den Schlag ausgelöst, er sei bewußtlos geworden, habe aus Nase und Ohren geblutet. Tatsächlich ist die Umgebung der Augen grün und blau und verschwollen.
SPIEGEL: Was sagt er über seine Verhaftung?
SPONG: Die Polizei habe zuerst geschossen, sagt er. Er ist überzeugt, daß bei der Verhaftung auch BKA-Leute mitgemacht hätten.
SPIEGEL: Die Amsterdamer Polizei hat uns versichert, BKA-Beamte hätten bei der Verhaftung lediglich als Berater mitgewirkt. Welchen Eindruck haben Sie von Wackernagel?
SPONG: Er wirkt überlegt und intelligent. Er stellt sich ungewöhnlich hart und humorvoll dar, zynisch gegen sich selbst. Er ist hart im Nehmen. Er weiß, was sein Schicksal ist, und beschreibt es als »ein allmähliches Sterben -- von dem Augenblick an, wo du ins Gefängnis kommst«. Und das akzeptiert er.