Erbarmen mit der Gattung Mensch Erst wenn der letzte Baum gerodet,
Dies Indianerwort an die Bleichgesichter haben die Greenpeacer zu ihrer Losung gemacht. Trotzdem brauchen sie große Bündel von dem ungenießbaren Zeug: Geld für Büros und Publicity, für Schiffe und Aktionen. Bei aller Courage könnte ihre Organisation keinen Tag lang funktionieren, wenn nicht mindestens ebensoviel Managergeschick und tiefgekühlte Berechnung mit im Spiel wären.
»Um effiziente multinationale Konzerne zu attackieren, müssen wir gleichfalls effizient und international operieren«, heißt es in einem Werbe-Faltblatt der britischen GP-Dependance. Und Effizienz heißt auch hier: mit möglichst wenig Menschen und Mitteln einen möglichst großen Effekt machen - nicht zuletzt beim Zusammentrommeln finanzieller Unterstützung.
Der Ex-Unternehmer McTaggart wollte zwar Freunde und Spender in Massen gewinnen, aber nur einen kleinen Kreis von aktiven Mitgliedern und professionellen »Umweltverteidigern« rekrutieren. Der Normalbürger kann sich deshalb nur als Förderer betätigen. Er muß dazu einen jährlichen Mindestbetrag einsenden und sollte tunlichst auch Greenpeace-T-Shirts und -Plaketten erwerben.
Den harten Kern indes bilden Frauen und Männer, die sich dem grünen Frieden ganz verschreiben wollen und mehr zu bieten haben als ein enthusiastisches Gemüt. Praktische Erfahrungen in Seefahrt und Ingenieurwesen haben Vorrang, chemisch-biologische Kenntnisse desgleichen. Auch die deutsche GP-Gruppe kam erst zustande, als mit der energischen Monika Griefahn und Harald Zindler zwei Hauptpersonen beieinander waren, die den Amsterdamer Greenpeacern schmeckten: Holland, so hatte der GP-Rat befunden, sollte die deutsche Gründung überwachen.
Vier Vollbeschäftigte wirken im »Haus der Seefahrt« am Hamburger Hafen S.123 für »Greenpeace (Deutschland) e. V.« und beziehen 1500 Mark netto pro Monat plus Kinderzulage. Zwei Dutzend freiwillige Helfer springen ihnen von Fall zu Fall bei. Die Zahl der Förderer ist auf über 7000 gestiegen: Schulmädchen, die Robbenbabys lieben, sind ebenso darunter wie »2001«-Verleger Lutz Reinecke, der für den Kauf des in Holland registrierten Schiffes »Sirius« 94 000 Mark gestiftet, oder Udo Lindenberg, der bisher 50 000 Mark zugeschossen hat.
Bei annähernd 400 000 Förderern weltweit schlagen sich insgesamt 130 Fulltime-Aktive für den globalen grünen Orden, der mit den basisdemokratischen Idealen der politischen Grünen nicht viel im Sinn hat. Über jede größere Aktion - zumal wenn die Dachorganisation in Washington dafür zusätzliche Mittel hergeben soll - entscheidet der internationale Sechserrat mit Chairman David McTaggart in erdumspannenden Telephonaten.
»Jedesmal geht es darum, wo wir mit unseren begrenzten Möglichkeiten am wirksamsten ansetzen können«, sagt in Amsterdam Hans Guijt, 30 Jahre alt und Mitglied des Rats, früher Steuermann auf großer Fahrt. »Wo sitzt das schwächste Glied in einer Entwicklung, gegen die wir opponieren? Bei der Atomindustrie zum Beispiel ist es das Entsorgungsproblem. Deshalb wollen wir erreichen, daß auch schwächer radioaktiver Atom-Müll nicht ins Meer geworfen wird. Erreichen wir das nicht, dann baut die Atomindustrie mit Sicherheit darauf, daß sie demnächst auch hochradioaktiven Abfall ins Meer kippen kann, weil sie ihn woanders nicht los wird.«
Daraus hat sich die bislang hartnäckigste Greeenpeace-Kampagne überhaupt entwickelt: Im fünften Jahr hintereinander sind die Umweltschützer in diesem Sommer dem britischen Motorschiff »Gem« (Edelstein) auf den Atlantik in das Tiefsee-Gebiet westlich der Biskaya gefolgt, wo »Gem« den nuklearen Kehricht fallenläßt, der sich in zwölf Monaten in Großbritannien angesammelt hat. Immer wieder sind Greenpeacer mit ihren Gummibooten unmittelbar neben der Bordwand der »Gem« hergefahren, um sie beim Dumpen zu behindern. Sie haben Photos und Filme gemacht und damit immer mehr Aufmerksamkeit erregt.
Die britische Atomenergiebehörde, in deren Auftrag der strahlende Edelstein fährt, beruft sich auf das »Londoner Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen«. Diese »Dumping Convention«, 1973 von sieben Atlantik- und Nordsee-Anrainerstaaten vereinbart, aber bewirkt das Gegenteil ihres erklärten Zwecks: Sie regelt die Nutzung des Meeres als Deponie für besonders unbekömmlichen Müll. Eben dies will Greenpeace der Öffentlichkeit klarmachen.
Hans Guijt und Harald Zindler haben lange gerechnet und sind überzeugt, daß die Fässer mit dem radioaktiven Abfall sämtlich platzen oder zerquetscht werden, wenn sie in dem Dumping-Gebiet in fast 3000 Meter Tiefe mit einer Geschwindigkeit von mindestens 50 km/h auf dem Meeresboden aufschlagen. Zindler: »Es sind simple Teerfässer, die mit unverstärkter Betonmasse ausgekleidet und damit gut 400 Kilo schwerer gemacht sind. Keiner dieser spröden Betonmäntel bleibt heil.«
Um das auch demonstrieren zu können, haben die Greenpeacer im Juli S.124 letzten Jahres mit verwegenen Manövern versucht, eines der über Bord rollenden Fässer der »Gem« in einem Schlauchboot aufzufangen. Vergebens. Doch wie grimmig es dabei zuging, zeigt die Meldung, die »indler unmittelbar nach der Aktion von der »Sirius« aus durchgab:« » Zunächst haben die Leute auf der »Gem« versucht, uns mit » » Wasserstrahlen aus Hochdruckschläuchen außer Gefecht zu » » setzen. Als dies nicht gelang, hat man mehrfach versucht, » » unser Schlauchboot mit Haken und Leinen zu fangen und » » umzuwerfen. Dies fand auf offener See bei 12 bis 13 Knoten » (22 bis 24 km/h) Fahrt statt.
» Als die Leute auf der »Gem« erkannten, daß wir uns nicht » » abschütteln ließen, warfen sie einen 15 kg schweren Ladehaken » » mitten unter uns in das Schlepp-Boot. Dann warfen sie zwei » » Müllfässer nach uns. Das erste Faß verfehlte das Boot knapp, » » das zweite schlug nur wenige Zentimeter von mir entfernt am » Bootsheck auf und zerstörte den Motor.
» Wir sind erschüttert und erschöpft. Wegen der aktuten » » Lebensgefahr haben wir beschlossen, die Aktion abzubrechen. »
Was konnten sie nun noch tun? Noch in diesem Juli herrschte darüber Ratlosigkeit bei den GP-Teams in London und Amsterdam. Zudem hatte ein britisches Gericht gegen Greenpeacer eine einstweilige Verfügung verhängt, gegen »Gem« nichts mehr zu unternehmen. Widrigenfalls würden 20 000 Pfund Strafe pro Tag fällig. Die Nichtbriten in Amsterdam übernahmen daraufhin die Leitung der diesjährigen Aktion. Daß sie gelang, dafür sorgte vor allem die britische Atombehörde.
Sie ließ nämlich an der Bordwand der »Gem« Stahlkäfige montieren, durch welche die Müllfässer nun von den Abwurframpen ins Wasser plumpsen sollten. Die Greenpeacer sollten das Dumpen nicht mehr behindern können dadurch, daß sie ihre Boote unter die Abwurframpen lenken. Auch einen neuen Versuch, ein Faß zu fangen, glaubten die »Gem«-Betreiber so zu vereiteln.
Doch wieder folgte »Sirius« der »Gem« zum Dumping-Gebiet über der Atlantik-Rinne, 700 Kilometer nordwestlich von Spanien. Wieder brachte die »Sirius«-Crew ihre Boote zu Wasser. Wieder gingen die Greenpeacer bei der »Gem« längsseits und - benutzten die Käfige als Klettergerüst. Im Nu enterten sechs von ihnen daran auf, erreichten die Abwurf-Plattformen und ketteten sich dort an. Dreimal 24 Stunden lang blockierten die Angeketteten die Abwurframpen für die Müllfässer. Die sechs Greenpeacer - unter ihnen die Amerikanerin Maggie McCaw und der Deutsche Bernd von Borstel - harrten trotz Notdurft und miserablen Wetters aus, versorgt von Booten, die zwischen »Sirius« und »Gem« pendelten.
Die Crew der »Gem« durchtrennte weder die Ketten, noch rührte sie die Besetzer an, obwohl ihr Kapitän dunkel von »Piraterie« sprach. (Woraufhin Maggie McCaw ihm geduldig auseinandersetzte, daß Piraterie nur vorliege, wenn die Entermannschaft sich des Schiffs oder der Ladung zu bemächtigen versuche.) Statt dessen alarmierte die britische Atombehörde die für »Sirius« zuständige holländische Justiz.
Der Amsterdamer Richter Benjamin Asscher kam zu einer vorsichtigen Entscheidung: Die Greenpeacer dürfen das noch legale Müllversenken nicht völlig verhindern dadurch, daß sie das Dumping-Schiff entern und die Kippvorrichtung blockieren. Doch sie dürfen das Dumping mit ihren Booten behindern, um ihren Protest zu bekunden - was sie letzte Woche rund um die »Scheldeborg« denn auch ausgiebig taten.
Doch wo liegen insgesamt die Grenzen? Wie weit kann eine winzige und gewaltlose Gruppe eskalieren, um die Öffentlichkeit wachzurütteln und sich den Maschinerien der Mächtigen entgegenzustemmen? »Das Dilemma hinter dieser Frage«, so sieht es McTaggart, »vertieft sich« - vor allem in der Frage der nuklearen Überrüstung.
»Ein Stopp sämtlicher Atomversuche wäre der ehrlichste Schritt zur Rüstungsbegrenzung«, erklärt der Greenpeace-Chairman. »Es gibt kein klareres Signal des guten Willens. Deshalb unsere Kampagne für das totale Versuchsverbot.«
1980 sind Gespräche zwischen den USA, der Sowjet-Union und Großbritannien über ein solches Verbot von der Carter-Regierung suspendiert worden. Heute lehnt die Regierung Reagan weitere Verhandlungen strikt ab. Eugene Rostow, Washingtons rüstungsbegieriger Rüstungskontrolleur: »Unter den gegenwärtigen Umständen würde ein umfassendes Versuchsverbot weder die Bedrohung vermindern noch zur Stabilität des nuklearen Gleichgewichts beitragen.«
Dagegen der Greenpeace-Chairman: »Mit der Weigerung, über das Verbot auch nur zu reden, demonstrieren die Reaganauten, daß sie die Genfer Rüstungskontrollverhandlungen als pure Augenwischerei betrachten.« Tatsächlich hat sich die Testaktivität auf dem Versuchsgelände in Nevada um 50 Prozent verstärkt - auf mindestens 25 Explosionen pro Jahr. Zweck: Erprobung der Sprengköpfe für neue Raketen und Cruise Missiles; Entwicklung der Neutronenwaffe.
David McTaggart fühlt sich »tief bedrückt«, wenn er darüber nachdenkt. Wie kann man gegen soviel Übermacht und Täuschung mit einem Heißluftballon ankommen?
Zum Glück gibt es Erfolge wie das Walfang-Moratorium. Trotz aller Einschränkungen, trotz der Proteste der Waljäger in Japan und Norwegen hat das den Greenpeacern wieder Mut gemacht.
David McTaggart freilich meint, das Walfang-Moratorium, so schön auch immer, erinnere schmerzlich daran, wie weit ein Atom-Moratorium noch entfernt sei: »Das Walfang-Moratorium bedeutet, daß die Wale nicht ausgerottet werden. Ich wünschte, ich könnte das auch von den Menschen sagen.«
Trotzdem hält er sich »an die einzige Hoffnung, die uns bleibt. Denn wenn wir Menschen nun Tiere verschonen, die wir so lange gejagt und gemordet haben, dann haben wir irgendwann vielleicht auch mit uns selbst Erbarmen«.
S.122
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der
letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, daß man Geld
nicht essen kann.
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S.124
Zunächst haben die Leute auf der »Gem« versucht, uns mit
Wasserstrahlen aus Hochdruckschläuchen außer Gefecht zu setzen. Als
dies nicht gelang, hat man mehrfach versucht, unser Schlauchboot mit
Haken und Leinen zu fangen und umzuwerfen. Dies fand auf offener See
bei 12 bis 13 Knoten (22 bis 24 km/h) Fahrt statt.
Als die Leute auf der »Gem« erkannten, daß wir uns nicht abschütteln
ließen, warfen sie einen 15 kg schweren Ladehaken mitten unter uns
in das Schlepp-Boot. Dann warfen sie zwei Müllfässer nach uns. Das
erste Faß verfehlte das Boot knapp, das zweite schlug nur wenige
Zentimeter von mir entfernt am Bootsheck auf und zerstörte den
Motor.
Wir sind erschüttert und erschöpft. Wegen der aktuten Lebensgefahr
haben wir beschlossen, die Aktion abzubrechen.
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