UMWELTSCHUTZ Erdball eingeschlossen
Von einer großen Schweinerei« erfuhr Helmut Locher, Redakteur der »Düsseldorfer Nachrichten«, bei einem Sommerfest am Montag vorletzter Woche in Nievenheim bei Neuß. Ein Angehöriger der Nievenheimer Zinkhütte, einer Filiale der Vereinigten Zinkwerke (VZW) in Stolberg bei Aachen, erzählte ihm: »Der Bernhold ist ein Waisenknabe im Vergleich zu dem, was bei uns passiert ist.«
Der Hinweis auf den Reeder und Ex-Tanzweltmeister Jürgen Bernhold, der 1970 wegen Rhein-Verschmutzung zu 80 000 Mark Geldbuße verurteilt worden war (SPIEGEL 51/1970), signalisierte einen neuen Umwelt-Skandal. Diesmal ging es um 3360 Tonnen Kalkschlamm mit zehnprozentigem Arsen- und elfprozentigem Bleigehalt -- Gift für Boden und Trinkwasser.
Der Schlamm war nicht, wie vereinbart, in einem stillgelegten Salzbergwerk bei Peine (Niedersachsen), sondern von zwei privaten Fuhrunternehmern auf 19 Müllkippen deponiert worden -- so 500 Tonnen beim rheinischen Grevenbroich, 45 Tonnen in Remscheid und 40 Tonnen im Kölner Stadtteil Niehl.
Drei Tage lang versuchte Redakteur Locher, kommunale und staatliche Behörden mit der Kunde von der Verbreitung des schädlichen Zinkabfallproduktes aufzuscheuchen -- das Gewerbeaufsichtsamt in Mönchengladbach, die Polizei, das Arbeits- und Sozialministerium wie auch das Innenministerium in Düsseldorf.
Erst ein Anruf bei Innenminister Willi Weyer in Hagen löste eine amtliche Suche nach dem Giftschlamm aus -- und auch nach Kompetenzen und Verantwortung für die Kontrolle der Industriemüll-Ablagerung. Das Ergebnis:
Für Müllkippen sind in Nordrhein-Westfalen die örtlichen Ordnungsämter zuständig, für Grundwasser das Landwirtschaftsministerium, für Gewerbeaufsicht das Arbeits- und Sozialministerium. Um sichere Lagerung des Arsenschlamms auf dem Gelände der Zinkhütte hat sich zwar die Gewerbeaufsicht zu kümmern, nicht aber um Abfuhr und Abkippen.
Das ist typisch. Die rheinische Schlamm-Schlamperei hat ein bundesweites Dilemma in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung bloßgelegt: Kompetenz-Wirrwarr und Unübersichtlichkeit, kommunale Eigenbrötelei und föderalistisches Hegemoniebedürfnis auf allen Gebieten des Umweltschutzes zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Dieser Zersplitterung im administrativen Bereich entspricht ein Wust strafrechtlicher Bestimmungen und Bußgeldverordnungen. die, verstreut über Spezialgesetze, den Schutz der Umwelt gewährleisten sollen.
Außer Willy Brandt und drei Bonner Ministern stellen sich immerhin 49 Länderminister der »Herausforderung des Jahrzehnts« -- so Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der auch ein Umweltschutz-Symbol feilbietet: »Es zeigt in moderner, einfacher Form die Buchstaben U und W, die allgemein schon als Abkürzung für den Umweltschutz verwendet werden, und von ihnen eingeschlossen den Erdball.«
Sie alle wollen dafür sorgen, daß »der Mensch frei atmen, daß er Wasser trinken und sich mit sauberem Wasser waschen kann« (Genscher). Darum müht sich in Hessen, seit Dezember vergangenen Jahres, eigens ein »Minister für Landwirtschaft und Umwelt« und in Bayern ein »Staatsminister für Landesentwicklung und Umweltfragen«. In Berlin gibt es seit Frühjahr 1971 einen »Senator für Gesundheitswesen und Umweltschutz« und in Rheinland-Pfalz einen »Minister für Landwirtschaft, Weinbau und Umweltschutz«.
Doch nach wie vor machen sich vor allem die Innen- und Sozial-, die Landwirtschafts- und Kultusminister Rang und Geld beim Kampf gegen die Umwelt-Verschmutzung streitig. Zum Beispiel obliegen
* Abfallbeseitigung in Bonn dem Innenminister, in Berlin dem Finanzsenator, in Hamburg der Baubehörde, in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz den Ministern für Soziales und für Landwirtschaft;
* Reinhaltung des Wassers in Bonn dem Innen-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium, in Düsseldorf dem Landwirtschafts- und in Stuttgart dem Innenministerium;
* Lärmbekämpfung in Hessen den Ressorts Umwelt, Wirtschaft, Inneres und Soziales, in Niedersachsen dem Sozialminister, in Düsseldorf wieder drei Ministern.
Noch ist in Baden-Württemberg das Arbeitsministerium für die Messung der Luftverschmutzung zuständig, das Innenministerium aber für einen Smog-Alarmplan (wie ihn freilich nur die Stadt Mannheim erarbeitet hat).
Nach wie vor kümmert sich das Kultusministerium in Rheinland-Pfalz um die »kulturellen Werte der Landschaft«, nach wie vor bleiben das Wirtschaftsministerium für Luftverunreinigung durch Auto-Abgase und das Innenministerium für »eine Reihe von Überwachungsfunktionen« (CDU-Ministerpräsident Kohl) zuständig.
Niedersachsens Regierung hat zwar den ersten »Bericht über den Stand des Umweltschutzes und der Umweltpflege« vorgelegt, aber das Sozialministerium darf lediglich die Kompetenzfülle anderer Behörden koordinieren: Die Beseitigung von Autowracks etwa ist Sache des Kultusministeriums. Auto-Abgase erschnüffelt das Wirtschaftsministerium; Abfallbeseitigung, Gewässer, Waldschutz sowie »Schutz von Lebensmitteln tierischer Herkunft« ressortieren beim Landwirtschaftsministerium.
Dabei wird es wohl bleiben, denn auch die Regierung in Hannover hält »eine Zusammenfassung aller Aufgaben im Rahmen des Umweltschutzes in einem Ressort für unzweckmäßig, da die Belange des Umweltschutzes nur im Zusammenhang mit den übrigen fachbezogenen Aufgaben der betroffenen Verwaltungsorgane wahrgenommen werden können« -- vom Oberbergamt bis zum Landeskulturamt, vom Landesverwaltungsamt bis zu Landwirtschafts- und Wasserwirtschaftsämtern.
Zwischen Bundesland und Bundesland ist Umweltschutz ebenso schwierig wie zwischen einzelnen Gemeinden. Als die hessische SPD-Landtagsabgeordnete Ilse Busch bayerische Firmen für den »katastrophalen Zustand« des Mains -- mit anhaltendem Fischsterben -- verantwortlich machte, blieb es beim papiernen Protest. Als Hessens Ministerpräsident Albert Osswald brieflich bei seinem Amtskollegen Helmut Kohl in Mainz wegen einer bei Worms geplanten Shell-Raffinerie intervenierte, die hessische Luft verpesten könnte, blieben die Rheinland-Pfälzer, an der Shell-Gewerbesteuer interessiert, stumm.
Kaum mehr Erfolg verspricht die Fehde des linksrheinischen Landkreises Moers gegen das rechtsrheinische Duisburg, wo ein Chemiewerk des Veba-Konzerns (Projekt-Planziel für das Jahr 2000: viermal so groß wie Bayer Leverkusen) geplant ist. Und wenn -- wie Mitte Juli -- der Rhein über 44 Kilometer von der Chemie-Großgemeinde Mannheim-Ludwigshafen bis fast nach Wiesbaden rot wie Himbeersaft fließt und sich die Industrie-Giganten aus der Verantwortung reden, dann resignieren die Behörden.
Frankfurts Stadtobere, die den biologisch verödeten Main vor sich und den aus allen Windrichtungen verunreinigten Himmel über sich haben, wurden hei einer Visite in den Farbwerken Hoechst von Vorstandsmitglied Dr. Rolf Sammet belehrt: »In absehbarer Zeit wird es nicht möglich sein, die gelbe Fahne über Hoechst verschwinden zu lassen.«
Daß sich die Luft mit Abgasen sättigte und Flüsse erst braun und stinkig werden mußten, bevor Umweltschutz ein diskutables Problem wurde, erhellt das Versagen von Gesetzgeber und Verwaltung -- aber auch ein mangelndes Problembewußtsein der Strafverfolger.
Erst im >uni dieses Jahres richteten die Bayern das Amt eines Sonderreferenten für Umweltschutz bei der Staatsanwaltschaft ein. Oberstaatsanwalt Dr. Helmut Fey, 45. kümmert sich seitdem um den bajuwarischen Schmutz. Fey: »Die Zeit, da Anzeigen mit der Bemerkung »keine Straftat ersichtlich« einfach ad acta gelegt wurden, ist ein für allemal vorbei. Das können wir uns im Interesse unserer Gesundheit einfach nicht mehr länger leisten.«
Inzwischen hat auch Schleswig-Holstein beim Generalstaatsanwalt in Schleswig einen Referenten für Fragen des Umweltschutzes bestellt, und Niedersachsen will alle elf Staatsanwaltschaften mit Experten besetzen.
Um den niedersächsischen Anklägern die Arbeit zu erleichtern, häufig erst gar zu ermöglichen, hat Gerichtsassessor Dr. Joachim Schwarz vom Justizministerium in Hannover drei Wochen lang das gesamte geltende Recht nach Umweltschutz-Bestimmungen durchstöbert und einen 117 Seiten starken Katalog erarbeitet. Sanktionsandrohungen fand Schwarz allein für den Komplex »Natur- und Landschaftsschutz« in 54 Gesetzen und Verordnungen -- so in der »Verordnung zur Erhaltung der Wallhecken« aus dem Jahre 1935, so im »Fischereigesetz für das Herzogthum Braunschweig« aus dem Jahre 1879.
Mit der Broschüre, die auf 176 einzelne Rechtsvorschriften verweist, könnten die Niedersachsen, so Dr. Heinrich Kintzi vom Justizministerium. »einen schwunghaften Handel betreiben: Selbst Bundesjustizminister Jahn hat sich eine schicken lassen.
Jahn-Kollege Genscher wiederum hat Anfang dieses Jahres den »Entwurf eines Gesetzes über die Beseitigung von Abfallstoffen« vorgelegt, um den »Mangel der jetzigen Rechtslage« zu beheben Der Entwurf sieht Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren für den Fall vor, daß »Abfallstoffe, die Gifte -- enthalten«, nicht ordnungsgemäß abgelagert werden.
Bei der geltenden Rechtslage freilich müssen die Strafverfolger in Nordrhein-Westfalen, die den Arsen-Fall zu klären suchen, immer noch zahlreiche Einzelbestimmungen auf ihre Anwendbarkeit abklopfen -- unter anderem die Verordnung über das »Auslaufen von Mineralien und sonstigen gefährlichen Stoffen«, das Wald- und Forstschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen, das Naturschutzgesetz und das Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushaltes.
Am Freitag letzter Woche hatte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf noch nicht einmal die Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten beisammen, die für den Arsen-Fall in Frage kämen. Und vom Arsen-Schlamm waren etwa 200 Tonnen noch nicht aufgespürt.
* Rücktransport zur Nievenheimer Zinkhütte.