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STREIK Erfolg bei Wählern

aus DER SPIEGEL 27/1966

Plakate und Anzeigen verkündeten den Landtagswählern in Nordrhein -Westfalen seit Wochen »Meyers macht es«, und er machte tatsächlich was: Zwölf Stunden vor dem für Donnerstag vergangener Woche um sechs Uhr angesetzten Bergarbeiterstreik schlichtete Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Dr. Franz Meyers den Tarifstreit. Die Kosten des Verfahrens trägt der Steuerzahler.

Ihre größte Hoffnung hatte die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie von Anbeginn auf die heranrückenden Landtagswahlen am 10. Juli gesetzt (SPIEGEL 26/1966). Und in letzter Stunde, wenn auch nicht in voller Hohe, ging die Rechnung auf.

Als Franz Meyers mit Arbeitsminister Grundmann und dem Minister für Bundesangelegenheiten, Lemmer, am Montagvormittag vergangener Woche in Bonn um Hilfe bat, zählte einzig noch die Politik. Der CDU-Wahlkämpfer von der Ruhr zwiebelte den Parteichef im Palais Schaumburg mit der Drohung: »Nur wer den Streik ausräumt, hat bei den Wählern Erfolg.«

Meyers hatte auch bereits ausgerechnet, wieviel der CDU-Erfolg an Rhein und Ruhr kosten würde. Der Premier des Kohlenreviers schlug dem Kanzler vor: Pro Jahr sollten dem Bergbau 100 Millionen Mark aus der Bundeskasse und 50 Millionen Mark aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen bezahlt werden, um die höheren Löhne möglich zu machen.

Aber Erhard brauste auf: »Bei so was mache ich überhaupt nicht mit. Es ist doch ein tolles Stück, da werden mir vollendete Tatsachen präsentiert, und ich soll einfach zustimmen.«

Auch auf der anschließenden Sitzung des Fraktionsvorstandes der CDU/CSU im Bundeshaus blieb Erhard dabei, die Bundesregierung solle sich nicht in den Tarifstreit einmischen. Er unterstützte damit Bundeswirtschaftsminister Schmücker, der während der Energiedebatte des Bundestages am 16. März erklärt hatte, wenn schon Subventionen fließen sollten, dann müßten sie zur Drosselung der Kohleförderung eingesetzt werden.

Schmückers Plan: Der Bund solle die Umsatzsteuer für den Bergbau von vier auf ein Prozent senken, das heißt den Zechen rund 140 Millionen Mark belassen, wenn sie dafür bei voller Lohnzahlung auf die sogenannten Nachholschichten verzichten würden. Bislang müssen die Bergleute jährlich elf Schichten, die auf gesetzliche Feiertage fallen, nachholen. Fielen sie aus, so wüchsen die Halden um jährlich 5,5 Millionen Tonnen Kohle weniger.

Dem Unternehmensverband Ruhrbergbau jedoch lag an einer Subvention in bar und ohne einschneidende Bedingungen.

Da Ministerpräsident Meyers wußte, daß die Zechenherren keine andere Lösung akzeptieren würden, drang er am Montag zu später Stunde ein zweites Mal im Bonner Palais Schaumburg ein. Er gab zu bedenken, daß die Kohleherren den Streik sofort mit Aussperrungen auf den nicht bestreikten Zechen beantworten würden. Das wäre, so Meyers, »für die CDU sehr nachteilig«.

Erhard bezweifelte, daß die nicht betroffenen Zechen Arbeiter aussperren würden, gab aber schließlich doch nach Der späte Gast schied mit der Zusage. Bonn werde während der nächsten zwei Jahre je 90 Millionen Mark Subventionen für den Bergbau zahlen, wenn Nordrhein-Westfalen je weitere 45 Millionen Mark beisteure. Wert des Steuerzahler-Geschenks für den Ruhrbergbau und die CDU: 270 Millionen Mark.

Dienstag mittag präsentierte Meyers das Bonner Angebot den Tarifpartnern, die sich im Haus des Ministerpräsidenten am Mannesmannufer in Düsseldorf versammelt hatten.

Wahlkämpfer Meyers verpaßte den Wahl -Auftritt Konrad Adenauers vor der Europahalle, solange feilschte die schwarze Front

um Prozente. Im Ausflugslokal »Mutter Wehner« in Oer-Erkenschwick berieten abends auch Willy Brandt und der SPD -Spitzenkandidat bei der Landtagswahl, Heinz Kühn, mit dem Bergbau - Syndikus Theobald Keyser über das Bonner Angebot.

Auf der am Mittwochnachmittag erneut einberufenen Sitzung der Tarifpartner in Meyers Staatskanzlei schließlich brachten der nahende Streiktermin und die abendliche Tagesschau des Deutschen Fernsehens die streitenden Parteien in äußerste Zeitnot.

Zechen-Verbandschef Helmuth Burckhardt rechnete aus, die Staatshilfe lasse eine Lohnerhöhung um fünf Prozent zu. Der Chef der Bergarbeitergewerkschaft Walter Arendt, 41, aber maulte: »Dann gibt es Krach, denn die ÖTV hat gerade erst sechs Prozent bekommen.« Burckhardt darauf: »Krach hat es bei uns im Vorstand heute morgen auch schon gegeben.«

Um 18 Uhr erst konnte IG-Bergbau-Mitglied Franz Meyers - er ist seit einer Grubenfahrt in Kamp-Lintfort mit fünf Mark Monatsbeitrag bei Arendt organisiert - den Gewerkschaftschef überzeugen, daß mehr als fünf Prozent nicht herauszuholen seien. Der einstige Untertagemann Arendt tat kund: »So etwas Hartes wie Zechenunternehmer gibt es nicht noch mal« - und war einverstanden.

Das Ende kam rechtzeitig genug, um den Streik über das Fernsehen und durch Lautsprecherwagen in den Bergarbeitervierteln der Ruhr abzublasen.

Die Bergherren kostete das zweijährige Abkommen so gut wie nichts. Ihrer Sturheit fiel auch das einzig Sinnvolle an der Subvention, der sofortige Verzicht auf die elf Nachholschichten, zum Opfer: Da der Tarifvertrag, dem die Mitglieder der IG Bergbau und Energie noch zustimmen müssen, für dieses Jahr nur zwei Feiertagsschichten abschafft, werden statt 5,5 Millionen Tonnen nur eine Million Tonnen Kohle eingespart.

Streikschlichter Meyers (l.)*: »Meyers macht es«

* Mit dem Vorsitzenden der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Walter Arendt.

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