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VERWALTUNG Ergebnis: Gesund

aus DER SPIEGEL 15/1950

Bis März 1954 wird Dr. jur. Ludwig Bernheim allmonatlich sein Landratsgehalt in Heidelbergs Rohrbacher Str. 80 empfangen. So haben es die Räte des Sinsheimer Kreistages beschlossen, damit Dr. Bernheim nicht mehr ins Sinsheimer Landratsamt kommt.

Der heute 65jährige ehemalige Vortragende Rat aus dem Vor-33er-Reichsarbeitsministerium in Berlins Invalidenstraße war als achter Landrat seit 45 vom Kreistag des nordbadischen Landkreises Sinsheim (zwischen Heidelberg und Heilbronn) auf sechs Jahre gewählt worden.*) Fünf Monate hat er aber nur amtiert.

In Karlsruhes Innerer Verwaltung läuft schon lange der Spruch um: »Wer sich als Landrat nach Sinsheim meldet, hat Schläge verdient.« Sinsheim mit 86000 Einwohnern (davon 25000 Flüchtlinge), fand bis heute keine Ruhe.

Als Ostermontag 1945 US-Panzer durch Sinsheim an der Elsenz rollten, wußte Landrat Walter Schäfer, daß seine Amtstage gezählt waren. Obwohl Nicht-Pg., hatte er schließlich alle Staatsgewalt der Partei überlassen. Mit Mengen von Blanko-Formularen samt Landratssignum. Womit die Partei totalen Krieg spielte.

Capt. Basinsky, erster Sinsheimer Besatzerchef, befahl Vermessungsbeamten Roman Großmann, vom 10. 4. 45 morgens an Landrat zu sein. Zum Kreispolizeichef ernannte Capt. Basinsky Joseph Fehl im benachbarten Waibstadt, weil der »Lumpe-Sepp« von einigen Jahren Amerika-Aufenthalt mit englischen Sprachkenntnissen heimgekehrt war.

Nach Heirat mit einer Zigeunerin hatte Fehl in Obergimpern und Umgegend (Landkreis Sinsheim) Lumpen gesammelt. Dazu Differenzen mit jedermann. Die Betroffenen konnten jetzt hinter Mosbacher Stacheldraht über diese Differenzen nachdenken. Das wurde sogar dem CIC zuviel. Es schickte reihenweise die Fehl-Denunzierten zurück.

Führer eines Fehl'schen Sonderkommandos wurde in Waibstadt Ex-SS-Mann Maury. Kurz vorher hatte Maury im Nazi-KZ Mosbach noch Wache geschoben. In jenen Tagen der Ausgehbeschränkungen auf Ortsbereich kannte ihn in Waibstadt schon keiner mehr.

Maury sprach gut polnisch und stellte eine Gruppe harter Gesellen zusammen. Die räumten erstmal eine Fabrik aus als Unterkunft. Dann organisierten sie Autos.

Frau Rieser, Waibstadt, Amalienstraße, bekundet: »Der erste, den sie brachten, war der Schulrat Bremm aus Daisbach. Den hatten sie vorne auf den Kühler gebunden. Dann haben sie ihn in unseren Keller gesperrt. Am Abend haben sie ihn geschlagen, daß er zitternd und blutig herauskam. Halbnackt mußte er einen Spaten nehmen und drüben im Fabrikgarten ein Loch schaufeln. Da haben sie ihn verscharrt. Er war noch nicht richtig tot.«

Als Heidelbergs prominenter Widerständler Emil Henk in der Waibstädter Fabrik seines Vetters (damals Maurys Unterkunft) nach seinen ausgelagerten Beständen sehen wollte, landete er auch im Keller von Frau Rieser.

Alarmierte Amerikaner retteten Henk in letzter Minute. Bei Henk war die Maury-Bande an den Unrechten gekommen. Emil

*) Nordbaden datiert als staatsrechtliches Kuriosum noch aus dem Jahre 1945, als die Militärregierungen das alte Land Baden in zwei Teile zerschnitten. Der Nordteil mit der ehemaligen Landeshauptstadt Karlsruhe kam zu Württemberg. Nordbaden genießt aber zahlreiche Sonderrechte. Henk hatten die Amerikaner gleich nach dem Einmarsch aufgesucht, weil sie Henks Todesanzeige für den SPD-Nachwuchs-Politiker Carlo Mierendorff gelesen hatten.

Den SS-Maury urteilte das Militärgericht ab. Kreispolizeichef Fehl bezog auf 18 Monate sein eigenes Gefängnis. Wegen »mehrfacher Freiheitsberaubung«.

Damit endete Kreis Sinsheims Wildwest-Zeit. Die Akteure der nächsten Phase saßen bereits im Startloch An der Innenseite: Dr. Heinz Schröder aus Danzig, geb. 25. 4. 1912. Er erklomm den Amtsstuhl des stellvertretenden Landrats und Leiters des Amtes für Vermögenskontrolle.

»Ich bemerke dazu, daß ich der direkte zivile Vertreter des zuständigen Vermögens-Kontroll-Offiziers bin, im Auftrage der Militärregierung mein Amt ausübe und daher notfalls auch entsprechende Maßnahmen gegen Sie in Anwendung bringen kann ...« (Schröder).

Als er Ende Oktober 45 seinen Dienstwagen volltrunken in den Graben gefahren hatte, verstellte er dem vorüberkommenden Herrn Baum den Weg: »Richten Sie den Wagen auf, ich bin der stellvertretende Landrat. Anderenfalls kann ich sie verhaften lassen!« Auch VVN-Apotheker Stutzers Wagen fuhr Schröder zusammen. Ebenfalls betrunken.

Zu seinem Wohnungsdezernenten ernannte Volljurist Dr. Heinz Schröder einen gewissen Baltes. Der hatte in der Beschlagnahme von Wohnungen, Möbeln und Teppichen erhebliche Erfahrungen gesammelt, als er noch Nachkriegsbürgermeister von Heidelbergs Vorort Schlierbach war. Auch in der Neuverteilung dieser Güter war Baltes erfahren. Als ihm in Schlierbach der Boden zu heiß wurde, tauchte er 30 km entfernt in Sinsheim auf. Und bei Dr. Schröder unter.

Der Dritte im Bunde wurde der Münchener Ingenieur Eduard Linsenmayr. Zusammen fühlten sie sich stark genug, den Waibstädter Besitz des Dr. Gustav Adolf Link zu vereinnahmen: Fabrikgebäude, Landwirtschaft und Häuser.

Da Waibstadts politischer Ueberprüfungsausschuß dem Dr. Link aber Hitler-Gegnerschaft bescheinigt hatte, konnten Links Grundstücke nur beschlagnahmt werden, wenn er in Haft war. Indes, das war zu schaffen: am 6. 2. 46 wurde er fesgenommen und am 13. 2. 46 zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Grund Fragebogenfälschung: weil er eine RM monatliche Spende für Segelflieger nicht angegeben hatte.

Treuhänder wurde Eduard Linsenmayr. Mit 1460 RM Monatsgehalt und Linkes Waibstadter Wohnung. Frau Link mußte mit vier Kindern und 300 DM Monatsdiäten nach Heidelberg auswandern. Mit Baltes-Befehl: »Sie dürfen Heidelberg nicht verlassen, da Sie überwacht werden. Tun Sie, als wären Sie ein neugeborenes Kind.«

Linsenmayrs Wirken in Waibstadt störte Links langjährige Angestellte. Die wohnten in Links Häusern. Um sie sich vom Hals zu schaffen, erklärte Treuhänder Linsenmayr den Frauen: »Sie müssen jederzeit mit Ihrer Verhaftung durch die Militärregierung rechnen, wenn Sie nicht zugeben, zugunsten von Link Akten verbrannt zu haben. Besorgen Sie sich jetzt schon warme Decken und einen warmen Mantel.«

Endgültigen Befehl, mit ihren Kindern Waibstadt zu verlassen, erhielten Links Angestellten-Frauen nach Vorladung vor ihren Bürgermeister Spiegel. In Linsenmayrs »persönlichem Auftrag.«

Beschwerden der Frauen bei Wohnungs-Baltes in Sinsheim blieben erfolglos. Im Gegenteil, nächstes Schreiben von Linsenmayr: »Umgehende Mitteilung des Auszugstermins an mich. Zur Weitergabe an die Militärregierung.«

Jetzt griff Waibstadts örtliche Wohnungskommission ein und gab den ratlosen Frauen weitere Wohnerlaubnis. Da kam Baltes im Wagen aus Sinsheim: »Ich lasse den Bürgermeister und den Wohnungskommissar einsperren!«

Was hinter Baltes' hingeworfenem »Einsperren« an Leistungen steht, behält Justizwachtmeister Schellenberger in Sinsheims Gefängnis, Werderstraße, für sich. Er darf die Zahl der seit Kriegsende kurzfristig politisch Inhaftierten nicht nennen.

Gegen solche Möglichkeiten des Trios Schröder-Baltes-Linsenmayr waren Bürgermeister wie Landräte machtlos. Der erste ging am 10. Februar 46: Capt. Petersen, inzwischen Sinsheims Kreischef, warf dem Landrat Roman Großmann Nazi-Begünstigung vor. Er hatte seinen Schwiegersohn, Pg und SA-Standartenarzt, zum Kreis-Chirurgen ernannt.

Schreinermeister Gottlob Barth, der Nachfolger, kannte Sinsheimer Sitten: »Ich mach's nur vorübergehend«, sagte er von vornherein. Sechs Wochen saß das Heinrich-George-Double hinterm Landratstisch. Dann schickte Karlsruhes Nebenregierung den Lehrer Fritz Hauck. Capt. Petersen wollte von dem wissen, ob Karlsruhes Mil.-Gov. von seiner Einsetzung unterrichtet sei. Das war nicht der Fall. Worauf Hauck Befehl bekam, das Landratsamt erst am nächsten Tag wieder zu betreten. Nicht vor zwei Uhr mittags.

Den privaten Gang zu Schreiner-Landrat Gottlob Barth faßte Hauck nicht mehr als Amtsbesuch auf. Er wollte nur ein Zimmer für die Nacht. Aber Gottlob Barths Sekretärin hatte aufgeschnappt, daß der Nachtquartier Heischende Landrat Nr. 4 werden sollte.

»Wir haben wieder einen neuen«, rief sie auf dem Flur einer Freundin zu. Sinsheims Mil.-Gov. und Landratsamt liegen auf einem Flur. Sicherheitsoffizier Oberleutn. Cale hörte den Jubelruf mit, entsann sich des Befehls von Capt. Petersen und schritt zur Verhaftung. Als Hauck seine Papiere aus der Brusttasche nestelte, mißverstand er die Geste und hielt ihn mit der Pistole in Schach.

Ministerialrat Lafontaine und Polizeichef Engelbrecht aus Karlsruhe stießen am Abend auf taube Ohren, als sie ihren Hauck heimholen wollten. Immerhin kam Hauck nach vier Tagen wegen Wohlverhaltens frei. Vier Wochen waren vorgesehen: Wegen Mißachtung eines Befehls der Militärregierung. Hauck meidet seitdem Sinsheim Er wurde Schulrat in Karlsruhe.

Landrat Nr. 5 wurde Assessor Kurt von Kirchenheim. Ganz klar ist dem in Heidelberg-Schlierbach die Unklarheit in seinem Fragebogen noch nicht. Von Parteizugehörigkeit weiß er nichts. Aber Mil-Gov. wußte davon. Kirchenheim ging den Weg aller Sinsheimer Landräte.

Spruchkammervorsitzender Dr. Hermann Lindner, Heilbronn, versuchte als Landrat Nr. 6, Sinsheims Verwaltung zu stabilisieren. In Sinsheims Spruchkammer startete er den Karl Stolzenthaler als Oeffentlichen Kläger.

Nach mehreren klaren Fehlanträgen wurden die Sinsheimer jedoch böse. Und erkannten Stolzenthaler als früheren Angestellten des Kartoffelwirtschaftsverbandes Karlsruhe. Auch als förderndes Mitglied der SS. Eine Gefängnisstrafe wurde außerdem festgestellt. Einmal am Entdecken, kam auch noch Vortäuschung krimineller Delikte als politische Verfolgung zutage.

Stolzenthaler blieb nur der Weg in eine Heil- und Pflegeanstalt zurück Unter erprobter Inanspruchnahme des § 51.

An Enttäuschungen reicher als an Erfahrungen, sollten Sinsheims Wahlmänner am 2. Januar 47 abermals einen Landrat wählen: es war Nr. 7. Dr. Johann Gutermann, Heidelberg, wurde es.

In dessen Amtszeit fiel die Mitteilung des Document center in Berlin, daß der Dr. Heinz Schröder, Danzig, geb. 25. 4. 12, Mitglied der Partei und SS war. Der, stellvertretender Landrat und Leiter des Amtes für Vermögenskontrolle, erfuhr rechtzeitig genug, um ganz unamtlich türmen zu können. Nach kurzer Tarnzeit fand Dr. Schröder in Heidelberg einen neuen Job. Als Gehilfe des amerikanischen Armeepfarrers.

Bei der Landratswahl am 7. Februar 1948 wurde Dr. Gutermann nicht wiedergewählt. Mit 16:11 Stimmen entschied sich Sinsheims Kreistag für Dr. jur. Ludwig Bernheim. Er nannte sich selbst »Ludwig der Achte.«

Bernheim, 12 NS-Jahre ohne Amt, ist alter Verwaltungsjurist mit vielseitiger Erfahrung und schwungvoller als mit 65 erwartet. Als Nachkriegslandrat in Buchen im Odenwald hatte er frische Erfahrungen gesammelt. Anerkennungsschreiben auch.

Bernheim interpretierte zwei fortschrittliche Gedanken:

* Fremde in den rückschrittlichen Landkreis Sinsheim zu holen.

* den Kreis vor allem in der Industriemetropole Mannheim bekannt zu machen.

Dort sind die Banken, also auch die Kreditmöglichkeiten. Die braucht Sinsheim, um krisenfeste Industrien anzusiedeln und seine 3000 Erwerbslosen von der Straße zu bekommen. Bernheim fand keine Gelegenheit mehr, seine Pläne zu realisieren. Das kam so:

Bald nach Amtsantritt zerstritt sich Landrat Bernheim mit seinem Rechtsberater, dem damaligen Assessor Steinbrenner. Bernheim verlangte bei der Verwaltung des Landesbezirks Nordbaden in Karlsruhe Steinbrenners Abberufung.

Statt dessen kam am 30. Juli 48 der Leiter der Abteilung Inneres für Nordbaden, Ministerialrat Dr. Unser, in die Kreistagssitzung von Sinsheim und drehte den Spieß gegen Bernheim um.

In Unsers Auftrag rief Assessor Steinbrenner den Kreisrat für den 4. August zusammen. In diesem Acht-Männer-Gremium sitzen die Matadoren des 32köpfigen Sinsheimer Kreistages. Dr. Bernheim erfuhr zufällig von der Kreisratssitzung und fuhr hin.

Unser eröffnete den Kreisräten: sofortige Amtsenthebung Landrat Bernheims, Einleitung eines Dienststrafverfahrens und Kürzung des Gehalts um die Hälfte. Begründung: »Die allgemeinen Anordnungen und Weisungen der vorgesetzten Aufsichtsbehörde waren nicht beachtet und durchgearbeitet worden.«

Obwohl Bernheim einwandte, daß solche Strafen nur Beamte treffen, die silberne Löffel gestohlen haben, setzten Sinsheims Kreisräte Unsers Elan nichts entgegen. Was von Karlsruhe kam, mußte schon richtig sein. Unter Aufsicht Steinbrenners mußte Bernheim seinen Schreibtisch ausräumen.

Amtsenthoben fuhr Dr. Bernheim nach Heidelberg und reichte Klage gegen den nordbadischen Fiskus ein. Worauf am 10. Oktober 48 Ministerialrat Unser zu Bernheims damaligem Anwalt, heute Mannheims Oberbürgermeister Dr. Heimerich kam und folgenden Vergleich anbot:

Aufhebung der Dienstenthebung, Einstellung des Untersuchungsverfahrens, Zurücknahme der Gehaltskürzung mit rückwirkender Kraft und Ehrenerklärung der Inneren Verwaltung für Bernheim.

Bernheim sollte als Gegenleistung sechs Monate in Urlaub gehen und einwilligen, daß er dann aus »Gesundheitsgründen« kein Landrat mehr sein will.

Abschließend kündigte Unser an: »Wenn es jedoch zu keiner Einigung kommt, wird die Innere Verwaltung zunächst ärztliche Untersuchung Bernheims beantragen, um auf diese Weise sein Ausscheiden aus dem Dienst zu bewirken.«

Da erinnert sich Dr. Heimerich: »Ich unterließ nicht zu bemerken, daß dies alles sehr eigenartige Methoden sind, um einen alten, verdienten Beamten abzuhalftern. Gehört hatte man Bernheim selbst zu den Vorwürfen noch nicht. Dagegen war von sechswöchiger Verwahrung in einer Heil- und Pflegeanstalt die Rede. Zu einem Termin vor dem Heidelberger Landgericht kam es nicht, weil Unser kurz vorher Zahlung der Bezüge an Bernheim in Sinsheim anordnete.«

Am 10. November 48 ordnete Unser weiter an: »Bevor das Disziplinarverfahren seinen Fortgang nimmt, ist eine amtsärztliche Untersuchung erforderlich. Wir haben damit den Amtsarzt des Kreises Karlsruhe beauftragt und bitten Sie ...«

Amtsarzt Dr. Zwilling wiederholte vor Untersuchung den Vergleichsvorschlag seiner vorgesetzten Inneren Verwaltung. Dann untersuchte er von 8.30 Uhr bis 13.30 Uhr.

Mit Erfolg, denn am 23. Dezember 48 wurde Bernheim mitgeteilt: »daß Ihre Versetzung in den Ruhestand beabsichtigt ist, weil Sie wegen Schwäche Ihrer geistigen Kräfte ... zur Erfüllung Ihrer Amtspflichten ... dauernd unfähig sind.« Arteriosklerose mit Euphorie und dauernder Ueberstimmung waren ermittelt.

»Die Versetzung in den Ruhestand wird ausgesprochen werden, wenn Sie nicht innerhalb von vier Wochen gegen diesen Beschluß Einspruch erheben.« Das Dienststrafverfahren sollte eingestellt werden.

Am Tage der Karlsruher Untersuchung hatte sich Bernheim anschließend im dortigen Krankenhaus untersuchen lassen. Ergebnis: Gesund. Psychiater Dr. Oehme, Heidelberg, stellte dasselbe fest. 15 Kollegen kamen später zu dem gleichen Schluß. So oft ließ sich Bernheim untersuchen

Bernheim-Anwalt Dr. Heimerich reichte gegen die Versetzung in den Ruhestand am 17. Februar 49 Anfechtungsklage beim Karlsruher Verwaltungs-Gerichtshof ein.

Am 10. März 49 ordnete der Verwaltungs-Gerichtshof klinische Beobachtung Bernheims an. In vergitterter 3-mal-3-Meter-Zelle der Heidelberger Psychiatrischen Klinik mußte der 65jährige fünf Tage lang das Einmaleins aufsagen, aus vorgelegten Zeitungen »u« und »n« streichen, aus Schul- und Studentenzeit erzählen oder auf dem Strich gehen.

In seiner Freizeit las er Karl Jaspers: »Thesen über politische Freiheiten«. Sagt Bernheim: »Ich wollte wenigstens theoretisch orientiert sein.«

In der Zelle konnte er keine Nacht einschlafen. Wenn er raus mußte, begleitete ihn ein Wärter auf seinen Gängen. Nach fünf Tagen gratulierten die Gutachter Landrat Dr. Bernheim zu seiner Gesundheit.

Auf diesem Gutachten basiert das Urteil des Karlsruher Verwaltungs-Gerichtshofes, nachdem drei Sinsheimer Belastungszeugen nichts Belastendes zu sagen wußten. Am 20. Februar 50 hob Präsident Walt die Verfügung vom 17. Januar 49 auf, die Bernheim in den Ruhestand versetzt hatte.

»Kosten des Verfahrens trägt der Anfechtungsgegner.« Anfechtungsgegner ist der Staat Württemberg-Baden. An dem sind die Sinsheimer durch ihre Steuern beteiligt.

Kreisrat Dörr, als Stuttgarter Landtagsabgeordneter in größeren Maßstäben geschult, tröstete in entscheidender Sitzung seine Kreisratskollegen: »Bei einem Umsatz von Millionen Mark spielen die paar Mark keine Rolle.« Die paar Mark für Dr. Bernheims Amtszeit sind genau: 27000 DM.

Sagt Dr. Reidel, kommissarischer neunter Landrat von Sinsheim: »Die Innere Verwaltung hatte noch keine Uebung im Absetzen gewählter Landräte. Dr. Unser hat mir schon gesagt: »Wenn ich wieder einen absetze, mache ich es geschickter.«

Ministerialrat Dr. Hans Unser fährt demnächst nach Amerika. Drei Monate: zum Studium demokratischer Einrichtungen.

[Grafiktext]

Wie bezeichnen Sie Ihr gegenwärtiges Leben?

BEAMTE

LANDWIRTE

SELBSTÄND

ANGESTELLTE

FREIE BERUFE

ARBEITER

RENTNER

LANDARBEITER

GLÜCKLICH BIS BEFRIEDIGEND

JEDE FIGUR = RUND 5 %
DER BERUFSGRUPPEN

UNBEFRIEDIGEND

BEDRÜCKEND BIS UNERTRÄGLICH

[GrafiktextEnde]

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