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»ERHARD WAR GANZ ALLEIN DER BÖSEWICHT«

aus DER SPIEGEL 46/1966

Nach allem, was ich in gewissen Bonner CDU / CSU - Kreisen über die Regierungskrise gehört habe, ist wenigstens die Schuldfrage völlig klar. Einem Staatsanwalt müßte sie sich etwa so darstellen:

»Dem Angeklagten, einer etwas obskuren Figur namens Ludwig Erhard, gelang es im Jahre 1963 unter mysteriösen Umständen, den damaligen Kanzler Adenauer aus dem Amt zu drängen und - gegen den energischen Widerstand der Partei - die Macht an sich zu reißen. Er hatte es sich offenbar zum Ziel gesetzt, seiner Partei und der Bundesrepublik schweren Schaden zuzufügen. Das wurde von der Partei sofort durchschaut, und sie bemühte sich mit allen Kräften, wenn auch meist erfolglos, schlimmere Folgen seines Treibens zu vereiteln. In diesem Zusammenhang kann die bis zur Erschöpfung gehende Loyalität der Partei gegenüber dem selbsternannten Kanzler Erhard, besonders was die Herren Adenauer, Strauß und Barzel anbelangt, nicht rühmend genug erwähnt werden.

Dessenungeachtet ließ es sich der Angeklagte nicht nehmen, der Partei und ihrem Ansehen weiter Schläge zu versetzen. An vielen Beispielen konnte deutlich gemacht werden, wie die Partei vernünftige, zukunftsweisende Pläne und Vorschläge machte, die aber von Erhard mißachtet wurden. Besonders augenfällig wurde das, als es vor der letzten Bundestagswahl um die Wahlgeschenke ging, deren Zurücknahme sich später als verhängnisvoll erweisen sollte. Damals war es Erhard ganz allein, der für solche Wahlköder eintrat - die Fraktion war eindeutig dagegen.

Was diese Wahl anbelangt, so darf heute mit ruhiger Gewißheit festgestellt werden, daß der relativ hohe Anteil von CDU-Stimmen fast ausschließlich auf das Konto der Partei kam, während die wenigen Stimmen, die Erhard zufielen, höchstens aus seinem engeren Bekannten- und Familienkreis stammen dürften. Wenn übrigens heute behauptet wird, die Partei habe Erhard als Wahllokomotive benützt, so wäre der Vergleich mit einem Gepäckwagen wohl eher zutreffend.

Nach seiner Wahl zum Kanzler setzte der Angeklagte sein Zerstörungswerk mit allen Kräften fort. Dabei gelang es ihm sogar in wildem Ungestüm, gegen den zähen Widerstand der gesamten Partei, deren Vorsitz an sich zu reißen.

Hier soll nicht unerwähnt bleiben, daß die CDU/CSU sich weiter nach Kräften bemühte, nach außen den Eindruck von Einmütigkeit und Geschlossenheit zu wahren, wie es ihr auch weiterhin ein Herzensbedürfnis blieb, dem Kanzler das Regieren nicht unnötig zu erschweren. Das gilt auch für die sogenannten Interessenvertreter und manche Ressortminister, die sich in ihren Forderungen einer geradezu vorbildlichen Zurückhaltung befleißigten.

Doch war alles vergebens. Die Dinge nahmen ihren Lauf. Der Angeklagte trieb sein verwegenes Spiel bis zum bitteren Ende weiter. Dabei läßt sich das ganze Ausmaß der von ihm verursachten Schäden noch gar nicht übersehen.

Festzustellen bleibt, daß die CDU/ CSU von jeder Verantwortung an dieser tragischen Entwicklung freizusprechen ist: Sie hat im Gegenteil alles getan, um ihr entgegenzuwirken. Mit anderen Worten: Der Angeklagte Erhard hatte weder Mitwisser, noch Helfershelfer, noch Komplicen. Er allein trägt die Schuld - und darum auch die Kosten des Verfahrens!«

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