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Rudolf Augstein ERHARDS SALBTOPF

Von Rudolf Augstein
aus DER SPIEGEL 18/1964

Als Ludwig Erhard Kanzler wurde, hat er allen Deutschen eine »eigene Handschrift« versprochen, hat versprochen, »dem deutschen Volk in jedem Augenblick schonungslos die Wahrheit zu sagen«, hat versprochen, »mit Übertreibungen, Überspitzungen sei auf ihn kein Eindruck zu machen«, hat versprochen, »die Richtlinien der Politik zu bestimmen, sie zu setzen und auch durchzusetzen«, hat versprochen, den Geist olympischer Ritterlichkeit zur Leitidee seines Handelns zu machen ("Ich bin von diesem Geist geprägt"), hat versprochen, »das deutsche Volk wieder aus der Isolierung der. Gruppeninteressen herauszuführen«, hat versprochen, sich »den Forderungen der Heimkehrer oder Minderbeschädigten, der Flüchtlinge, Bauern und weiß Gott, was da alles an uns heranbrandet«, zu widersetzen, denn: »Wenn, ich nicht stehe, dann bricht die Flut über uns herein«.

Gewiß, nicht jedes Wort des Barock-Redners Erhard konnte gewogen und in Gold gefaßt werden. Aber nach dem ersten Halbjahr sollten befade Menschen, die ihm wohlwollen und die sein Ohr haben, ihn auf ein bedenkliches Auseinanderklaffen zwischen - Erwartung und Wirklichkeit hinweisen. Leute, die in der Politik zählen, Leute des Geistes auch (Erhard: »Ich fühle mich der Welt des Geistes verpflichtet"), haben von Erhard erwartet, daß er einen neuen Stil vor allem in der innenpolitischen Auseinandersetzung mit der Opposition finden werde, einen Stil, der die parlamentarische Demokratie stärken und über den Berg bringen werde.

Die Wirklichkeit der letzten Wochen zeigt aber, daß der Kanzler maßvolle Kritik - wie könnte die Kritik unserer heutigen SPD anders als maßvoll sein? - nicht ruhig und kraftvoll hinnimmt, sondern gegenüber seiner quasi auserwählten Persönlichkeit als ungehörig betrachtet. Er sucht sie mit einem Schwall von Selbstlob zu ersticken, und es wirkt ein wenig gespenstisch, diesen sich selbst unausgesetzt preisenden Wahlredner rufen zu hören: »Wenn es einem Mann aufgegeben war, einem Volk in der finstersten Stunde, in der kein Stern mehr schien, den Weg zu weisen und die Ordnung zu setzen, so ist solch ein Mann gegen Selbstlob gefeit.«

Ob Ludwig Erhard sich über die Natur der Sympathien, die ihm entgegengebracht werden, klar ist und ob ihm einer sagen kann, daß er sie sich durch die plebiszitären Alluren eines Gesalbten, eines Wirtschaftswunder-de-Gaulle verscherzen würde, mit einem durchaus auch für ihn nachteiligen Ergebnis? Wenn er die Kritik der SPD weiterhin schlicht und schlank als »scheinheilig« und »innerlich unwahr« abtut, wenn er sie »töricht«, »schamlos« und »entartet« nennt, wenn er der SPD »Heimtücke« vorwirft und: sie habe »außer verbalen Aussagen nichts Gleichartiges (wie die regierende

CDU) geleistet«, wenn er schließlich ausruft »an dieser Figur (der seinen nämlich) wird jede verlogene und falsche Propaganda abprallen«; wenn er sachliche, vom legitimen Parteiwillen gefärbte Beanstandungen weiterhin unter Hinweis auf seine dem ganzen Volk bekannten Verdienste von 1950 zurückweist, dann wird er die öffentliche Meinung in diesem Lande nicht lange auf seiner Seite haben.

Er, im Gegensatz zu Willy Brandt, hat kein Bedürfnis, »aus Propaganda-Gründen an den Fernsehschirm zu gehen, sondern nur dann, wenn es mir die Zeichen der Zeit erforderlich erscheinen lassen«. Propaganda hat er nicht nötig, denn »jedermann weiß, was ich getan und geleistet habe«. Aber warum muß der Steuerzahler auf Beschluß der Regierungskoalition des Maßhalte-Kanzlers mehr Geld an die CDU zahlen? Für Propaganda doch wohl.

Der Bundeskanzler hat 1948 eine ökonomisch richtige Entscheidung getroffen, die er 1950 mit beträchtlicher Nervenstärke- durchgehalten hat. Er hat uns keinen Weg gewiesen und keine Ordnung gesetzt, er hat auch nicht »die Türe zur Welt aufgestoßen«. Wollte er seine Devise »the king can do no wrong« aufrechterhalten, so müßte er denn freilich gewärtigen, daß seine, mit der »Süddeutschen Zeitung« zu reden, »idealistische Kraftmeierei« an den Ergebnissen seiner doch reichlich kurzen lind deshalb bisher notgedrungen ergebnislosen Regierungszeit gemessen wird.

Weder außenpolitisch noch innenpolitisch, weder in der Wirtschafts- noch in der Sozialpolitik hat der Bundeskanzler bisher Akzente gesetzt, die ihm nicht von außen vorgeschrieben waren. Was er in Paris gesagt hat, läßt sich nicht vereinbaren mit dem, was er zu Präsident Johnson und in London gesagt hat. Die Vertrauenskundgebung für Strauß widerspricht schmerzhaft der Vertrauenskundgebung für Schröder vom Tag zuvor. Während der weihnachtlichen Passierscheinregelung hat er keineswegs »die Richtlinien gesetzt und durchgesetzt«.

Es mag sein, daß er präzise Vorstellungen hat, in seinen Handlungen finden sie sich noch nicht. Er hat den Vertriebenen nicht schonungslos die Wahrheit, sondern das schonende Gegenteil gesagt, hat sich von den Kriegsopfern unter starken Worten erpressen lassen, hat dem Druck der Bauern auf Beibehaltung des Getreidepreises nachgegeben und der Opposition keine olympische Ritterlichkeit bezeugt, sondern das abgeleierte Repertoire von gestern.

Das alles ist noch kein Beweis für ein Versagen des Kanzlers Erhard. Aber sehr wohl wird sich Widerstand dagegen erheben, daß ein Regierungschef, der sich so sehr zurechtfinden muß, seinen Deutschen die »Sehnsucht« attestiert, »wieder einmal«, nämlich von ihm, »angepackt und geführt zu werden«.

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