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CDU-KRISE Erinnerung an Kronstadt

aus DER SPIEGEL 47/1964

Rainer Barzel drängte sich über die Tanzfläche an den Kanzlertisch heran. Die befrackten Herren tuschelten. Barzel besorgt: »Schon wieder ein Interview, Herr Bundeskanzler.«

Auf dem Bundespresseball in der Bonner Beethovenhalle erfuhr Ludwig Erhard am Freitagabend vorletzter Woche vom, amtierenden CDU/CSU -Fraktionschef, daß der nach dem Aufruhr über das Adenauer-Interview in »Bild am Sonntag« mühsam wiederhergestellte Parteifriede der Christen-Union schon wieder aus dem Leim gegangen war.

Wie sechs Tage zuvor Parteichef Konrad Adenauer, hatte diesmal der stellvertretende Parteivorsitzende Eugen Gerstenmaier dem deutschen »Bild« Leservolk seine »tiefe Sorge« über die regierende Mannschaft Erhard-Schröder enthüllt.

Barzel hatte nur eine dpa-Depesche über das Gerstenmaier-Interview gelesen.

Eine halbe Stunde später schon brachte ein Kurier von der Kölner »Bild«-Redaktion zwei druckfeuchte Exemplare dem Festgast Gerstenmaier in den Bonner Ballsaal.

Strahlend vor Stolz ließ der schwäbische Oberkonsistorialrat seinen »dramatischen Appell« bei der sektschlürfenden Bundesprominenz zirkulieren.

Der einzige Bonner Polit-Star, der Gerstenmaiers Philippika auch am nächsten Morgen noch nicht las, war Außenminister Gerhard Schröder, Hauptangeklagter des eifernden Schwaben. Der kurende Schröder wanderte an diesem frostigen Novembervormittag mit Frau Brigitte durch den Schwarzwald-Tann - er mit Knotenstock und grauem Roll-Sweater, sie mit Stirnband und rotem Sport-Pulli.

Im Sanatorium Bühlerhöhe erwartete Hugo Grüssen, Bonner Korrespondent von neun westdeutschen Blättern und damit Rekordhalter im bundeshauptstädtischen Nachrichtengeschäft, den Außenminister.

Familie Schröder bat den Zeitungsmann zu salzfreier Diät-Mahlzeit (Rindfleisch mit Gemüse, Scherbeteis mit Schokoladentunke, naturtrüber Traubensaft). Der Minister schüttete seine Sorgen aus: Das Gezänk in der Partei gefährde die Grundlagen seiner Außenpolitik.

Beim Kaffee im Musikzimmer, zwischen Porträtphotos von Yehudi Menuhin, Elly Ney und Ludwig Hölscher, plauderte man über die Malaise mit Frankreich. Schröder beklagte, daß sich das Blickfeld des Altkanzlers so sehr verengt habe: »Warum an die Stelle des Ganzen nur das Detail setzen? Warum zu große Nachgiebigkeit gegenüber de Gaulle?«

Von einem Abdruck der Schröder-Gedanken in Grüssens Gazetten war vorerst nicht die Rede. Doch das Interview -Karussell war schon wieder in Fahrt geraten.

Tags darauf, am vorletzten Sonntagabend, rief Grüssen in Darmstadt an, wo Schröder auf der Heimfahrt mit seinem schwerkranken Amtsvorgänger Heinrich von Brentano Trostworte tauschte. Der Journalist erklärte dem widerstrebenden Außenamtschef, er wolle angesichts des von Gerstenmaier entfachten Wirbels die Bühler Bekenntnisse nicht länger für sich behalten.

Eine Kurzfassung der Auslassungen Schröders erschreckte am nächsten Morgen den Paris-Besucher Konrad Adenauer, als ihm und seinem Begleit-Minister Heinrich Krone im Hotel Bristol in der Rue Faubourg St. Honoré der »Figaro« auf den Frühstückstisch kam (siehe Seite 34).

Es war kurz vor der Abfahrt Konrad Adenauers ("Ich bin gekommen, um mal wieder Politik zu machen") zum Gespräch mit Freund de Gaulle im Elysée -Palast.

Über Kanzleramts-Minister Ludger Westrick besorgte Krone Fernsprechkontakt zwischen dem regierenden und dem abgedankten Kanzler. In aller Hast begehrte der ungehaltene Adenauer von Erhard zu wissen, ob unter diesen Umständen noch die Absprache gelte, daß er, Adenauer, dem Präsidenten de Gaulle die Gedanken des Bundeskanzlers über die deutsche Außenpolitik vortragen solle. Erhard bedeutete dem Anrufer, er möge das Interview des Außenministers nicht falsch verstehen: »An unseren Vereinbarungen ändert sich nichts.«

Um zwölf Uhr kam Adenauer gerade noch bei de Gaulle zurecht. Ehe die alten Herren sich mit Dolmetscherhilfe begrüßt hatten, war schon die Hälfte der von de Gaulle angesetzten Gesprächszeit verstrichen.

Dann schnitt Adenauer das Thema an, das ihm seit einem Vierteljahr auf der Seele liegt: warum denn Paris in letzter Zeit in aller Öffentlichkeit so harte Töne gegen die Bundesrepublik anschlage; durch diese Verschärfung der Beziehungen zwischen Bonn und Paris sei die Position der Bundesregierung außerordentlich erschwert.

De Gaulle hörte zu und kam selbst kaum zu Wort. Ehe eine einzige der sachlichen Streitfragen wie Getreidepreis und Atomrüstung angesprochen war, mahnte ein galonierter Lakai zum zweitenmal, es sei angerichtet und die Familien warteten nebenan mit dem Essen.

Mit der erprobten Verhandlungsroutine seiner 14 Kanzlerjahre hatte Adenauer in der kurzen Besuchszeit das Gespräch bewußt verschleppt um ein zweites Rendezvous zu erreichen. Die Redegelegenheiten des Nachmittags und Abends wollte er zur atmosphärischen Aufbereitung nutzen. Dem Außenminister Couve de Murville, über den die Vermittlung eines weiteren Elysee-Treffens lief, schmeichelte er abends im Pavillon Dauphine vor der französischdeutschen Gesellschaft: »Mein Freund Couve, sein Fleiß, sein Wissen und sein Können sind unübertrefflich.«

Zur gleichen Zeit, als Konrad Adenauer den Streit mit Frankreich zu schlichten suchte, kam es in Bonn zu einem Duell zwischen dem Bundesaußenminister und seinem Kontrahenten Gerstenmaier. Der Bundestagspräsident wetterte im CDU/CSU-Fraktionsvorstand, man dürfe die europäische Einigung nicht kaputtgehen lassen; man habe ja schon einmal erlebt, wie die EVG (Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft) in die Brüche gegangen sei.

Schröder, aus dem Krankheitsurlaub zurück, konterte: »Aber für die EVG haben wir doch die Nato bekommen!« Der Minister hielt seinem Parteifreund das »Bild«-Interview vor: »Statt Politik zu machen, haben Sie Polemik gemacht.« Gerstenmaier: »Unsinn!«

Schröder fuhr unbeirrt fort: .Dann will ich zitieren. Hier steht doch, man müsse mir die Chance lassen, nochmals anzufangen. Daß Sie sich hier wie ein Friedensengel aufführen, finde ich hinterhältig.«

Nun raffte sich auch der Kanzler auf: »Wer Schröder angreift, meint in Wahrheit mich.« Und als Fraktionsvorsteher Barzel Gerstenmaiers Interview gegen Schröders Interview aufzurechnen suchte, indem er dem Außenminister vorhielt, er sei auch nicht gerade zurückhaltend gewesen, brummte Erhard dazu: »Aber in 'Bild' wurde unserer Politik geschadet.«

Der CDU-Wind war umgeschlagen, er blies nicht mehr Schröder, sondern Gerstenmaier ins Gesicht. Die Begeisterung über des Schwaben große Fraktionsrede in der Vorwoche (SPIEGEL 46/1964) war verflogen.

Adenauer wußte von alledem noch nichts, als er am nächsten Morgen, dem Dienstag letzter Woche, Kanzler Erhard

- der inzwischen im Hamburger Hotel

»Vier Jahreszeiten« eingetroffen war, um auf dem Kulturkongreß der CDU eine seiner Programmreden zu halten - telephonisch Lagemeldung erstattete. Erhard beglückwünschte seinen Vorgänger dazu, daß er noch zu einem zweiten Termin bei de Gaulle vorgelassen würde.

Im Elysee-Palast beschwor der greise Besucher seinen Gastgeber de Gaulle, nicht durch eine brüske Behandlung der Deutschen, die beiderseits des Rheins einen neuen Nationalismus zu wecken drohe, das Werk der Versöhnung aufs Spiel zu setzen. Konrad Adenauer fragte bekümmert, ob sich Frankreich denn etwa politisch und militärisch mit den Sowjets arrangieren wolle, nachdem es Moskau nun schon langfristige Kredite gewährt habe.

In den vergangenen Wochen hatte Adenauer häufig in privaten Gesprächen von seinem Alptraum einer neuen Einkreisung Deutschlands gesprochen und dabei beschwörend an einen französischen Flottenbesuch In Kronstadt kurz vor dem Ersten Weltkrieg erinnert.

Präsident de Gaulle beruhigte, indem er ein Zitat aus einer Adenauer-Ansprache vom Vortag aufgriff. Der Altkanzler hatte erklärt: »Vergessen Sie nicht, daß die Russen an der Elbe stehen. Wenn Deutschland fällt, wird auch Frankreich fallen.« De Gaulle erklärte, dies sei auch seine Sorge. Die Sicherheit Frankreichs in Europa könne in dieser Lage nur auf zweierlei Weise gewährleistet werden: entweder durch die Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen eines geeinten Europa oder durch Vereinbarungen mit dem Osten auf der Grundlage der Teilung Deutschlands. Er, de Gaulle, würde den ersten Weg vorziehen, aber, wenn es nicht zu einer europäischen Zusammenarbeit komme, den zweiten nicht ausschließen.

Eine gemeinsame europäische Politik, die zur Wiedervereinigung führen könne, sei aber nur möglich, so dozierte de Gaulle weiter, wenn die Bundesrepublik sich nicht in völlige Abhängigkeit von Amerika begebe. Eine solche Abhängigkeit werde durch Deutschlands Beitritt zur MLF (Multilaterale Atomstreitmacht) in ihrer gegenwärtig vorgesehenen, Form begründet. Bonn verlöre dann gegenüber Washington jegliche Handlungsfreiheit in der Außen- und in der Militärpolitik.

Mehr noch: Eine von Amerika und Deutschland beherrschte MLF würde die Nato völlig aushöhlen, weil die atlantische Strategie dann von den MLF-Staaten, unter denen die USA und die Bundesrepublik ein gewaltiges Stimmenübergewicht hätten, bestimmt würde. Die Mitarbeit an einer derart verfremdeten Nato würde Frankreich einstellen, drohte der General-Präsident.

Zum Abschluß seiner Lektion gab sich de Gaulle wieder versöhnlich. Er denke nicht an einen Bruch mit Bonn und werde,sich in Zukunft bei öffentlichen Äußerungen zurückhalten, falls auch die Bundesregierung Entgegenkommen zeige. Nichts liege ihm ferner als eine Umkehrung der Bündnisse.

Adenauer war erleichtert: Er verkündete anschließend zufrieden, die Ergebnisse dieser Unterhaltung würden sich in einigen Monaten schon zeigen. -

Während der Altkanzler vom Präsidenten selbst bearbeitet wurde, verhandelte der Vorsitzende des Bundesverteidigungsrates, Heinrich Krone, mit de Gaulles Kabinettschef Pompidou und Armeeminister Messmer. Krone, der die amerikanische Strategie einer »flexiblen Verteidigung« nicht gutheißt und der französischen Doktrin einer »massiven Vergeltung« zugeneigt ist, erklärte, die Ergebnisse der Nato-Übung Fallex 64 machten ohnehin eine Überprüfung der. Nato-Strategie in Europa einschließlich des MLF-Projektes erforderlich. Fallex 64 habe - wie schon Fallex 62 - gezeigt, daß West-Europa einen russischen Atomschlag nicht überstehen kann.

Krone gab zu verstehen, das MLF -Projekt habe außerdem für Bonn seine Dringlichkeit verloren, weil

- die britische Labour-Regierung weitgehende Änderungswünsche angemeldet habe und die Amerikaner bereit seien, darauf einzugehen. Dies habe Präsident Johnson kürzlich in einem Brief an Kanzler Erhard geraten;

- nach Chruschtschows Sturz mit einem russischen Besuch am Rhein vorläufig nicht mehr zu rechnen sei. Die Bundesregierung wollte den MLF-Vertrag vor dem Eintreffen Chruschtschows in Bonn unterzeichnen, um der Gefahr russischer Pressionen vorzubeugen.

Auch auf dem zweiten Schlachtfeld der deutsch-französischen Beziehungen, dem Ringen um den Getreidepreis in der EWG, bahnte sich in der vergangenen Woche eine Entspannung an. Während Adenauer sich in Paris zur Abreise rüstete, erschien Außenminister Schröder nach seiner Krankheitspause zum erstenmal wieder auf internationaler Szene.

Vor dem EWG-Ministerrat in Brüssel erklärte er zum Getreidepreis: »Wir müssen zu Lösungen kommen. Der Gemeinsame Markt verlangt gemeinsame Preise.« Bundeswirtschaftsminister Schmücker sekundierte ihm.

Frankreichs Außenminister Couve de Murville traf Schröder in Brüssel zwar nicht mehr an, weil dieser schon wieder nach Bonn gefahren war, um für die Mittwoch-Fragestunde im Bundestag gerüstet zu sein. Aber auch Couve stimmte mildere Töne an, die das Getreidepreis-»Ultimatum« de Gaulles abschwächten.

Im Außenamt am Pariser Quai d'Orsay war man nach nüchterner, Analyse zum gleichen Schluß gelangt, den auch Schröders AA schon gezogen hatte:

- Die EWG-Verflechtung ist heute bereits so eng, daß auch Frankreich nicht mehr ohne Existenz-Schaden die Gemeinschaft lahmlegen kann;

- Bonn muß früher oder später in Sachen Getreidepreis nachgeben, weil in der Kennedy-Runde Frankreich und die USA auf der gemeinsamen Getreidebank sitzen.

Während Altkanzler Adenauer in Paris und sein früherer Musterschüler Schröder in Brüssel die Bonner Außenpolitik zu retten suchten, wagte die sozialdemokratische Opposition nach langer Zeit einmal wieder einen Vorstoß. Die SPD-Bundestagsfraktion brachte 14 parlamentarische Dringlichkeitsfragen zur Außenpolitik ein, und Bundestagspräsident Gerstenmaier setzte sie für Mittwochmorgen auf die Tagesordnung des Plenums.

Am Dienstagnachmittag übermittelte Westrick den Fragen-Katalog nach Hamburg zu Erhard. In seinem Salonwagen; der um 22.28 Uhr im Hamburger Hauptbahnhof an den fahrplanmäßigen D-Zug 100 nach Bonn angehängt worden war, machte sich der Kanzler daran, das Fernschreiben zu bearbeiten.

Zusammen mit Berater Hohmann und Presseamts-Vize Krueger brütete Erhard bis nach Mitternacht über dem Papier und suchte Antworten zu finden. Dann wurde er müde und ging zu Bett.

Mittwochmorgen um acht Uhr fand Erhard im Palais Schaumburg Antwort -Entwürfe vor, die der aus Brüssel zurückgeeilte Schröder über Nacht fertiggestellt hatte. Der Minister empfahl knappste Erledigung des oppositionellen Vorstoßes.

Erhard war - wie immer - unschlüssig. Dem Fraktionschef Barzel, der zur Vorbesprechung erschienen war, vertraute er seine Skrupel an: »In dieser Form kann ich das nie verwenden. Ich kann doch nicht einfach ja oder nein sagen.«

Erhard entschied sich, die Beantwortung im Bundestag auf Freitag zu verschieben und dann ausführlicher Stellung zu nehmen.

Unmittelbar vor Sitzungsbeginn, um neun Uhr, erfuhren nur noch die CDU/ CSU-Frontbänkler durch Barzel von Erhards Ausweichmanöver. Verwirrt marschierte Fraktionsgeschäftsführer Rasner zur Regierungsbank, um den Kanzler zu fragen, wie er in dem zu erwartenden Entrüstungssturm der Opposition taktieren solle.

Fassungslos von rechts bis links hörte das vollbesetzte Haus Erhards Eingeständnis, ihm habe der Antwort-Entwurf nicht gefallen. Er sei erst vor einer Stunde mit dem Zug in Bonn angekommen und habe so schnell nicht klarkommen können.

»Bild«-Kanzlerkandidat Gerstenmaier lief mit empörtem Kopfschütteln quer durch den Plenarsaal zu Oppositionsführer Erler. Die freidemokratischen Koalitionspartner teilten Erhard unverzüglich mit, sie mißbilligten dieses Verhalten und wünschten noch am selben Tag eine Aussprache über alle beunruhigenden Vorkommnisse der letzten Tage. Erhard versicherte den Freidemokraten, Gerüchte über die Ablösung Schröders entbehrten jeder Grundlage: »Ich denke nicht an eine Umbildung des Kabinetts.«

Unmittelbar danach, um fünf Uhr nachmittags, trommelte Barzel seine Vorstandskollegen zusammen, um in der CDU/CSU die Differenzen auszuräumen. Der Fraktionsvorstand belohnte Heimkehrer Adenauer für die Mühen seines Gaulle-Einsatzes mit dem Kommuniqué-Satz, »daß der Bundeskanzler und sein Vorgänger künftig noch häufiger als bisher zu gemeinsamer Beratung zusammentreffen werden«.

Auf einer Sondersitzung der Gesamtfraktion zog Rainer Barzel am Donnerstagmittag das Fazit seiner Waffenstillstandsbemühungen: »Wenn sich Fraktion und Partei eng um Bundeskanzler Erhard scharen, besteht noch immer die Chance, die Bundestagswahl zu gewinnen.«

Am Freitagmorgen zeigte sich, daß die CDU/CSU gegenwärtig besser daran tut, sich nicht um Erhard, sondern um Schröder zu scharen: Nicht der Kanzler, der sich zwei Tage intensiv auf diese eine Stunde vorbereitet hatte, sondern der Außenminister trat zur Replik auf die SPD-Fragen an.

Nur eine Frage beantwortete Erhard selbst: ob die Regierung meine, daß durch die Ernennung eines neuen Außenministers die Beziehungen zu Frankreich verbessert werden könnten. Der Kanzler: »Die Bundesregierung ist nicht dieser Meinung.«

Alle anderen Fragen und Zusatzfragen - insgesamt 85 - beantwortete Schröder, die rechte Hand zuweilen in der Tasche, sachlich oder ironisch, immer aber kaltschnäuzig, selbstbewußt und als genauer Kenner der Materie. Der Kanzler vertiefte sich während dieser Solonummer in seine Akten.

Im Plenarsaal saß - auf dem Klappsitz Konrad Adenauers - der Mann, der sich eine Woche lang der Hoffnung hingeben konnte, er habe die ersten Stufen zu den höchsten Regierungsämtern der Bundesrepublik in einem Satz genommen: Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier.

In der vorletzten Woche war Gerstenmaier von vielen Christdemokraten schon als kommender Bundeskanzler gefeiert worden. Jetzt ließ ihn sein Rivale Gerhard Schröder vor dem versammelten Haus abfahren, so etwa, als der Bundestagspräsident im behäbigen Schwäbisch den Außenminister fragte, ob er davon ausgeben könne, daß Schröder den Text seines »Bild«-Interviews genau gelesen habe. Der Minister antwortete in seinem kalten norddeutschen Tonfall: »Herr Kollege Gerstenmaier, ich werde mir sicherlich nicht die Lektüre Ihrer Ausführungen entgehen lassen, gleich wo sie publiziert werden.« Schallendes Gelächter.

Nach 75 Minuten, um 10.15 Uhr, hatte Schröder gesiegt. Kabinetts-Kollegen und Abgeordnete der Koalitionsparteien sprangen von ihren Sitzen auf und applaudierten. Innenminister Höcherl er-Öffnete die Gratulationscour. Schröder schüttelte strahlend alle Hände.

In der Lobby vor dem Plenarsaal hielt er anschließend noch die Heerschau seiner Freunde ab. Seinem abgeschlagenen Rivalen attestierte Schröder gönnerhaft: »Herr Gerstenmaier ist ein Einzelkämpfer, ein sehr guter Einzelkämpfer.«

Presseball-Gast Erhard*: Kurier aus Köln

Paris-Reisende Krone, Adenauer: Lehren aus Fallex 64

Außenminister Schröder in der Fragestunde*: Sieg nach 75 Minuten

* Mit Jutta Ehlers, der Witwe des früheren Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers.

* Auf der Regierungsbank (von links):

Minister Bucher, Höcherl, Mende, Bundeskanzler Erhard.

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