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PAWELITSCH Erkannt

aus DER SPIEGEL 8/1950

Der kleine Italiener hatte bessere Augen als die Polizisten und Journalisten vieler Länder der Erde In 2000 Meter Höhe entdeckte er den Mann, um den seit bald fünf Jahren geheimnisvolles Schweigen war: Ante Pawelitsch, einst »Poglawnik« des »Unabhängigen Staates Kroatien« Friedlich und unerkannt flog er über den Atlantik

Im selben Flugzeug saß der italienische Journalist Ermanno Amicucci, früher Chefredakteur des »Corriere della Sera«. Ein wenig gelangweilt ließ er sich von einem etwa 13jährigen Jungen dessen schönes Briefmarkenalbum zeigen. Bis sie zu den Marken des »unabhängigen« Kroatien kamen und der Junge ihn plötzlich am Arme faßte »Schauen Sie, wie ähnlich der Herr hinter Ihnen dem hier auf der Briefmarke sieht!«

Amicucci sah sich um. Er mußte dem Jungen recht geben. Hinter ihm saß Ante Pawelitsch. Der Junge wechselte seinen Platz mit dem Ex-»Poglawnik«. Dafür bekam er ein Autogramm unter seine Briefmarken und Amicucci ein mehrstündiges Interview Die Mailänder Zeitschrift »Tempo« hat es jetzt mit Verspätung veröffentlicht. Der »Poglawnik« hat seine Spuren längst wieder verwischt

Ante Pawelitsch ist also weder in den letzten Kriegstagen gefallen, noch von Tito heimlich ermordet noch von den Russen nach Sibirien verschleppt worden. Er war nicht einmal verhaftet. Heute fliegt er durch die Welt und ruft seine Ustascha zum Kampf gegen Tito auf.

Im Konspirieren hat Pawelitsch jahrzehntelange Erfahrung 1927 wurde der Agramer Rechtsanwalt kroatischer Abgeordneter im Belgrader Parlament. Als König Alexander die Verfassung aufhob und aus dem »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« das Königreich Jugoslawien machte, gründete Pawelitsch die revolutionäre Organisation der »Ustascha« (Aufständische) und ging 1929 selbst ins Ausland um von dort die Diktatur zu bekämpfen.

In Ungarn und Italien fand Pawelitsch für sich und die wachsende Zahl seiner Anhänger Unterkunft und wohlwollende Behandlung Besonders Mussolini begann sich bald für den Kämpfer gegen Belgrad zu interessieren. Bis er im Spätherbst 1934 Pawelitsch auf französisches Ersuchen für achtzehn Monate in Turin ins Gefängnis stecken mußte.

Am 9 10. 34 war in Marseille der jugoslawische König Alexander zusammen mit dem französischen Außenminister Barthou ermordet worden. Alles deutete auf Pawelitsch als geistigen Urheber. In Abwesenheit wurde er zum Tode verurteilt. In der Unterhaltung mit Amicucci mokierte er sich jetzt nur über die fadenscheinigen Beweise des französischen Gerichts. Mussolini sei das ganze Attentat gar nicht recht gewesen. Mehr sagte der »Poglawnik« nicht.

Bereits vor Italiens Eintritt in den Krieg nahmen Mussolini und Ciano direkte Fühlung mit Pawelitsch auf der noch immer in Italien lebte und in einem Lager in den Abruzzen seine Ustascha schulte. Im April 1941 kam seine große Stunde. Er wurde »Poglawnik«. Führer des »Unabhängigen Staates Kroatien« Doch mit der Unabhängigkeit war es nie sehr weit her.

Es war Mussolinis Idee, Kroatien gleich Albanien durch Personalunion an Italien zu ketten Pawelitsch lehnte energisch ab und schlug vor, man solle doch irgendeinen italienischen Prinzen zum kroatischen König machen. König Viktor Emanuel fühlte sich geschmeichelt, als man ihn um Rat fragte Nur sein Neffe, der Herzog Aimone von Spoleto, komme da in Frage. Er sehe am besten aus und sei am wenigsten dumm.

Doch der Herzog war gar nicht begeistert. Er versteckte sich mit einer Frau in einem Mailänder Hotel, wie Ciano in seinem Tagebuch zu berichten weiß Es half ihm nichts. Am 18. Mai 1941 kam Pawelitsch mit großem Gefolge nach Rom.

Im prunkvoller Zeremonie wurde Aimone als König »designiert«. Dabei blieb es. Vier Jahre lang. Hitler war von der ganzen Königsidee nicht begeistert. Vor zwei Jahren ist Aimone im argentinischen Exil gestorben.

Der »Poglawnik« regierte allein weiter, soweit man ihn ließ. Bis zum 7. Mai 1945. Mit 120000 Kroaten setzte er sich in Richtung Kärnten und Salzburg ab. 30000, darunter auch Frauen und Kinder, ergaben sich in Kärnten den Engländern. Die Briten lieferten sie Tito aus, der sie bis zum letzten Mann in Eisenbahntunnels umbringen ließ. So zumindest erzählt Pawelitsch.

Auf neuntägigem Fußmarsch nach Salzburg ließ der »Poglawnik« sich einen Schnurrbart wachsen Mit dem tauchte er unerkannt in einem Bauernhaus in der Umgebung von Salzburg unter bis zum März 1946 Nachdem er noch bis zum August in der britischen Zone gelebt hatte, überquerte er zu Fuß die Alpen. Gut zwei Jahre lebte er unerkannt als »ungarischer General« in Italien. Seither ist er ständig auf der Wanderschaft, in Europa, Asien und den beiden Amerikas.

Ueber eine Million Kroaten lebt in kleineren und größeren Siedlungen über die ganze Erde verstreut Bei ihnen klopft in regelmäßigen Abständen Pawelitsch an. Sie nehmen ihn auf, sie reichen ihn weiter. Ueberall, so behauptet er, findet er noch Anhänger. Seine Ustascha-Organisation sei noch voll intakt. Sie bereite sich auf den Tag der großen Abrechnung vor.

Der sechzigjährige Pawelitsch ist der einzige von Hitlers Bundesgenossen, der den Krieg überlebte. Er will auch das Ende des Tito-Regimes noch erleben. »Durch die Hand der kroatischen und vielleicht auch der serbischen und slowenischen Nationalisten wird es stürzen.«

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