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ENTFÜHRUNGEN Erlesene Kunden

Nach den spektakulären Entführungsfällen der letzten Monate ist das Interesse an Lösegeldversicherungen sprunghaft gestiegen.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Wenige Tage nach der Entführung des Industriellen-Sohnes Richard Oetker erhielten Kunden der fränkischen Privat-»Bank Schilling«, die auch Versicherungen vermittelt, »persönlich-vertraulich« ein beunruhigendes Rundschreiben: Gegen Menschenraub, der »heute leider auch in der Bundesrepublik möglich« sei, gebe es »kaum einen Schutz«, und die Frage sei nur, »wer ist der nächste?«

Auf die düsteren Aussichten folgt in dem Rundbrief, der laut Innendienstleiter Karl-Ludwig Heppenheimer an »etwa tausend erlesene Kunden« geschickt worden ist, ein Schimmer Hoffnung -- in einer Offerte: »Durch eine Versicherung kann man den Betrag des geforderten Lösegeldes decken.«

Auf das Angebot meldeten sich nicht weniger als ein Drittel der Angeschriebenen, denn, so Bank-Geschäftsführer Theodor Adam Schmitt, »es stößt direkt in das Herz der Kunden«. Als Herzensangelegenheit entpuppte sich das heiße Thema auch bei einer Analyse der Interessentenwünsche: Die Unternehmer sehen fast durchweg ihre Familie, nicht aber ihre Direktoren in Gefahr, und sie fürchten eine etwaige Erpressung mehr als ihre eigene Entführung. Freilich, sagt Heppenheimer. »In erster Linie haben sie natürlich Angst um ihr Vermögen.«

Auch bei der Prämienhöhe scheint sich bereits ein Fixpunkt zwischen Herz und Schmerz einzupendeln. Heppenheimer: »Bei über 10 000 Mark Jahresprämie werden die Leute meist skeptisch.« Für diese Summe ist nach den gegenwärtigen Konditionen immerhin ein Lösegeld von rund drei Millionen Mark gedeckt -- unter artspezifischen Bedingungen:

* Die versicherte Person darf während der letzten zwölf Monate nicht mit Entführung bedroht worden sein, denn man kann »kein brennendes Haus gegen Feuer versichern« (Heppenheimer);

* die entführte Person darf nicht in Räumlichkeiten des Versicherungsteilnehmers gefangengehalten werden, weil »sonst Raub und Geiselnahme kaum noch unterscheidbar wären« (Heppenheimer), und > die Existenz einer Versicherung unterliegt strengster Geheimhaltung, damit etwaige Erpresser die Versicherungssumme nicht einfach ihrer Forderung draufschlagen. Besonders den letzten Punkt nehmen die Versicherten sehr ernst. Heppenheimer: »Die informieren nicht einmal die eigene Familie.« Bei ihren Versicherungen melden sie sich nicht mit Namen, sondern mit einem vereinbarten Code-Wort, und auch nach Erstattung des Lösegeldes dürfen sie nichts über die Versicherung sagen.

So bleiben Zahl und Namen der Versicherten in der Bundesrepublik unbekannt, obschon Experten wie Heppenheimer bei prominenten Entführten wie Hendrik Snoek und Oetker »fast sicher« sind, »daß dort Versicherungen bestanden haben«.

* Nach der Freilassung der »Wienerwald«-Besitzer-Tochter am 5. 11. 1973.

In das Dunkel eines grauen Marktes wird dieses Geschäft mit der Angst aber auch von den Behörden, vor allem vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen in Berlin, gedrängt. Das Berliner Amt würde einem -- bislang gar nicht vorliegenden -- Antrag »nicht so schnell stattgeben«, denn die Abdeckung des Lösegeldes würde »einem Verbrechen nicht gerade Tür und Tor öffnen, aber doch den Anreiz für derlei kriminelle Handlungen nicht verhindern« (Sprechei Horst Macht).

Moralische Konflikte müssen die Berliner Versicherungsaufseher allerdings auch bei alltäglichen Branchen ertragen -- so bei der Lebensversicherung (die zu Mord und Selbstmord verleiten könnte), bei der Feuerversicherung (die zu Brandstiftungen Anlaß geben könnte) bis hin zur Kfz-Versicherung (die manchen Handwerker zu besonders üppigen Rechnungen anregt).

Bei Lebens-, Kranken-, Kfz-Versicherungen werden vom Amt jedoch auch die Prämien nachgeprüft, während bei Spezial-Sekuritäten wie der Lösegeldversicherung die Unternehmen »nehmen können, was sie wollen« (Macht).

Während aus London bereits »enorme Gewinne« gemeldet wurden, ging der Boom in der Bundesrepublik noch im alten Jahr zu Ende: Zu Silvester erhielt die fränkische Bank (wie andere Institute) eine strikte Aufforderung des Berliner Amtes, Werbung und Vermittlung der neuen Versicherungsart »unverzüglich einzustellen«.

Bank-Geschäftsführer Schmitt bedauert, daß damit für die deutschen Kunden die seriösen Vermittler ausgeschaltet seien. Auf dem schwarzen Markt würden die internationalen Agenten, so seine Prognose, die »Konditionen nun bald um hundert Prozent raufhandeln«.

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