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WIEDERGUTMACHUNG Ermittlung gegen Unbekannt

aus DER SPIEGEL 7/1951

Doktor Philipp Auerbach hat sich in seine Münchner Wohnung zurückgezogen, wo er unter seinem lebensgroßen Bild in Oel Diktate, Telefonate, Verhandlungen und Interviews erledigt, während in seinem Landes-Entschädigungsamt 58 Kriminalbeamte des Polizeipräsidiums München und 34 Kriminalbeamte der bayerischen Landpolizei 175 000 Wiedergutmachungsakten auf Fälschungen untersuchen.

Als Justizminister Dr. Josef Müller am 8. Februar dem Bayern-Landtag über diese Fälschungen und über die Maßnahmen seiner Staatsanwaltschaft München I Bericht erstattete, hatten diese Beamten fünf Tage gearbeitet. Ergebnis:

* 2810 Wiedergutmachungsfälle überprüft. Davon 336 als mit Sicherheit gefälscht, weitere 392 als wahrscheinlich gefälscht festgestellt.

* Von den bisher überprüften 2810 Fällen waren also rund 20 Prozent gefälscht.

* Allein auf Grund der bisher überprüften knapp 3000 Fälle steht fest, daß 567 538,16 DM mit Sicherheit, weitere 754 449,57 DM wahrscheinlich zu Unrecht ausbezahlt wurden. Insgesamt müssen 17 500 Fälle überprüft werden.

Nach diesen Zahlen klappte der Justizminister sein Manuskript zusammen, trat vom Rednerpult ab. Der Landtag hatte dem abwesenden Dr. Philipp Auerbach schon

vorher Zwischenrufe gewidmet wie: »Präsident der Möhlstraße!«

So was war dem schwergewichtigen Dr. phil. Philipp Auerbach in den viereinhalb Jahren bayerischer Tätigkeit als Staatskommissar, Generalanwalt und schließlich Präsident des bayerischen Landes-Entschädigungsamtes noch nicht widerfahren, seit ihn das Land Bayern aus Düsseldorf geholt und 1946 zum Staatskommissar für die rassisch, religiös und politisch Verfolgten ernannt hatte.

Der erste Schlag, der auf Einengung seiner Kompetenzen zielte, kam vom Justizminister Dr. Josef Müller, 1948. Er hatte Vorwürfe gegen Auerbachs Kreditgewährungen in den ersten Nachwährungsreformwochen zum Anlaß genommen, eine Umorganisation des Amtes zu fordern: Dr. Auerbach sollte als »Generalanwalt« weiterhin die Wahrung der Ansprüche aller Verfolgten übernehmen, ein Beamter als Leiter der Verwaltungs- und Rechnungsabteilung sollte gleichberechtigt neben ihm stehen, über beiden ein Präsident thronen. Dieser Vorstoß kam insoweit zum Zuge, als Dr. Auerbach nicht mehr »Staatskommissar«, sondern »Generalanwalt« genannt wurde. In Organisation und Leitung des Amtes änderte sich jedoch nichts.

Bis ins Jahr 1949 wurde die Wiedergutmachung in Bayern durch das »Sonderfondsgesetz« geregelt. Daraus entwickelte sich das »Entschädigungsgesetz«, das OMGUS am 4. August 1949 für die US-Zone genehmigte. Das »Wiedergutmachungsamt« wurde »Landesentschädigungsamt«. Bayerns Finanzminister Dr. Kraus, dem dieses Entschädigungsamt ressortmäßig unterstand, ernannte den Dr. Auerbach am 20. November 1949 zum »Präsidenten des Landesentschädigungsamtes«. Damit war aus der Fürsorgestelle (Staatskommissariat)*) die Behörde ("Entschädigungsamt") geworden.

Unkomfortabel in Sibirien. Daß bei solcher schleppenden Umwandlung nicht über Nacht Behördengrundsätze einziehen würden, lag auf der Hand. Zusammensetzung

* Als erster Leiter des Staatskommissariats hatte SPD-Ministerpräsident Hoegner keinen Besseren finden können als Hermann Walter Aumer. Der blieb es aber nur, bis er von den Amerikanern entlassen wurde. und Schicksal des Publikums machte die Einführung solcher Grundsätze nicht leichter: Da waren Juden, denen KZ-Haft und Tod zahlloser Angehörigen den Maßstab gesetzlicher Notwendigkeit getrübt hatten, da waren Verfolgte, deren Resignation immer verständlicher wurde, da waren DP''s, deren Herkunft und Aufenthaltsberechtigung nicht immer überprüfbar waren, und da waren internationale Schnorrer, die in allen Geld auszahlenden Aemtern ihre Tricks versuchen:

Die vielfältigen Auswanderungsbestimmungen hielten die Erfindungsgabe der Bewerber in Uebung. Westdeutschlands DP-Bestand war beachtlich geworden durch 150 000 polnische DP''s, die von 1941 bis 1945 sehr unkomfortabel im russischen Sibirien gelebt hatten und die nun auf dem Wege nach Israel in der Bundesrepublik Station machten. Die fortschreitende Verlagerung dieser DP-Lager nach Bayern bewirkte nun, daß in Philipp Auerbachs Wartefluren in der Münchner Arcisstraße laufend frische Kräfte am Werk waren. Auf Wiedergutmachung hat aber nur Anrecht, wer

* »unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (30. Januar 1933 bis 8. Mai 1945) wegen seiner politischen Ueberzeugung, aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung verfolgt wurde und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat.« (§ 1, 1 des Entschädigungsgesetzes.)

Voraussetzung jeder Wiedergutmachung oder Haftentschädigung in Bayern ist aber, daß der Antragsteller

* »am 1. Januar 1947 rechtmäßig seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet des Landes Bayern hatte oder seither dem Lande Bayern als Flüchtling zugewiesen wurde.« (§ 6, 1 des Entschädigungsgesetzes).

Weichensteller zwischen diesem gesetzlichen Rahmen und dem Geld war für Hunderttausende unterschiedlichster Bewerber Dr. Auerbach.

Sein schwarzer Dienst-BMW fuhr regelmäßig um 7 Uhr morgens in der Arcisstraße vor. Dann rollt der Tageslauf des Betriebsamen, oft mit Hunderten von Besuchern, ab. Zwischen Postdiktat, Unterschriften und Anweisungen, die über seine Tisch-Mikrophonanlage an Mitarbeiter gingen, wurden die Fragen beantwortet, und wie Cäsar gleichzeitig vier Schreibern Arbeit gab, so saß er massig im Oberhemd mit Brasil hinter seinem Tisch: als Cäsar der Wiedergutmachung.

Daß er nebenbei seinen Platz im bayerischen Rundfunkrat hat und jeden Freitag zur Feierstunde der israelitischen Kultusgemeinde über den Münchener Sender spricht, ist Teil seines überdurchschnittlichen Betätigungspensums.

Daß darüber unter den Juden nicht nur Zustimmung laut wurde, beweist das vertrauliche Zirkular des Generalrats der Sochnut in Jerusalem. Darin wurden dem Dr. Auerbach und mit ihm vielen Glaubensgenossen, die Münchens Winterluft dem Klima Israels vorzogen, böse Worte gesagt.

Im März/April 1950 beauftragte Bayerns Finanzminister den Obersten Bayerischen Rechnungschef, unabhängig von der laufenden Rechnungsprüfung ein Gutachten auszufertigen, woraufhin der Amtsrat Herkert seine Röntgenaugen auf das Geschäftsgebaren der Arcisstraße richtet.

Und auf den Spendenfonds des Dienststellenleiters Auerbach. Dieser Fonds

hatte seine erste Stärkung durch 900 000 RM amerikanischer Filmspende bekommen. Das waren Erträgnisse aus KZ-Filmen, die sich die Bevölkerung vieler deutscher Städte hatte ansehen müssen. Er wurde weiter aufgefüllt durch Spenden, die Auerbach für zustandegebrachte Vergleiche zur Verfügung gestellt waren. Der Dr. Auerbach zahlte damit Ueberstunden seiner Angestellten und machte Zuwendungen, wo es ihm richtig erschien. -

Die Beanstandungen des Amtsrats Herkert lösten eine deutliche Verfügung des Finanzministeriums aus, von der aber nicht, wie üblich, dem Rechnungshof Mitteilung gemacht wurde. Der Rechnungshof mußte sie erst jetzt beim aufsichtführenden Staatssekretär Ringelmann im Finanzministerium abholen.

Fälschung und Gegenleistung. Bevor noch dieser Bericht die Gemüter beunruhigte, war die erste Fälschung von Unterlagen aufgedeckt worden, im Februar 1950. Da bemerkte die Feststellungskommission des Landesentschädigungsamtes, die unter Auerbachs Leitung die Berechtigung aller Ansprüche überprüft, daß Münchens Polizeipräsidium dem Antragsteller Singer eine Bescheinigung ausgestellt hatte, wonach Singer bereits am 1. 1. 1947 in München wohnhaft war. Es konnte aber nachgewiesen werden, daß Singer erst im Jahr 1948 aus Rumänien nach Bayern kam.

Recherchen ergaben, daß der Oberinspektor Frentzel wider besseres Wissen diese Bestätigung unterzeichnet hatte. Der Wert der Gegenleistung war nicht mehr zu ermitteln, da Frentzel inzwischen verstorben ist.

Nachdem dieser Trick mit den Aufenthaltsbescheinigungen erkannt war, ermittelte Bayerns Landespolizei in Zusammenarbeit mit dem Landesentschädigungsamt: In 36 bayerischen Gemeinden werden solche Aufenthaltsbescheinigungen gefälscht. Bleiben diese gefälschten Aufenthaltsbestätigungen unerkannt, zahlt der bayerische Staat Haftentschädigung.

Im Mai zeigt der Landesverband der bayerischen SPD den Bürgermeister von Gauting, Hubert Dessler, an. Dessler hat eine große Menge Aufenthaltsbescheinigungen gefälscht. Bei seiner Vernehmung argumentierte er: »Was wollt Ihr denn? Jede Aufenthaltsbescheinigung ist ein Mann weniger. Ich muß sie doch los werden, wo wir wegen des DP-Lungensanatoriums so viel hier haben.«

Es wird nichts gegen Dessler unternommen. - Gegen seinen Angestellten Stehle leitet der Landsberger Oberbürgermeister im November ein Ermittlungsverfahren ein. Stehle hatte 381 Personen den Aufenthalt am Stichtag 1. 1. 1947 in Kaufering bescheinigt. 264 davon haben nachweislich in Kaufering gewohnt.

Bei der IRO war man noch wacher. Da begannen die Fälschungen bereits im November 1949. Die Feststellungskommission bekam Entschädigungsanträge von DP''s aus dem Lager Pocking-Waldstatt. Alle Aufenthaltsbescheinigungen trugen die Unterschrift des Lagerältesten Langburd. Auf hektographierten Formularen bescheinigte der den rechtmäßigen Aufenthalt des Antragstellers am 1. 1. 1947 im DP-Lager Pocking.

Es fiel aber auf, daß sämtliche Antragsteller nur vom Oktober/November 1946 bis Januar/Februar 1947 dort genächtigt hatten. Ueber den gegenwärtigen Aufenthalt des Antragstellers lag kein Nachweis vor. Nachprüfung beim IRO-Hauptquartier der AREA VII ergab, daß kein Antragsteller je auch nur einen Tag in

Pocking war. Langburd als Lagerältester hatte dort nie existiert. Der verwendete Stempel war eine Fälschung.

Daraufhin sandte das Zonen-Hauptquartier der IRO dem Landesentschädigungsamt Unterschriftsproben sämtlicher unterschriftsberechtigten Beamten. Gegen IRO-Offizier Oberländer vom Lager Lechfeld und Gottesmann vom Lager Gabersee wurde Strafantrag gestellt.

Interessant ist aber auch, daß die erste Auerbachbeschwerde an das bayerische Innenministerium vom 3. Mai 1950 immerhin am 20. September eine Antwort des Ministeriums auslöste. Darin stellte Ministerialdirektor Platz fest, daß die Gemeinde Oberschondorf »möglicherweise« eine nicht zutreffende Aufenthaltsbescheinigung ausgestellt habe. Das Landesentschädigungsamt möge doch mal weiter prüfen, was dort los sei.

Um die Jahreswende 1950/51 sind allein im Landkreis Landsberg 453 Fälschungen ermittelt. Die Aufenthaltsbescheinigungen von 42 Gemeinden werden nicht mehr anerkannt.

Der Leiter der Einwohnermelde-Abteilung bei Münchens Polizeirevier 28, Rahn, ist verhaftet und gesteht, in einigen hundert Fällen Fälschungen vorgenommen zu haben, indem er die Meldebogen fälschte und das Amt für öffentliche Ordnung irreführte.

Die Zahl der in Kaufering ermittelten Fälschungen ist auf 478 angestiegen.

Der Leiter der Landesregistratur des Landesentschädigungsamtes Hirsch hat gemeldet, daß in die Registratur gefälschte Akten eingeschmuggelt werden.

Untersuchungen der Münchener Kriminalpolizei ergeben Stempelfälschung und Aktenunterschiebung.

Kredit auf KZ-Lager. Die Gesamtsumme der bis zu diesem Zeitpunkt in Bayern ausgezahlten Wiedergutmachungsgelder liegt über 52 Millionen DM. Aufgebracht wurde diese Summe aus Sühnebeträgen der Entnazifizierung und aus Krediten, die der bayerische Staat auf das ehemalige NS-Vermögen aufgenommen hat, auf Parteibauten und Konzentrationslager.

Das ist die Lage, als schließlich die Amerikaner ihren großen Schlag gegen das Wiedergutmachungsgeschäft der Aktenfälscher einleiteten. Die Amerikaner geraten auf Umwegen an diesen Komplex: Saul Moscowitz, Leiter der Gefängnisabteilung beim US-Landeskommissar für Bayern, blätterte in seinem Office in Münchens Tegernseestraße in den vorliegenden Gnadengesuchen. Dabei fiel ihm auf, daß einige Gnadengesuche bereits seine Unterschrift trugen. Die Unterschrift war gefälscht.

Die CID, gemeinsam mit deutscher Kriminalpolizei an der Arbeit, findet die Urheber der Fälschung in Stuttgart: Ireneusz Kupczyk und Edmund Kowalski, zwei polnische DP''s, die bald darauf in Münchner Haft überstellt werden. Dort offenbart sich bei Vernehmungen ihre Vielseitigkeit: für über hundert gefälschte Wiedergutmachungsakten beanspruchen sie Urheberrecht.

US-Generalstaatsanwalt Donald C. Noggle setzte sich daraufhin mit dem Münchner Generalstaatsanwalt Roll in Verbindung. Der läßt am 24. 1. 1951 den Präsidenten Auerbach davon verständigen, daß im Landesentschädigungsamt Polizeiposten eingesetzt würden. Und bespricht mit ihm, wie sich die Ueberprüfung der Akten zweckmäßig, sachkundig und schnell durchführen läßt. Da Auerbach viele Fälschungen selbst gemeldet hat, will ihn Roll auch an der Aufklärung beteiligen.

Dazu kam es aber nicht. Und dafür gibt es unterschiedliche Erklärungen. Eine vom US-Landeskommissar Georges N. Shuster: »Dr. Auerbach hat am 24. Januar einen US-Staatsanwalt, der in seinem Amt Akten überprüfte, hinausgeworfen.« Nach einigen Tagen widerruft Shuster: »Diese Behauptung war ein Irrtum.« Sagt also US-Generalstaatsanwalt Noggle: »Er hat keinen Staatsanwalt hinausgeworfen, aber er war mit der Polizei nicht einverstanden. Die war mittelbar auch von uns geschickt. So wird dieser Irrtum entstanden sein.«

Auerbachs alter Widersacher Josef Müller brauchte dem Landtag diesen Irrtum und die Umgruppierung der Staatsanwälte nicht zu erklären. Er verlas dort den Bericht der Staatsanwaltschaft München I, die den Generalstaatsanwalt Roll und den Oberstaatsanwalt Wieland in der Durchführung der Untersuchungen ablöste.

Dieser Bericht beginnt erst am 26. 1. 1951, als gegen 18.30 Uhr der Erste Staatsanwalt Hölper in die Münchner Staatskanzlei gerufen wird. Dort sitzen US-Landeskommissar Shuster, Ministerpräsident Ehard, Innenminister Dr. Hoegner, Finanzminister Dr. Zorn. Und Justizminister Dr. Josef Müller.

Besprechungsthema: Aufdeckung der Fälschungen. Welche Schritte unternommen werden sollen, das wird anschließend in Dr. Josef Müllers Arbeitszimmer im Justizministerium festgelegt, als US-Generalstaatsanwalt Noggle die Stellen bezeichnet, an denen sich gefälschte Akten vermuten lassen. Das sind außer dem Landesentschädigungsamt in der Arcisstraße die Häuser Möhlstraße 6a, 12a, 14 und 43.

Noch am gleichen Abend veranlaßt der Staatsanwalt Hölper die Besetzung dieser Häuser durch Polizei. Und verfolgt die Aktion per Telefon vom »Kreuz-Bräu« aus, wo auf dem Faschingsball der Staatsanwaltschaft München I sein Behördenleiter Senatspräsident Hartmann und der Justizminister Josef Müller das Tanzbein schwingen.

Ich bin der Präsident. Es ist die Nachtstunde, in der Philipp Auerbach wegen der Nierensteine vom Dr. Wolfrum in der Herschelstraße die Spritze bekommt. Auerbach kann also nicht einmal selbst ans Telefon, als sein Vertragsangestellter

Heinz Diloff aus der Arcisstraße das Erscheinen der Polizei meldet.

»Und wenn ich morgen früh ins Amt fahre?«, will der Präsident noch wissen. »Da kommen Sie nicht hinein!«, ließ der diensthabende Polizist bestellen.

Wegen des Balles im Kreuz-Bräu wurde es nun S1 Uhr nachts, bis Philipp Auerbach raus hatte, von wem diese Anordnungen stammten.

Die Polizei hielt Wort. Als am nächsten Morgen der schwarze BMW acht Minuten nach 7 Uhr vor dem Landesentschädigungsamt hält, springen Polizisten aus einem Funkstreifenwagen und versperren Auerbach den Eingang: »Wir dürfen niemand hineinlassen!«

Darauf Auerbach: »Was heißt das - ich bin der Präsident dieses Amtes. Zeigen Sie mir den richterlichen Beschlagnahmebefehl. Ich bin Jurist genug, um zu wissen, was ich zu tun habe.« Sie läßt Auerbach aber trotzdem nicht hinein. Darauf dieser: »Das sind ja Gestapomethoden!«

Inzwischen hatte sein Hang zu starken Formulierungen ohnehin einiges Porzellan zerschlagen:

* Er warnte die Polizei vor antisemitischen Maßnahmen! Das Judentum sei immer noch eine Macht, wenn auch nur 30 000 Juden gegenwärtig noch in Deutschland leben; die Staatsanwaltschaft reagierte darauf mit einem Verfahren wegen Beamtennötigung;

* er befürchtete ziemlich öffentlich, daß in dieser Aktion ein Frontalangriff gegen Judentum und Wiedergutmachung gesehen wird.

Was das betrifft, so hatte Justizminister Müller vorgesorgt: der Leiter der Staatsanwaltschaft München I, Senatspräsident Hartmann, ist auch Jude.

Hartmann meldete jetzt seinem Minister, welche Unterlagen außer den Aufenthaltsbescheinigungen gefälscht wurden:

Anträge auf Wiedergutmachung,

Versicherungen an Eides Statt,

Versicherungen über Schäden an Freiheit und Gesundheit,

polizeiliche An- und Abmeldungen,

Bescheinigungen über Eidesleistungen,

Ausreisebescheinigungen, Kopfbögen der IRO,

polizeiliche Führungszeugnisse,

jede Menge Stempel,

notarielle Vollmachten,

Vollmachten der IRO,

Vollmachten für den Empfang von Wiedergutmachungsgeldern.

Geld genommen. Bisher sind drei große Fälschergruppen in Ausländerkreisen ermittelt, die solche Unterlagen gewerbsmäßig hergestellt und auf dem schwarzen Markt abgesetzt haben. Eine Angestellte des Landesentschädigungsamtes, Fräulein Mirabel, gestand, gegen Geld Aenderungen an Dokumenten vorgenommen zu haben. Auch Frau Hilgers, die Sekretärin des Abteilungsleiters für jüdische Wiedergutmachung und Auswanderung, gab am 6. 2. zu, Geld angenommen zu haben. Sie bestreitet aber pflichtwidrige Handlungen.

Ihr Chef, Abteilungsleiter Ingster, meldet sich schon seit einigen Tagen nicht mehr, wenn seine Münchner Rufnummer 43 361 gewählt wird. Ingster, gegen den ein Haftbefehl läuft, ist unauffindbar.

Er war als enger Mitarbeiter Auerbachs insofern von besonderer Bedeutung, als er polnisch, russisch und jiddisch sprach - als einziger Angestellter des Hauses. Weshalb ihn Münchens Zollfahndung zeitweise bei Unternehmungen in DP-Lagern als Dolmetscher mitnahm.

Außer an der Wiedergutmachung war Ingster nämlich noch am Leder- und Häutehandel beteiligt. Als ersichtlich wurde, daß er privat mit Summen manipulierte,

die in die Hunderttausende gingen, wurde begründet: »Herr Ingster erhielt nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald eine Menge Schmuck und Juwelen zurück, die ein Freund während seiner Haftzeit für ihn aufbewahrt hatte. Er hat sie inzwischen verkauft.«

Als im Herbst 1949 der Startschuß für die Einrichtung der Feststellungsanträge für Wiedergutmachung fiel, entfalteten Vertrauensleute im Jüdischen Zentralkomitee, Möhlstraße 12a, eine fieberhafte, doch umsichtige Tätigkeit. Tausende an sich unberechtigter polnischer DP''s wurden veranlaßt, sich um die Wiedergutmachung zu bewerben. Da individuelle Anträge dieser. DP''s nicht angenommen wurden, liefen diese Bewerbungen über Ingsters Vertrauensleute im Zentralkomitee.

Verwaltungsgebühr bei Abgabe: 10 DM. Welche Anteile für die Beschaffung geeigneter Unterlagen gezahlt werden mußten, das werden möglicherweise die Vernehmungen klären, die nach Ueberprüfung des Aktenmaterials notwendig sind.

Insgesamt gab es unter den Antragstellern, die durch Vermittlung der Ingster-Vertrauten alle dokumentarischen Klippen umschifften und in den Genuß der Auszahlung kamen, drei Kategorien:

* Personen, die aus dem Auslande kamen, um in Bayern Wiedergutmachungsanträge zu stellen. Sie erhielten pro Tag des Aufenthalts in Deutschland 75 DM, die auf die Wiedergutmachung angerechnet wurden;

* Personen, die in der Bundesrepublik ansässig waren. Sie erhielten als Teilzahlung vorläufig eine erste Rate, nur bei Notstand weitere Gelder;

* Personen, die kurz vor der Auswanderung standen. Sie bekamen die Hälfte ihres Anspruchs ausgezahlt, im Höchstfall 3000 DM.

Angehörige aller drei Kategorien kamen schneller zum Zuge, wenn sie Herrn Ingster und seine Mitarbeiter im Zentralkomitee

für tätige Unterstützung honorierten.

Wiedergutmachungsgeschäft. Welche Karrieren bei der Wiedergutmachung möglich waren, das hatte Jahre vorher schon Arthur Spitzer bewiesen, der aus Rumänien stammte und früher einmal anders hieß.

Während Weltkrieg II wich er beim Einmarsch deutscher Truppen nach Asien aus und trat als Agent in den Dienst einer fremden Macht. Im Flugzeug kam er nach Deutschland, als der Krieg zu Ende war. Er wurde Verbindungsmann im damaligen Staatskommissariat.

Als Veranstalter bemerkenswerter Feste wurde er bekannt und schließlich auf einer Party mit Bayerns damaligem Innenminister Dr. Willi Ankermüller fotografiert. Ein Bild, das als Postkarte in alle Welt ging.

Außer mit Diamanten und Schmuckstücken handelte Spitzer auch mit Leder und Häuten.

Als Spitzer im Staatskommissariat schließlich entlassen werden mußte, verhalfen ihm die inzwischen geknüpften Beziehungen zu einer gut florierenden Obst-Import- und Export-Großhandelsfirma. Später auch zum Kontakt mit der Frankfurter Industrie- und Handelsbank.

Damit war die Möglichkeit gegeben, auch ins Wiedergutmachungsgeschäft einzusteigen: Er ließ durch Mittelsleute Feststellungsbescheide aufkaufen, auf die vorläufig noch keine Zahlungen geleistet wurden. Statt des nicht ausgezahlten Entschädigungsanteils nämlich bekamen die Auswanderer diese Feststellungsbescheide, die keinen festgesetzten Zahlungstermin trugen. Anfangs waren diese Feststellungsbescheide nicht nur in der Möhlstraße, sondern auch in vielen deutschen Geschäften bei der Anschaffung von Hausrat und anderen Gütern in Zahlung genommen worden, fast zur vollen Höhe des Nennwertes.

Ihr Wert sank später. Geldbedürftige Auswanderer verkauften sie weit unter Kurs. Schließlich wurden sie mit durchschnittlich 37 Prozent des Nennwertes gehandelt und von Leuten wie Spitzer für Auftraggeber gekauft, die sich bei späterer Einlösung die Auszahlung des vollen Nennwertes erhoffen durften.

Die Abtretung solcher Feststellungsbescheide wurde nur rechtswirksam, wenn Präsident Auerbachs Genehmigung dazu vorlag.

Außer für Auswanderer-DP''s gab es noch für eine zweite Gruppe die Möglichkeit, auf Grund gefälschter Unterlagen Haftentschädigung zu bekommen, das waren die »toten Seelen«. Seit 1945 waren in jüdischen Krankenhäusern in München-Bogenhausen, in Gauting und in Pasing Menschen gestorben und begraben worden.

Deren Namen setzte man im Zentralkomitee auf die Listen der Haftentschädigungsbewerber, fertigte die nötigen Unterlagen dazu an und kassierte. Es wird behauptet, daß über 2000 Tote ihre Wiedergutmachung beanspruchten. Für wieviele von ihnen Herr Ingster kassieren konnte, wird sich herausstellen.

Die Staatsanwaltschaft will nun untersuchen, inwieweit dem Präsidenten Auerbach ein Mißbrauch zur Last gelegt werden kann, der zur Schädigung von Staatsvermögen oder von Wiedergutmachungsgeldern geführt hat.

Justizminister Müller überraschte den Landtag mit der Mitteilung, daß außer dem Ermittlungsverfahren gegen »Unbekannt« wegen der Fälschungen auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Untreue nach § 266 StGB gegen Präsident Auerbach eingeleitet ist.

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