RECHT / PORST-PROZESS Ernst genommen
Nach sieben Wochen Untersuchungshaft wurde der Nürnberger Hannsheinz (Photo-) Porst, 46, entlassen -- mit der Auflage, niemandem zu verraten, was er verraten haben soll. Nur eins wurde damals, im Dezember 1967, bekannt: Forst hatte Kontakt zum DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterhalten.
Am Montag übernächster Woche wird vor dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe gegen den zur Zeit prominentesten Angeklagten der Bundesrepublik verhandelt. Ihm wird vorgeworfen, landesverräterische Beziehungen zu einem fremden Geheimdienst unterhalten zu haben. Doch noch immer ist verborgen, auf welche Tatsachen die Bundesanwaltschaft im einzelnen ihre Anklage stützt und wie sie ihren Vorwurf straf rechtlich begründet, denn die Strafverfolger hüten ihre Anklageschrift als vertrauliche Verschlußsache und haben allen Verfahrensbeteiligten verboten, den Inhalt preiszugeben.
Es ist gewiß einer der spektakulärsten Prozesse in Deutschland nach dem Kriege -- der Prozeß gegen einen Mann, der sich in der kapitalistischen Hälfte seines Vaterlandes der kommunistischen verbunden fühlt. Sein Kredo »Ich bin Millionär und· Marxist« mutet in der ideologisch verfeindeten Welt diesseits und jenseits einer sogenannten Zonengrenze wie Aberglauben an.
Forst war Mitglied der FDP im Westen und, insgeheim, der SED im Osten. Er gab den Freien Demokraten Geld und zahlte der Partei Ulbrichts Beiträge. Der Mann, der an Marx dachte und Millionen machte, wollte »von beiden Seiten ernst genommen werden«.
Er hat"s erreicht: Von den einen bekam er Orden. von den anderen soll er Gefängnis bekommen. Vorgehalten werden ihm Beziehungen zum Staatssicherheitsdienst der DDR -- Beziehungen, die Forst nicht leugnet; doch er bestreitet, daß sie landesverräterischer Natur gewesen seien.
Forst gibt zu, sich mit dem Leiter der Hauptabteilung Aufklärung im DDR-Ministerium für Staatssicherheit, General Markus Wolf, getroffen zu haben; sein Vetter Karl Böhm, Nationalpreisträger der DDR, hatte die Verbindung hergestellt. Forst leugnet nicht, MfS-Leute in Moskau und Leipzig, in Budapest und Ost-Berlin gesprochen zu haben. Er streitet nicht ab, Auskünfte erteilt zu haben.
Aber er wollte -- so behauptet er beharrlich -- nichts und niemanden verraten, sondern fehlerhafte Beurteilung bundesrepublikanischer Zustände in der DDR korrigieren. Photo-Forst wollte, wie er beteuert, vor allem eines verhindern: einen militärischen Zusammenprall beider Systeme, wie ihn zur Zeit des Kalten Krieges jedermann für möglich gehalten habe.
Was diesen Versuch, die deutsche Spaltung im Alleingang zu überwinden, dubios erscheinen läßt, ist der Umgang Porsts mit professionellen DDR-Agenten. In seinem Unternehmen durfte der funktüchtige Alfred Pilny, ein MfS-Mann, unterschlüpfen; Pilny fungierte als Kurier und vertrat Porsts Interessen in der FDP. Und Forst wußte auch von den Umtrieben des DDR-Agenten Hans Kurt Findeisen, der, wie die Ermittlungen ergaben, als Residentur-Führer für Forst und Pilny zuständig war -- später auch für den von Forst zur SED bekehrten Buchhalter Peter Neumann.
Unterschiedliche Blickwinkel bestimmen die Bewertung des Falles Forst in jedem Detail. Während die Bundesanwaltschaft offenbar davon ausgeht, daß all diese Beziehungen nach Weisung des DDR-Geheimdienstes unterhalten wurden, bestreitet Forst, je einen gezielten Auftrag erhalten zu haben. Während die Strafverfolger überzeugt sind, Forst sei veranlaßt worden, sich in der FDP eine einflußreiche Stellung zu verschaffen und die Deutschland-Politik der Freien Demokraten nach geheimer Richtschnur mitzusteuern, behauptet Forst, nur seinem politischen Verstand gefolgt zu sein.
So haben die Richter zu wägen, ob Forst sich -- wie die Bundesanwaltschaft meint -- über die Duz-Freundschaft mit Erich Mende deswegen gefreut habe, weil von Freund Erich mehr für die DDR zu erwarten war als von dem FDP-Vorsitzenden Dr. Erich Mende. Und nicht leicht dürfte der Nachweis zu erbringen sein, daß die Weitergabe des Schollwer-Flans zur Deutschlandpolitik an die DDR nicht die Interessen der Bundesrepublik gefördert, sondern sie verletzt habe.
Ob Forst nun Dr. Thomas Dehler oder Dr. Klaus Dehler, Herrn Erich von Loeffelholz, Herrn Dr. Hermann Gentner oder Herrn Dr. Albrecht Haas Geld gab, wie es Ende der 50er Jahre geschehen sein soll, die Frage bleibt stets: aus welchem Motiv und zu welchem Zweck.
Die Bundesrichter müssen auch herausfinden, welche strafrechtliche Bedeutung der Tatsache zukommt, daß Hannsheinz Forst 1961 den Freien Demokraten bei der Finanzierung ihres Bundestagswahlkampfs entgegengekommen ist. Damals druckte Parteifreund Forst Werbematerial, ermäßigte den ursprünglichen Endpreis von 894 000 Mark um 300 000 und ließ sich statt dessen -- um Steuern zu sparen -- auf das Konto einer Schweizer Porst-Firma 216 000 Schweizer Franken überweisen. Die FDP will den Zweck des Transfers, der ihr rund zwölf Prozent Rabatt einbrachte, freilich nicht erkannt und die Zahlung ordnungsgemäß verbucht haben.
FDP-Schatzmeister Hans Wolfgang Rubin erläutert das großzügige Entgegenkommen des Nürnberger Partei-Druckers so: »Porst war, weil seine Druckerei maul + co damals nicht ausgelastet war, ungewöhnlich interessiert an diesem großen Auftrag. Deswegen habe ich hart verhandelt und Rabatt rausgeschlagen.« Wohin und in welcher Währung zu überweisen war, sei ihm egal gewesen: »Wenn er die Zahlung auf den Mond verlangt hätte, hätte ich auch gezahlt.«
Während Erich Mende zu dem Vorgang heute »kein Wort sagen« kann. weil er »mit den Einzelheiten finanzieller Regelungen nicht befaßt gewesen« sei und Rubin den Verdacht eines Zusammenhangs zwischen augenfälligem Preisnachlaß und der Bezahlung in Franken mit den Worten »Unsinn« und »Kokolores« wegwischt, behauptet Porst: »Das war denen doch klar« -- zumal er seinen Verhandlungspartnern gesagt habe: »Nennt mir eine Schweizer Firma, der ich von einer meiner Firmen eine Rechnung schicken kann.«
Die Rechnung schickte laut Porst seine Firma INAG -- damals Chur, jetzt Basel -- »auf Veranlassung von denen« für »die Erledigung von Marktforschungsaufgaben und Beratungsaufgaben« an die Basler Firma Aspe, die den Betrag überwies.
Und zumindest gelegentlich suchte Hannsheinz Porst sein FDP-Engagement auch rein geschäftlich nutzbar zu machen. So ging es zum Beispiel 1958 darum, die Einfuhrbedingungen für japanische Ferngläser zu lockern. Photohändler Porst, der 70 000 Gläser im Wert von mehr als vier Millionen Mark in die Bundesrepublik einführen wollte, bat Walter Scheel um Unterstützung. Und der FDP-Vorsitzende bestätigte bei einer Vernehmung: »Ich habe den Eindruck mitgenommen, daß Herr Porst sich mit mir über handelspolitische Fragen unterhielt, die seine eigenen geschäftlichen Interessen berührten.«
So schwer sich die Positionen des Angeklagten Porst zwischen Geschäft und Politik, zwischen Nachrichtendienst und gesamtdeutscher Träumerei bestimmen lassen, so eindeutig scheint der prozessuale Standort des Mitangeklagten Alfred Pilny.
Der in Österreich geborene Deutsch- und Lateinlehrer ohne Examen, neben dem nächste Woche zum zweitenmal auch der bereits in der Schweiz abgeurteilte Peter Neumann (SPIEGEL 38/1968) auf der Anklagebank sitzen wird, trug die Decknamen »Adam« und »Perser«. Er wurde 1955 aus Ost-Berlin in die Bundesrepublik geschleust, wußte Mikrate (Punktschrift-Botschaften) anzufertigen und konnte im einseitigen Funkverkehr Befehle seiner Auftraggeber aus der DDR auffangen.
Pilny erhielt nicht nur Arbeit in Porsts Druckerei maul + co, er wurde sogar Hauslehrer der Porstkinder und arbeitete später in demselben -- von Porst unterhaltenen -- Büro in der Nürnberger Teutonenstraße 71a, das auch dem FDP-Politiker Dr. Klaus Dehler als Schreibstube diente.
In der Beziehung zu Pilny liegt Porsts Schuld, so er schuldig ist. Wie diese Verstrickung und Porsts Gespräche mit Vetter Böhm wie Geheimdienstgeneral Wolf straf rechtlich zu würdigen sind, ist freilich problematisch. Denn zur Zeit der Tat galt ein anderes Gesetz als zur Zeit der Rechtsfindung in Karlsruhe.
Porst unterhielt seine Kontakte, als ein Straftatbestand galt, »für den es«, wie Bundesrichter Dr. Horst Woesner kritisiert, »eine innere Berechtigung nie gegeben hat«. Es war der Paragraph 100 e des Strafgesetzbuches, den die westdeutsche Rechtsprechung nach den Gesetzen des Kalten Krieges handhabte. Bestraft wurde im Vorfeld des Landesverrats jede Unterhaltung mit einem DDR-Bürger, von dem der westdeutsche Gesprächspartner annehmen mußte, er sei auf das Ausspähen eines Staatsgeheimnisses bedacht.
Dieser Paragraph wurde am 1. August vergangenen Jahres gestrichen. Nunmehr macht sich nach den neuen Paragraphen 98 und 99 des Strafgesetzbuches nur noch strafbar wer
* »für eine fremde Macht eine Tätigkeit ausübt, die auf die Erlangung oder Mitteilung von Staatsgeheimnissen gerichtet ist«;
* »gegenüber einer fremden Machl oder einem ihrer Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt«
* »für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist«;
* »gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt«.
Grundsätzlich ist nach Paragraph 2 des Strafgesetzbuches »bei Verschiedenheit der Gesetze von der Zeit der begangenen Tat bis zu deren Aburteilung das mildeste Gesetz anzuwenden«. Fraglich aber scheint, ob dieser Grundsatz auch für den Fall Porst gilt. Zwar drohen sowohl der abgeschaffte Paragraph 100 e als auch die Ersatzstraftatbestände jeweils Gefängnis bis zu fünf Jahren an, so daß
am Strafrahmen gemessen -- beide Vorschriften gleich mild oder gleich streng sind.
Aber der überholte und die geltenden Paragraphen sind, so argumentieren Rechtsgelehrte« wesensverschieden und bestrafen völlig verschiedenartiges Verhalten. So gesehen ist das geltende Recht gegenüber dem Recht der Tatzeit weder milder noch schärfer, sondern einfach anders.
Folgt man dieser Theorie, wäre im Ergebnis Porst freizusprechen, weil zur Tatzeit noch nicht strafbar war, was nunmehr strafbar ist und zur Zeit des Urteilsspruchs nicht mehr strafbar ist, was zur Tatzeit strafbar war.
Will der Bundesgerichtshof diese Konstruktion verwerfen, muß er die Rechtslage daraufhin prüfen, welches Gesetz nach Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung zur günstigsten Beurteilung des Angeklagten führt -- der Paragraph 100 e oder der Paragraph 99.
Aus solcher Sicht wäre entscheidend, wann eine Tätigkeit »gegen« die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. Informationen über die Ansichten einer Partei etwa zur Frage der Anerkennung der DDR oder zum Atomsperrvertrag könnten schwerlich als Interessenschädigung angesehen werden.
Gilt das Tatbestandsmerkmal »gegen« dem BGH als nicht erfüllt, entfällt eine Strafbarkeit nach Paragraph 99. Das mildeste Gesetz aber ist immer das, nach dem ein Angeklagter nicht bestraft werden kann.
Der Angeklagte Porst, der sich dem Osten anvertraute, hat das Vertrauen in den Westen nicht verloren. Er meint, er müsse freigesprochen werden.