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NACHRUF ERNST ROWOHLT 23.VI.1887 - 1.XII.1960

aus DER SPIEGEL 50/1960

Mit it der Sektflasche in der, Hand eine Schlägerei entscheiden, mit dem Weinglas herunterspülen, was die wenigen erlesenen Restaurants, die eigens für seinesgleichen noch zu existieren scheinen, über Buchenscheiten zelebriert haben, mit dem Whiskyglas in der Hand die Probleme dieser Welt herausfordern - so wünscht Hemingway seine Helden und so war sein deutscher Verleger, ein großgebauter Mann von fast vorzeitlicher Vitalität, deren Übermaß er mit den beinahe kannibalischen Gewohnheiten seiner Vorfahren erklärte, friesischen Brinksitzern, die fremder Leute Schafe hüteten und mit den Zähnen kastrierten.

Hinterm Anekdotengestrüpp« das in Jahrzehnten um ihn herumgewuchert ist, hatte er sich behaglich eingerichtet, aber nicht allzu bequem - er mag an dem schauerlichen Spaß, nach dem Schnaps auch noch das Glas zu verzehren, noch festgehalten haben, als ihm der Stiel gar nicht mehr so gut schmeckte, »to make propaganda«, wie er Thomas Wolfe und Thomas Wolfe den Lesern verraten hat.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß alle Anekdoten und Legenden dieses gargantuesken Daseins herzlicher Männerfröhlichkeit wahr sind, auch die schlimmeren, solange schon die Eckdaten dieser Existenz wie eine Legende klingen: Ein Druckerei-Angestellter, der zwei Gedichtbände verlegt - aus dem zweiten, aus Scheerbarts »Katerpoesien«, zitierte er gern »Charakter ist nur Eigensinn, es lebe die Zigeunerin« -, der bereits diesen ersten, nur auf den Buchumschlägen existenten Verlag Ernst Rowohlt in »London, Paris, New York« ansiedelt, insgesamt dreimal unter seinem Namen einen Verlag gründet und sich alle drei Male in diesem hierorts doch gewiß nicht abenteurerhaften Gewerbe einen Spitzenplatz sichert - auch dank der Autoren, die er kolonnenweise entdeckte und die untereinander in so gut wie nichts übereinstimmen, außer darin, daß sie keine Abstinenzler sind.

Er hat den Bestseller erfunden - oder was war das sonst, als er Carl Ludwig Schleich überredete, seine besonnten Vergangenheits-Memoiren zu schreiben, die seitdem Wilhelm Busch den Hinterglasplatz im deutschen Eßzimmerbüfett streitig machen -, er hat als erster mit Plakaten für Bücher Reklame und als erster in Büchern Platz für Reklamen gemacht, er hat inDeutschland die erste literarische Zeitschrift im Rotationsdruck verlegt, die »Literarische Welt«, und später, nach der einstweilen letzten Katastrophe, noch einmal mit dem Rotationsdruck eine Konjunktur provoziert - 37 Millionen rororos sind es bis jetzt -, und er hat mit Marek-Cerams Göttergräbern dem mit nichts im Geschäft vergleichbaren Triumphzug des Sachbuches die Fackeln angezündet.

Das alles kann nicht ohne Anekdoten hergehen und ging auch nicht. Etwa die Hälfte seiner Autoren wurde ihm im Dritten Reich verboten, aber emigrieren mußte er erst, als sich herausstellte, daß der Name des nicht nur erlaubten, sondern als kerndeutsch gefeierten Stifterbiographen Urban. Roedl das Pseudonym eines jüdischen Autors war. Und umgekehrt: Mitten im Krieg, quer über den blockierten Atlantik, kam

Rowohlt aus Sao Paolo zurück. Kästner scherzte: »Die Ratten betreten das sinkende Schiff.«

Als es gesunken war, verlangte und bekam er die Lizenz in allen vier Zonen und ließ sich auch später, als die Welt das Schwarz-Weiß-Spiel entdeckt hatte; nicht das Moskauer Weltjugendtheater verderben und nicht den Leipziger Becher-Empfang, so beklommen auch seine Leute im Hause nun die Zeitungen aufschlugen. Er ließ sich nicht mehr stören, weil er sich als exzellenter Verleger unbezweifelbar etabliert hatte: Seine Autoren Sinclair Lewis, Hemingway, Faulkner und Camus bekamen ihre Nobelpreise gewiß nicht weil, aber jedenfalls nachdem er sie verlegt hatte - der Inder Rabindranath Tagore bekam den Preis am Tag, nachdem der Gedichtband akzeptiert war.

Seine eigenen Memoiren hat Rowohlt zwar geschrieben. Verlegt hat er sie nicht.

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