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OSTKONTAKTE Ernst und ehrlich

aus DER SPIEGEL 41/1964

Tagelang suchten Bedienstete des

Bundeskanzleramtes in der letzten

Woche in den Aktenablagen ihrer Behörde zwei Blatt Papier, die es nach öffentlichem Zeugnis des früheren Hausherrn Konrad Adenauer überhaupt nicht gibt.

Die beiden holzhaltigen Bogen im. Format DIN A 4 tragen Texte, die im September 1962 in Ost-Berlin verfaßt und auf einer Regierungsschreibmaschine der DDR mit schlechter Farbbandfarbe getippt worden sind - ohne Briefkopf, ohne Datum, ohne Über- und Unterschrift.

Nach einer Beschreibung des Ost-Berliner Ministerpräsidenten Willi Stoph vom 1. September dieses Jahres in der Volkskammer sind es »zwei Dokumente, die dem westdeutschen Bevollmächtigten zur Weiterleitung an Bundeskanzler Dr. Adenauer übergeben wurden«.

Tags darauf dementierte Konrad Adenauer aus seinem Urlaubsrefugium Cadenabbia, daß »der Bundesregierung oder mir persönlich zwei 'Dokumente' der Sowjetzonen-Regierung übergeben worden« seien.

Dabei hat der alte-Kanzler fast genau zwei Jahre vorher, nämlich am, 21. September 1962; 'die beiden Ost-Berliner Texte in der Hand gehabt und mit Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt, dem Berliner Buhdessenator Klaus Schütz und dem Bonner Berlin-Bevollmächtigten Felix von Eckardt darüber beraten - Auch in Cadenabbia.

Am 17. August 1962 hatten Ost-Berliner Grenzwächter den Flüchtling Peter Fechter an der Mauer niedergeschossen und am Fuße des sozialistischen Großbauwerks elend verbluten lassen.

In den folgenden Tagen griffen aufgebrachte Jugendliche sowjetische Fahrzeuge in West-Berlin tätlich an, die West-Berliner Polizei wurde in Straßenschlachten mit empörten Demonstranten verwickelt, die Peter Fechter rächen wollten.

US-Außenminister Rusk bestellte in Washington Sowjetbotschafter Dobrynin und protestierte, Konrad Adenauer kündigte eine Demarche bei den Alliierten an. Gleichzeitig beauftragte der Kanzler über seinen Berlin-Bevollmächtigten Felix von Eckardt den Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel, Dr. Kurt Leopold, in Ost-Berlin vorstellig zu werden.

Fünf Tage nach dem Fechter-Mord, am 22. August 1962, entledigte der Interzonenhandelsmann sich des Kanzler-Auftrags bei seinem ständigen Ost-Berliner Gesprächspartner Heinz Behrendt: »Die Situation ist so ernst, daß sie einem Bürgerkrieg zusteuern kann. Keiner kann die Folgen absehen und tragen. Es kommt auch nicht darauf an, jetzt die Frage aufzuwerfen, wer daran die Schuld trägt.«

Wie könne man, warnte Leopold, unter solchen Umständen erwarten, daß der Interzonenhandel sich ausweite, wie die Ostseite es wünsche. Diese Worte seien »ernst und ehrlich« gemeint. Leopold forderte seinen Gesprächspartner nachdrücklich auf, diese Warnung an die

zuständigen Ost-Berliner Stellen weiterzuleiten.

Behrendt versprach, es zu tun, und vier Wochen später, am 17. September 1962, übergab er dem Dr. Leopold die Antwort der DDR-Regierung, die auf zwei Blatt Papier fixiert war, zur Weiterleitung an Konrad Adenauer.

Auf Blatt eins wurde beteuert, auch nach Meinung der DDR sei das Verhältnis »zwischen beiden deutschen Staaten« äußerst unbefriedigend. Es komme darauf an, zu einem Minimum an korrekten Beziehungen« zu gelangen, am besten durch Gespräche zwischen je einem Staatssekretär aus Bonn und Ost-Berlin. Man sei aber auch bereit, andere Vorschläge zu prüfen.

Auf Blatt zwei las Leopold, am Anfang jeder Entspannung hätte der »Ausbau der ökonomischen Beziehungen« auf der Ebene Leopold-Behrendt zu stehen, und zwar »auf der Basis langfristiger Zahlungsziele«. Unabdingbar sei, daß solche Verhandlungen unter äußerster Geheimhaltung geführt würden.

Leopold- übermittelte die Texte nach Bonn, und zusammen mit Felix von Eckardt trafen sie am 21. September 1962 bei Konrad Adenauer in Cadenabbia ein, am gleichen Tage, an dem sich auch die Berliner Sozialdemokraten Willy Brandt und Klaus Schütz angesagt hatten.

Die Viererrunde kam einmütig zu dem Schluß, der Dr. Leopold solle den Faden weiterspinnen, seinem Widerpart Behrendt einen Interzonenhandelskredit von 400 Millionen Mark in Aussicht stellen und dafür verlangen, die Diskriminierung der West-Berliner beim Betreten des, Ostsektors der Stadt abzuschaffen: Die West-Berliner müßten Ost-Berlin mit den gleichen Formalitäten betreten dürfen wie Bundesbürger, also gegen Vorlage des West-Berliner Personalausweises an der Sektorengrenze, wo dann ein Passierschein ausgestellt wird.

Wieder zurück in Bonn, gab Konrad Adenauer am 9. Oktober 1962 im Bundestag eine Erklärung ab, in der er sagte: »Ich erkläre erneut, daß die Bundesregierung bereit ist, über vieles mit sich reden zu lassen, wenn unsere Brüder in der Zone ihr Leben so einrichten können, wie sie es wollen.«

Am nächsten Tag, dem 10. Oktober 1962, unterbreitete Kurt Leopold dem Heinz Behrendt, worüber er zunächst mit sich reden lassen wolle: über den Kredit und den innerstädtischen Verkehr in Berlin. Für die Zukunft stellte Leopold weitere Gesprächsthemen in Aussicht, an denen beide Seiten interessiert seien. »Ich handele hier im Einvernehmen mit den höchsten bei uns zuständigen Stellen, die diese Verhandlungen billigen.«

Die Verhandlungen kamen aussichtsreich voran, und Ost-Behrendt stieß sich nicht daran, daß Leopold eine Berliner Frage regeln wollte, die nach offizieller Ost-Berliner Lesart die Bundesregierung eigentlich nichts angeht.

Nur eines verlangte Behrendt: Eine Abmachung über den Berliner Sektorenverkehr müsse auf östlicher Seite von dem stellvertretenden Außenminister Paul Wandel unterzeichnet werden, einem Funktionär, der in der Pankower Hierarchie noch unter einem Staatssekretär wie zum Beispiel Wendt steht.*

Leopold bekam jedoch von der Bundesregierung keine Genehmigung, gemeinsam mit Wandel zu zeichnen. Die Lage in Berlin hatte sich inzwischen entspannt. So scheiterte schließlich das Geschäft, für 400 Millionen Mark den Zugang der West-Berliner nach Ost-Berlin zu erkaufen (laut Stoph war daran der Ausbruch der Kuba-Krise im Oktober 1962 schuld).

Ein Jahr später, Weihnachten 1963, war die Bundesregierung einverstanden, daß der DDR-Staatssekretär Wendt das Passierscheinabkommen zusammen mit dem West-Berliner Senatsrat Korber unterschrieb.

Ost und West bewahrten tiefstes Stillschweigen über die 1962er Verhandlungen, bis der FDP-Chef Mende 1964 wegen vermeintlicher Ostkontakte in die Schußlinie der CDU geriet (SPIEGEL 36/1964). Dann erst lüftete Willi Stoph in der Volkskammer den Schleier: »Hoffen wir, daß der Bundeskanzler Erhard nicht hinter Dr. Adenauer zurückbleibt.«

Im Palais Schaumburg ist die Suche nach den beiden DDR-Papieren, deren Existenz Konrad Adenauer abstritt, inzwischen eingestellt worden. Sie wurden in einer Orientstelle des Wirtschaftsministeriums aufgefunden.

* Der zweite Mann nach einem DDR-Minister heißt Staatssekretär und Erster Stellvertreter des Ministers«, danach folgen pro Ministerium mehrere stellvertretende Minister.

DDR-Ministerpräsident Stoph

Schweigen versprochen und gebrochen

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