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AUSSIEDLER Ernste Mahnung

Macht Warschau die Aussiedlung weiterer deutschstämmiger Polen von neuen Bonner Krediten abhängig?
aus DER SPIEGEL 22/1979

Im Abstand von dreieinhalb Stunden starteten am Donnerstag letzter Woche zwei prominente Regierungsvertreter vom Köln-Bonner Flughafen Richtung Osten. Gemeinsames Reiseziel: Warschau.

An Bord der um 7.30 Uhr abhebenden Lufthansa-Boeing war Günther van Weil, Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Er wollte mit dem polnischen Vize-Außenminister Josef Czyrek Abrüstungsfragen, die Vorbereitung der Madrider KSZE-Folgekonferenz und die Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen besprechen.

Mehr aus privaten Gründen flog Staatssekretär Klaus Bölling dem AA-Mann, nach Zwischenlandung in Frankfurt, mit einer »Tupolew« der polnischen Luftfahrtgesellschaft LOT nach. Der Regierungssprecher war beim Polen-Besuch Kanzler Helmut Schmidts im November 1977 von dem idyllischen Masuren-Flecken Lansk besonders angetan. Prompt wurde der »engagierte Verfechter der deutschpolnischen Aussöhnung« (Bölling über Bölling) von seinem Warschauer Amtskollegen Wlodzimierz Janiurek eingeladen, dort einmal ein paar Tage auszuspannen.

Wie auf den in offizieller Mission angereisten van Weil wartete in Warschau auch auf den Feriengast Bölling ein hochgestellter Gesprächspartner: der Vorsitzende der KP-Fraktion im polnischen Parlament, Edward Babiuch, der erst Anfang April sich mit dem SPD-Fraktionschef Herbert Wehner besprochen hatte.

Beide Staatssekretäre machten in der polnischen Hauptstadt zu einem Zeitpunkt Visite, da Heikles auf der Tagesordnung steht: Auf der einen Seite will das von einer schweren Versorgungs- und Wirtschaftskrise geschüttelte Ostblockland weitere westdeutsche Finanzhilfen, auf der anderen Seite wünscht Bonn einen befriedigenden Fortgang der Übersiedlung Polen-Deutscher in die Bundesrepublik.

Die Situation erinnert an das Jahr 1975. Damals setzten sich in Helsinki, unmittelbar nach Abschluß der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), Kanzler Helmut Schmidt und Polens Parteichef Edward Gierek zum nächtlichen Poker um Mark und Menschen zusammen.

Nach stundenlangem Feilschen war das Geschäft perfekt. Polen kassierte von Bonn 2,3 Milliarden Mark -- eine Milliarde in Form eines 25jährigen Finanzkredits zum Zinssatz von 2,5 Prozent, 1,3 Milliarden als pauschale Abgeltung von Ansprüchen polnischer Bürger an die ehemalige deutsche Reichsversicherungsanstalt.

Im Gegenzug verpflichteten sich die Polen, binnen vier Jahren 120 000 bis 125 000 Deutschstämmige in die Bundesrepublik ausreisen zu lassen. Doch damit scheint es, trotz kontinuierlich gestiegener Aussiedlerzahlen, Schwierigkeiten zu geben.

Nach der Bonner Statistik sind zwischen Oktober 1975 dem von Warschau behaupteten Vertragsbeginn -- bis zum April dieses Jahres rund 75 000 Deutsche aus Polen gekommen. Demnach müßten bis Oktober noch 45 000 bis 50 000 Aussiedler folgen, was, gemessen am bisherigen Monatsdurchschnitt, kaum zu schaffen ist.

Bonn wiederum datiert den Vertragsbeginn nicht auf den Monat, in dem beide Seiten das Abkommen unterschrieben, sondern auf Mai 1976, den Zeitpunkt des Inkrafttretens. Danach sind bisher nur rund 65 000 Übersiedler gemäß den Helsinki-Vereinbarungen registriert. Mithin fehlen noch 55 000 bis 60 000 deutschstämmige Polen, die bis nächsten Mai das Land verlassen müßten.

Mit der Ausreise der 125 000 Deutschen ist das Problem allerdings keineswegs ausgestanden. Denn in der sogenannten Offenhalteklausel hat Polen zugesagt, daß auch nach Ablauf der Vierjahresfrist und ohne zeitliche Einschränkung »Personen, die auf Grund ihrer unbestreitbaren deutschen Volkszugehörigkeit ... auszureisen wünschen«, die Genehmigung erteilt wird.

Wie viele Menschen das sein könnten, ist umstritten. In Bonn ist die Rede von rund 100 000 weiteren »Ausreise-Anliegen« (ein Regierungsbeamter). Kundige aber wollen wissen, daß Warschau es, von einzelnen Härtefällen abgesehen, am Ende doch bei den vertraglich fixierten 125 000 Ausreisen belassen möchte.

Einen Ausweg aus dem Konflikt, der dann auch noch Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen im Bundestagswahlkampf 1980 zu werden droht, deutete schon während der Warschau-Reise Wehners der »Vorwärts« an. Vielleicht sei »auch in diesem Fall«, schrieb das SPD-Organ Anfang April, »ein Interessenausgleich dadurch herzustellen, daß sich die Bundesrepublik an polnischen Industrieprojekten beteiligt«.

Tatsächlich hat Warschau einen Bonner Kredit in Höhe von 750 Millionen beantragt. Mit dem deutschen Geld wollen die Polen ein Kombinat bauen, um das für die Stahlherstellung verwendete Metall Vanadium im Nordosten ihres Landes zu fördern. Und es hat den Anschein, daß die polnische Regierung zwischen dem Kredit und der weiteren Behandlung des Aussiedlerproblems durchaus ein Junktim sieht.

Das aber wird mit Sicherheit die westdeutsche Opposition auf den Plan rufen, die von einem solchen Handel nichts wissen will. Schon' forderte CDU-Mdß Herbert Czaja' Präsident des Bundes der Vertriebenen, Bonn müsse, wenn Warschau die Ausreise stoppe, den Kreditrahmen einschränken. Czaja: »Man wird sehen, wer länger aushält.«

An derlei Drohgebärden kann der Bundesregierung -- schon im Interesse der ausreisewilligen Polen-Deutschen -- nicht gelegen sein. Aber auch sie hat eine ernste Mahnung an Warschau. Ein Kanzler-Berater: »Von den Ausreisemöglichkeiten auch nach Ablauf der vier Jahre hängt die Qualität der deutsch-polnischen Beziehungen ab.«

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