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KOMMUNISMUS Erst beim A

aus DER SPIEGEL 30/1961

Teurer Freund Chruschtschow, wir Araber verstehen, daß die Sowjets ihre Freundschaft nicht verschenken, ohne etwas dafür zu erwarten«, schrieb der Chefredakteur der angesehenen Kairoer Zeitschrift »Al Musauwar« in einem Offenen Brief an den sowjetischen Regierungschef.

Und boshaft fügte er hinzu: »Geben Sie sich mit unserer Art von Neutralität zufrieden. Wir werden niemals Ihre Feinde sein. Das ist ein hoher Preis, den wir für Ihre Kredite bezahlt haben.«

Die Moskauer Antwort auf diese ungewöhnliche Zurechtweisung kam prompt. »Diese Angriffe«, grollte die »Prawda«, »sind gegen ein Land gerichtet, mit dem die VAR (Vereinigte Arabische Republik) freundschaftliche Beziehungen unterhält.«

Dem folgte die sowjetische Drohung, Nassers VAR notfalls die Rubel-Zuwendungen zu kürzen, falls der einstige Lieblingsneutrale sein Verhalten gegenüber der kommunistischen Großmacht nicht ändere. »Wer wird den Baum fällen, der ihm Schatten spendet?« warnte die »Prawda« die selbstbewußten Ägypter.

Mit wachsendem Ärger hat die Sowjetregierung in den vergangenen Wochen registriert, daß VAR-Staatschef Gamal Abd el-Nasser eine immer kühnere Schaukelpolitik zwischen Ost und West praktiziert, die den Wert sowjetischer Milliarden-Investitionen am Nil recht fragwürdig erscheinen läßt.

Ein Besuch des jugoslawischen Marschalls Tito in Kairo stärkte das arabische Selbstbewußtsein. Just von diesem Anti-Moskau-Rebellen, den Nasser von allen lebenden Staatsmännern am meisten verehrt, ließ sich Ägyptens Diktator für einen Plan begeistern, der bald das Mißtrauen des Kreml erregte:

Die blockfreien Nationen sollten aus den jugoslawischen Erfahrungen im Verkehr mit den Großmächten lernen, hatte Tito geraten. Sie sollten sich wirtschaftlich von Ost und West unabhängig machen und zusammen eine Dritte Kraft bilden.

Zum 1. September luden Tito und Nasser Staatsmänner aus über zwanzig neutralen Ländern zu einem Treffen nach Belgrad ein. Auf einer Vorkonferenz in Kairo beschlossen im Juni Vertreter der nach Belgrad eingeladenen Nationen: Die Gipfel-Konferenz der Neutralen wird sich gegen den Kolonialismus wenden - jedoch ohne Assistenz Moskaus.

Als Sowjetbotschafter Wladimir Jerofejew im Kairoer Außenministerium den Sinn dieses Beschlusses zu erfahren suchte, bedeutete man ihm kühl, er möge sich nicht in Angelegenheiten der VAR einmischen.

Ägyptens Nationalheld, der so bereitwillig Rubel-Milliarden einkassiert hatte, schenkte jedoch nicht nur dem Ketzer Tito Gehör und brüskierte die Kremlherren; Nasser lobte auch demonstrativ Moskaus amerikanische Widersacher.

Solche Unbotmäßigkeit bewog den Kreml, dem unsicheren Alliierten in Ägypten nicht allein den Entzug der Rubel-Kredite anzudrohen, sondern auch die Regierung in Kairo offen zu attackieren.

Solange Nasser mit dem Westen wegen des Suezkanals zerstritten war, hatte der Kreml in dem Kairoer Staatschef einen willkommenen Bundesgenossen im Nahen Osten gesehen - ungeachtet der Kommunistenverfolgungen in Ägypten und Syrien.

Nicht einmal die unerwartete Verbindung Syriens mit Ägypten (der Sowjetbotschafter in Damaskus: »Wir dachten, Syrien sei bereits in unserer Tasche. Doch als wir heute früh unsere Hand in die Tasche steckten, fanden wir dort schon Abd el-Nasser") kühlte Moskaus Freundschaft zu Nasser. Sowjetdiplomatie und Sowjetideologie sollten getrennt bleiben.

Obgleich dem Parteimenschen Chruschtschow solche staatsmännische Unterscheidungskunst sauer wurde, wahrte er doch den Burgfrieden mit Nasser. »Was die Politik der VAR gegenüber dem Kommunismus betrifft«, schrieb er nach Kairo, »so will sich die Sowjet-Union nicht in die inneren Angelegenheiten der VAR einmischen.«

Als sich der VAR-Staatschef jedoch immer weiter von der sowjetischen Neutralitätsthese entfernte, ließ die sowjetische Sorgfalt im zweigleisigen Verkehr mit den Ägyptern sichtlich nach.

So entdeckte der sowjetische Rundfunk plötzlich, daß der libanesische Kommunist Faradschallah el-Helu bereits vor zwei Jahren in Nassers Gefängnissen am syrischen Damaskus zu Tode gemartert worden war. Das Zentralkomitee der sowjetischen KP begnügte sich zwar vorerst mit einem Beileidstelegramm an die Genossen im Libanon, aber schon im Mai wetterte Regierungschef Chruschtschow beim Empfang einer Parlamentsdelegation aus Kairo: »Es gibt kein Gefängnis in der Welt, das eine kommunistische Idee ersticken könnte. Der Zar verhaftete Lenin - und heute ist ein Gagarin Kommunist«.

Höhnte Chruschtschow: »Nasser ist als Abc-Schütze des Kommunismus erst beim A angekommen. Aber eines Tages werdet auch ihr Kommunisten. Schon sehe ich in eurer Mitte die Führer der zukünftigen Kommunistischen Partei. Ihr behauptet, daß ihr den Sozialismus gewählt habt. Aber ihr wißt ja nicht, was das ist.«

Die Ägypter schickten zwei Wochen

später - nach Beratung mit Nasser - eine spitze Antwort: »Sie haben die Vorteile des kommunistischen Systems hervorgehoben. Aber das gleiche können auch die Amerikaner uns und Ihnen sagen: Wir kommen besser voran; hier ist der Beweis, daß unser System besser ist.« Die vorgesehene Einladung an den Renommier-Kommunisten Gagarin nach Kairo blieb aus.

Die Erwähnung Amerikas im Schriftverkehr mit Nikita Chruschtschow war kein Zufall: Zum erstenmal spielte Nasser, zumindest polemisch, die USA gegen Sowjetrußland aus. Noch mehr: Nasser ließ in arabischen Zeitungen über sowjetische Fehlschläge beim Bau des Assuandammes berichten und schickte seinen Vizepräsidenten Baghdadi nach Bonn, um einen 500-Millionen-Kredit für den Bau des Euphratdammes in Syrien auszuhandeln.

Auch John F. Kennedys Botschaft, in der Amerikas Präsident gegen den Rat vieler Nahost-Experten die Frage der Palästina-Flüchtlinge wieder aufrührte, fand ein günstiges Echo. Ägyptische Diplomaten in Beirut verbreiteten nun schon die Kunde, Gamal Abd el-Nasser erwäge einen Besuch beim US-Präsidenten in Washington.

Staatschef Nasser, Geldgeber: Gagarin nicht eingeladen

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