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AFFÄREN Erst erschossen

Streit um die Waffen-SS-Vergangenheit des WDR-Chefredakteurs Theo Maria Loch hat dazu geführt, daß WDR-Intendant von Sell in Bedrängnis gerät. *
aus DER SPIEGEL 26/1983

An der Rue de la Loi in Brüssel prosteten sich am Mittwochabend vergangener Woche die Spitzen des Westdeutschen Rundfunks zu. Intendant Friedrich-Wilhelm Freiherr von Sell, 57, und TV-Chefredakteur Theo Maria Loch, 61, feierten im belgischen WDR-Studio den Einstand eines neuen Büroleiters.

Die Stimmung, berichtet ein Teilnehmer, war »etwas nervös« - begreiflich. Denn zur selben Zeit verlangten in der Kölner Zentrale rund hundert WDR-Journalisten die sofortige Beurlaubung Lochs.

Aus Zeitungen hatten sie erfahren, daß der Christdemokrat Mitglied der Waffen-SS gewesen war, zuletzt als Obersturmführer. Die Runde verabschiedete eine Resolution an den Intendanten: »Herr Loch hat uns, den Redakteuren, seine Vergangenheit verschwiegen ... Wir sehen das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und uns, seinen Kollegen und Mitarbeitern, tiefgreifend gestört.«

Gleichzeitig begannen Redakteure mit einer speziellen Personalrecherche: Sie versuchten die Vergangenheit ihres Chefredakteurs für die Regionalprogramme »Aktuelle Stunde« sowie »Hier und Heute« aufzuarbeiten.

Loch war 1940 als 18jähriger freiwillig in die Eliteeinheit »Leibstandarte SS Adolf Hitler« eingetreten, Dienstnummer 377032, NSDAP-Mitgliedsnummer 7083 586. In Hitlers Krieg diente er unter anderem bei der 12. Kompanie des 3. Bataillons in Griechenland und der Sowjet-Union. Am 30. Januar 1944 wurde der 22jährige zum Obersturmführer befördert, danach war er beim Stab des 12. SS-Korps und wurde Kompaniechef.

Im Nachkriegsdeutschland gab Loch in offiziellen Lebensläufen statt des SS-Dienstgrades den entsprechenden Wehrmachtsrang an: »Oberleutnant«. Loch: »Wenn ich Obersturmführer geschrieben hätte, hätte doch keiner so richtig gewußt, was das war. Im Grunde war ich ja auch nur einfacher Soldat, der an keiner Greueltat beteiligt war.«

Als Loch 1969 zum WDR kam, notierte er auf einem Formblatt korrekt: »Kriegszeit in der Waffen-SS 1940 bis 1945«. Bei Personalgesprächen, so erinnern sich WDR-Spitzen, habe er nie die Rede auf seine SS-Zeit gebracht. Loch: »Muß man denn das sein ganzes Leben vor sich hertragen?«

Wohl nicht. Die Gründe, daß der Fall Loch in der größten Rundfunkanstalt der Republik zur Affäre gedieh, liegen auch weniger in der Vergangenheit des Chefredakteurs als in der Gegenwart des Senders. Mit Loch ist zugleich WDR-Intendant von Sell ins Visier hausinterner Widersacher geraten.

Am Montag dieser Woche will der WDR-Verwaltungsrat unter anderem den Vorwurf von Sell-Kritikern klären, der Intendant habe den Räten die ihm bekannte SS-Karriere seines Günstlings Loch verschwiegen, als er ihn 1977 aus dem Bonner WDR-Studio nach Köln auf den Chef-Sessel holte. SPD-Verwaltungsratsmitglied Heinz Kühn, Nordrhein-Westfalens einstiger Ministerpräsident, sprach letzte Woche von »einem Fehler der Personalabteilung«, für den auch der Intendant verantwortlich sei.

Solche Worte deuten darauf hin, daß die Loch-Affäre den Intendanten in Bedrängnis bringen wird - zumal seit langem schon im Sender eine Serie von Peinlichkeiten läuft, bei denen stets der Hausherr von Sell die Hauptrolle spielt.

Seit der adelige Sozialdemokrat vor sieben Jahren die Leitung der Anstalt am Kölner Wallrafplatz übernommen hat, ist aus dem »Rotfunk« (CDU-Schimpf) ein »Todfunk« (WDR-Jargon) geworden: Immer häufiger wurden Programme gestoppt, geschnitten oder abgesetzt; Bürokratie, Führungsschwächen und Versorgungsfilz wuchern im einstmals liberalsten ARD-Sender.

So erhielt von Sell (22 690 Mark Monatsgehalt) vorschriftswidrig für seine Stadtwohnung und sein Landhaus Zuschüsse in Höhe von rund 80 000 Mark. Bewilligt hatte die Gelder - am Verwaltungsrat vorbei - dessen ehemaliger Chef, der Christdemokrat Konrad Grundmann.

Als gegen den WDR-Kontrolleur Grundmann der Vorwurf erhoben wurde, er habe sich von der Neuen Heimat für einen Bungalow einen sechsstelligen Preisnachlaß gewähren lassen, wurde wiederum von Sell aktiv: Der Intendant wies Chefredakteur Loch an, sich persönlich und mit aller Sorgfalt um den Fall des Christdemokraten (von Sell: »Ein tüchtiger Mann") zu kümmern. Ein Beitrag über Grundmanns finanzielle Kungeleien mit der Neuen Heimat wurde daraufhin wochenlang zurückgehalten.

Hintergrund des jüngsten Streits, der Auseinandersetzung um die SS-Vergangenheit des Chefredakteurs, ist das enge Zusammenspiel von Sell/Loch - ein Fall von Proporz, wie er nachgerade typisch geworden ist für die öffentlich-rechtlichen Anstalten. Der SPD-Mann von Sell, selber von der CDU als Intendant toleriert, hatte dem Verwaltungsrat als Kandidaten für die Chefredaktion 1977 den Christdemokraten Loch präsentiert - offenbar in der Erwartung, gleichsam als Gegenleistung SPD-Stimmen für Loch mobilisieren zu können.

Jedenfalls fügte es sich, daß von Sell, um dem siebenköpfigen Gremium den Neuen vorzustellen, eine kurzgefaßte Loch-Biographie parat hatte, mit Löchern an den braunen Stellen. Den SS-Hinweis in der Personalakte hatte von Sell übersehen - gewollt oder ungewollt.

Der Kandidat Loch kam durch. »Wenn wir Lochs Vergangenheit gekannt hätten«, urteilte Sozialdemokrat Kühn letzte Woche, »wäre er nicht gewählt worden.«

Nur so ist es zu erklären, daß sich Kühn in der Fernsehreihe »Zeitzeugen« über seine Rolle als Widerstandskämpfer im Dritten Reich ausgerechnet vom SS-Soldaten Loch befragen ließ. Kühn heute: »Ich würde es abgelehnt haben, mich von einem solchen Mann interviewen zu lassen.«

Publik geworden ist Lochs SS-Laufbahn erst durch einen Hinweis in einem kürzlich erschienenen Buch ("Freunde in der Not") seines Waffenbruders und ehemaligen Fernsehkollegen Franz Schönhuber, der wegen seiner SS-Bekenntnisse seinen TV-Posten zur Verfügung stellen mußte. Loch zu Autor Schönhuber: »Warum mußten Sie denn das Ganze auch wieder aufrühren?«

Dem Christdemokraten will einfach nicht einleuchten, warum ein einstiger Waffen-SS-Angehöriger 38 Jahre nach Kriegsende nicht Fernsehchef sein soll - in einem Land, in dem immerhin ein früherer SS-Mann wie Hanns Martin Schleyer Arbeitgeber-Präsident sein durfte.

Loch zum SPIEGEL: »Ich habe den Eindruck, daß man erst von Terroristen erschossen werden muß, damit einem verziehen wird.«

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