Erst Freundschaft
Verblüfft nahm das Bonner Verteidigungsministerium die ungewöhnlichste Einladung an, die es je erreicht hatte. Über die Bundesbotschaft in Peking lud die chinesische Volksbefreiungsarmee Kameraden der Bundeswehr zu baldigem Sportaustausch ein.
Zunächst wollten beide Seiten ihre Schwimmer gemeinsam ins Wasser kommandieren. Sie fanden wegen der bevorstehenden Weltmeisterschaft keinen passenden Termin. Statt dessen eröffneten die Volleyball-Mannschaften der chinesischen Volksarmee und der Bundeswehr das Match. Im März reisten chinesische Volleyball-Soldaten in die Bundesrepublik, Ende April kehrte die Bundeswehr-Auswahl vom Gegenbesuch zurück.
»Das ganze Jahr über«, schrieb die »Peking-Rundschau«, treiben die Menschen in den »Einheiten der Volksarmee Sport und trainieren für die Revolution«. Aber nicht mehr mit dem kommunistischen Teil Deutschlands: Den letzten Wettkampf mit DDR-Sportlern bestritten die Chinesen vor 15 Jahren.
Chinas Soldatensportler traten auch nicht dem »Sportkomitee der befreundeten Armeen« bei, das die Ostblock-Staaten und Kuba vereinigt. Vielmehr bewarben sich die Chinesen bei der Konkurrenz, dem »Conseil International du Sport Militaire« (CISM). Dem Militärsport-Weltverband gehören 72 Staaten der westlichen, der arabischen und der dritten Welt an. 1977 stimmte die CISM-Vollversammlung in Damaskus für die Aufnahme der Volksrepublik China.
Im Zeichen von CISM gingen auch die Volleyball-Soldaten aus China und der Bundesrepublik auf Reisen. Im März trafen 20 Chinesen im Mao-Einheitslook mit Ballonmütze ein, pikanterweise über Bukarest. Rumänien hat als einziges Ostblockland mit dem CISM Kontakt. Der Stellvertretende Direktor für Auswärtige Angelegenheiten im Verteidigungsministerium, General Sehen Schao-hsing, leitete die Delegation.
* Angehörige der chinesischen Volksbefreiungsarmee und der Bundeswehr beim Volleyball-Spiel ihrer Auswahlmannschaften im März in Warendorf.
Geduldig besichtigten die Volksarmisten, was ihre Gastgeber ihnen an kapitalistischen Sehenswürdigkeiten vorführten: das Bundesleistungszentrum für Reiterei und modernen Fünfkampf in Warendorf, ein westfälisches Landgestüt, das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald und das Münchner Olympiagelände, das Kölner Wallraff-Richartz-Museum und den Kölner Dom.
Einen Alpenrundflug unternahmen die Chinesen im Hubschrauber. Bei einem Empfang für seine Landsleute und ihre deutschen Sportgegner bedankte sich der chinesische Botschafter für Betreuung und Besichtigungen herzlicher, als es diplomatische Routine erfordert.
»Sehr beeindruckt von der Aufnahme und dem Programm« verabschiedete sich General Sehen mit seiner Volleyball-Truppe, bevor sie, Bierkrüge als Gastgeschenke im Gepäck, wieder in Richtung Osten abhob.
Zum Gegenbesuch flog die in Warendorf stationierte Volleyball-Auswahl der Bundeswehr, insgesamt 17 Soldaten, mit Linienflug nach Peking. Da die Chinesen bei ihrem Besuch die »etwas aufgebesserte Bundeswehrkost«, wie ein Sprecher versicherte, mit Messer und Gabel bekämpft hatten, lehnten die Deutschen in China standhaft die angebotenen Bestecke ab und aßen Morcheln und Bambussprossen mit Stäbchen.
Die Deutschen reisten in Zivil, legten zu den offiziellen Anlässen aber ihre Montur an. Wie hoch die Chinesen die Bundeswehrgäste einstuften, zeigten sie durch das Protokoll: Als Gastgeber toasteten bei Empfängen der Stellvertretende Generalstabschef Wu Hsiutschüan und der Vizedirektor der Politischen Hauptabteilung im Verteidigungsministerium, Huang Yü-kun. Während die Chinesen bis auf ihren General in der Bundesrepublik in Kasernen untergebracht worden waren, nächtigten die Deutschen in chinesischen Hotels.
Anders als in der Bundesrepublik, wo Militär-Volleyballer keine öffentliche Beachtung finden, kündigten in China Plakate und Zeitungen die Spiele wie ein internationales Großereignis an.
Die Pekinger Arbeitersporthalle war mit 14 000 Zuschauern gefüllt, das Fernsehen sendete Ausschnitte vom Spiel. In Kanton blieb in der städtischen Sporthalle kein Platz frei; das Fernsehen übertrug live.
Während des Spiels in Kanton verloren die Deutschen bei 32 Grad und 96 Prozent Luftfeuchtigkeit bis zu drei Kilo Gewicht pro Mann. Das offenbar fachkundige Publikum spendete für ihren Einsatz mehr Anerkennung und Beifall, als sie je zuvor eingeheimst hatten.
Nach militärischer Fachsimpelei in der Technischen Schule der Panzertruppen und bei einer Infanteriedivision durften die deutschen Soldaten durch die Verbotene Stadt marschieren und die Große Mauer besichtigen.
»Erst die Freundschaft, dann der Wettkampf«, zitierten die Chinesen ihren verstorbenen Vorsitzenden Mao, trieben für die Volleyball-Spiele lauter lange Kerls zwischen 1,82 und 2,04 Meter Körpergröße auf und siegten, obwohl die Deutschen die Spielstärke einer Volleyball-Bundesligamannschaft aufbrachten, in Warendorf ebenso wie in Peking und Kanton. Nur im letzten
* In der Technischen Schule der Panzertruppen der chinesischen Volksbefreiungsarmee bei Peking.
Spiel gegen die Auswahl der 24. Infanteriedivision in Foschan östlich Kanton erschmetterten die Bundeswehrspieler Siege in den ersten beiden Sätzen.
Da erinnerten sich die Deutschen an Maos Freundschaft-vor-Wettkampf-Parole und boten den Chinesen an, vor den folgenden Sätzen beide Mannschaften zu mischen. So geschah es. Begeistert feierten die Zuschauer die bundesdeutsch-chinesische Koalition.