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MANAGEMENT / FÜHRUNGSKRISE Erst mal warten

aus DER SPIEGEL 14/1971

»Und wenn ich die Arme eines Kraken hätte«, so schwor Fred J. Borch, Chef des US-Konzerns General Electric (GE), »dann könnte ich doch nie alle Abteilungen von GE umspannen.

Borch hat es schon vor »Jahren aufgegeben, das größte Elektro-Unternehmen der Welt (400 000 Beschäftigte, 31,9 Milliarden Mark Jahresumsatz) allein zu regieren. »Von der Raumfahrt bis zur Glühbirne«, so meinte der GE-Herr, »hat der Konzern zu weit gespannte Interessen, als daß ein einzelner alle richtigen Entscheidungen treffen könnte.«

Wie Borch haben die Manager in vielen Grollkonzernen der USA und Westeuropas mit einer Führungskrise zu kämpfen: Entscheidungen, die Generaldirektoren noch vor Jahren mittels einsamer Beschlüsse trafen, fallen immer mehr ins Kollektiv.

Gründe: internationale Verflechtungen, zunehmend komplizierte Produktionsverfahren, neue Formen der Finanzierung und des Marketing sowie immer kürzere Innovationszeiten. (In den USA entfielen 1960 etwa 18 Prozent des Industrieumsatzes auf Produkte, die es vier Jahre zuvor noch gut nicht gab.)

So teilt heute GE-Chef Borch die Macht über den Elektroriesen, den er jahrelang wie ein unumschränkter Fürst beherrscht hatte, neuerdings mit einem Direktorium von vier Vizepräsidenten, einem Exekutiv-Stab und einem Verwaltungs-Stab. »Seitdem«, so Borch, nunmehr Primus inter pares, konnte man in völlig neue Dimensionen der Planung und Vorbereitung von Entscheidungen vorstoßen.

Nach GE-Vorbild haben inzwischen eine Reihe anderer amerikanischer Firmen -- wie Singer, Ampex und Union Carbide -- ihr Management neu organisiert, Auch Italiens Autokönig Giovanni Agnelli, seit fünf Jahren Chef des Turiner Fiat-Konzerns, erkannte, daß »ein Auto-Konzern heute nicht mehr geführt werden kann wie beispielsweise ein mittelalterliches Herzogtum.

Zwei Jahrzehnte lang hatte Vittorio Valletta, engster Vertrauter des Firmengründers Giovanni Agnelli (ein Großvater des jetzigen Fiat-Chefs). den Konzern selbstherrlich regiert. Bis ins hohe Greisenalter hinein (Valletta starb 1966 im Alter von 114 Jahren) hell er es sich nicht nehmen, selbst die Toilettenspülung in den Fiat-eigenen Altersheimen zu kontrollieren.

Je weiter sich aber Italiens größtes Privat-Unternehmen (heule 185 000 Beschäftigte, 10,2 Milliarden Mark Jahresumsatz) ausdehnte, »um so mehr«, so entschied Valletta-Nachfolger Agnelli, »ergab sich die Notwendigkeit, die Unternehmens-Gruppen die Entscheidungen die sie angehen, auch selbst treffen zu lassen.

Zu diesem Zweck: heuerte der neue Boß die amerikanische Management-Beratungsfirma Worden & Risberg an. Mit Hilfe der Organisations-Experten aus den USA teilte er den Konzern in einzelne Sektoren auf, die seitdem Entwicklung. Produktion und Marketing in eigener Regie betreiben dürfen. Bis dahin waren diese Aufgaben der Zentrale vorbehalten.

So schufen Agnelli und seine Berater selbständige Bereiche für Personenautos, Lastkraftwagen und Industriefahrzeuge, Flugzeuge, Schiffsmotoren und für die konzerneigenen Stahlwerke. Nur die zu Fiat gehörenden italienischen Lancia-Autowerke und die italienisch-französische Holdinggesellschaft, über die Fiat Frankreichs Autokonzern Citroën kontrolliert, werden weiterhin von Turin ferngesteuert.

Mit diesem Konzept kopierte Agnelli, der jährlich mehrmals zu Studien. zwecken in die USA reist, eine Management-Technik, die von amerikanischen Betriebswirtschaftlern nach dem Krieg entwickelt worden war: das Delegieren von Verantwortung ("management by delegation").

Ähnlich wie Fiat hoffen Westdeutschlands Industrie-Riesen, ihre Führungsprobleme durch importierte Management-Systeme zu lösen -- so etwa der Duisburger Maschinenbau-Konzern Demag AG und die Münchner Siemens AG, Westdeutschlands größter privater Arbeitgeber.

Bei Demag (23 850) Beschäftigte, 149 Milliarden Mark Jahresumsatz) etwa konkurrierten jahrelang 36 Produktions-Gruppen außer gegen fremde Firmen auch gegen sich selbst. » Wenn etwas schiefging«, so schilderte Demag-Chef Wolfgang Reuter die Lage, »beschuldigte die eine Gruppe die andere, die wiederum irgendwen sonst beschuldigte. Wir hatten ein richtiges Karussell.« Reuter, der 1967 die Nachfolge seines Vaters Hans als Generaldirektor bei Demag übernahm, straffte den Konzern.

Mit Hilfe der amerikanischen Management-Berater-Firma McKinsey reduzierte er die Zahl der Produktionsgruppen auf vier. Den Gruppenleitern werden seitdem von der Zentrale genau vorgeschriebene Produktions- und Absatz-Ziele vorgegeben ("management by objectives"). Mit Hilfe von Computern läßt Reuter in kurzen Abständen überprüfen, inwieweit das Soll erfüllt wird.

Erfolg der Zielplanung: Innerhalb der letzten drei Jahre stieg der Demag-Umsatz um 71 Prozent.

Einen ähnlichen Weg zur Konzern-Planwirtschaft ging Siemens. Der Konzern (300 000 Beschäftigte, 12,6 Milliarden Mark Jahresumsatz) drohte in einem solchen Übermaß von bürokratischen Strukturen zu ersticken, daß selbst Siemens-Aufsichtsratsvorsitzer Ernst von Siemens die Organisation des Unternehmens als » rückständig, bürokratisch und schwerfällig« tadelte.

In der Tat funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den historisch gewachsenen Siemens-Hauptgesellschaften (Siemens & Halske AG, Siemens-Schuckertwerke AG, Siemens-Reiniger-Werke AG) kaum noch. Ernst von Siemens: »Der Kunde wußte überhaupt nicht mehr, wer für ein bestimmtes Produkt verantwortlich war.«

Überdies hatte sich erwiesen, daß das alte Organisationsschema durch den technischen Fortschritt überholt war. So gab es beispielsweise noch bis vor wenigen Jahren getrennte Bereiche für Stark- und Schwachstromtechnik -- eine Unterscheidung, die durch die Anwendung von Schwachstromtechnik im Starkstrombereich langst obsolet war. Seit 1961) arbeiten die beiden Bereiche zusammen.

Aus den organisatorischen Schwierigkeiten befreite sich Siemens schließlich aus eigener Kraft -- ohne amerikanische Management-Beratungshilfe. Vorstandschef Dr. Gerhard Tacke: »Wie lange, glauben Sie braucht ein Unternehmensberater, bis er soviel von unserem Unternehmen weiß, um unsere Probleme zu erkennen?« Die Siemens-Manager teilten das Unternehmen in sechs neue Bereiche auf (Bauelemente, Datentechnik, Energietechnik, Installationstechnik, Medizinische Technik und Nachrichtentechnik).

Die Umorganisationen forderten freilich auch ihre Opfer. Im Demag-Vorstand etwa legten, als Reuter die ersten Umstellungspläne bekanntgab, vier Vorstandsmitglieder ihre Ämter nieder. Auch bei Siemens »gibt es immer einige Erzkonservative«, so Tacke, »die das Bestehende musealisieren wollen«.

Anders bei Fiat, wo Ginvanni Agnelli, in Turin stets als »Avvocato« (Rechtsanwalt) tu uliert, es schaffte. die Personalprobleme dadurch zu lösen, daß er ausgediente Direktoren auf hochdotierte, aber einflußlose Beraterposten abschob.

»Es ist phantastisch, wie der Avvocato das gemacht hat, schwärmte Agnellis amerikanischer Berater Everett S. Clymer Von Worden & Risberg, »in den USA hätte das ein großes Blutbad gegeben.«

Sein »größtes Problem« aber sah Agnelli darin, genügend geeignete Führungskräfte für die neuen Aufgaben zu finden. Agnelli fand sie zunächst innerhalb des eigenen Konzerns. So wurde zum Beispiel der ehemalige Chef von Fiat-Frankreich, Jacques Vandamme, zum Leiter der Abteilungen Traktoren und Industriefahrzeuge ernannt. Nur einzelne leitende Kräfte holte Agnelli von außerhalb -- wie etwa seinen Finanzchef Francesco Rota vor einer Turiner Bank.

Im allgemeinen müssen wir unsere Führungskräfte selbst heranbilden«, meint Agnelli. Denn nur so glaubt der Turiner Auto-König Führungskräfte zu gewinnen, die mit dem Konzern so vertraut sind, daß sie auch den Arbeitern die Politik der Chef-Büros verständlich mache« können.

Bislang freilich erreichte Agnelli gerade dieses Ziel nicht: Allein im vergangenen Jahr verlor der Konzern durch Streiks und sonstige Fehlzeiten 36 Millionen Arbeitsstunden 130 000 Autos konnten dadurch nicht gebaut werden. »Viele Streiks sind wohl nur deshalb entstanden«, meint ein Fiat-Sprecher, »weil der Arbeitnehmer einfach die Unternehmensziele nicht klar erkannte.«

Um diese Ziele zu verdeutlichen will der Fiat-Herr in seinen Abteilungen nach US-Vorbild sogenannte Labor-Relations-Manager beschäftigen, die den Arbeitern erklären sollen, was das Unternehmen plant. Überdies sollen die Emissäre der Geschäftsleitung in den Fabriken Beschwerden sammeln und der Turiner Zentrale melden.

Italiens Gewerkschaften halten von derlei organisatorischen Schachzügen vorerst wenig. Ein Sprecher der christlichen Gewerkschaft CISL über Agnellis Management-Manöver: »Wir warten erst mal ab, was dabei herauskommt.«

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