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ETHIK »Es geht nur noch um den Tabubruch«

Margot Käßmann, 51, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, zum Medienjahr 2009
aus DER SPIEGEL 53/2009

SPIEGEL: Im deutschen Fernsehen waren im zu Ende gehenden Jahr Reality-Formate wie »Frauentausch«, »Erwachsen auf Probe« oder »Bauer sucht Frau« erfolgreich. Was sagt das über unsere TV-Kultur?

Käßmann: Mir tun die Menschen leid, die vor die Kamera gezerrt werden und oft die Folgen gar nicht absehen können. Der Schutz der Privatsphäre scheint nichts mehr wert. Jugendliche, die in Castingshows gehen und sich dort blamieren, weil sie vielleicht nicht singen können, werden zigmal vorgeführt; die ganze Nation lacht drüber. Wie sollen solche Kinder am nächsten Tag wieder mit Selbstbewusstsein in die Schule gehen? Es geht offenbar nur noch um den programmierten Tabubruch, um nichts anderes. Die Sender müssen sich ihrer Verantwortung für die Menschenwürde wieder bewusst werden.

SPIEGEL: Und wie beurteilen Sie die Printmedien?

Käßmann: Der Umgang mit einer HIVinfizierten Sängerin hat für mich Grenzen überschritten. Mehr kann man einen Menschen nicht bloßstellen. Die Verantwortung tragen aber auch Menschen, die diese Medien kaufen. Würden sie das nicht tun, würde sich die Berichterstattung ganz schnell ändern.

SPIEGEL: Auch die Kirchen haben Verantwortung in den Medien. Ihre Vertreter sitzen in den Fernseh- und Rundfunkräten. Beim Eklat um ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender haben sich die Kirchen kaum zu Wort gemeldet.

Käßmann: Ich habe ein großes Unbehagen, wenn Parteien die Sender beeinflussen. Wir müssen sicher als Kirche immer wieder drauf achten, dass die Personen, die uns in den Aufsichtsgremien der Sender vertreten, auch wirklich einen kritischen Geist einbringen.

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