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»Es gibt zu viele Verrückte hier«

Die Beziehungen zwischen Entführungsorganisationen und PLO-Chef Arafat *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Der wuchtige Mann mit dem rotblonden Bart zog seine schwarze Lederjacke über und verabschiedete sich von seinen Leibwächtern. Er ermahnte sie ihm »unter gar keinen Umständen« zu folgen, stieg in einen vor dem Riviera-Hotel wartenden Mercedes und verschwand irgendwo in den Straßen von West-Beirut.

Dies war - am 20. Januar, kurz vor Mitternacht - der letzte öffentliche Auftritt des anglikanischen Geistlichen Terry Waite, 47. Der Emissär des Erzbischofs von Canterbury, seit Jahresbeginn zu Geheimverhandlungen mit den Entführern zweier amerikanischer Geiseln im Libanon, galt fortan als verschollen. War der erfahrene Unterhändler, der schon mit Persiens Chomeini und Libyens Gaddafi über Geiselbefreiungen konferiert hatte, nun selbst im moslemischen Teil der libanesischen Hauptstadt in die Hände von Entführern geraten?

Zwar erhielt sein Chef, der anglikanische Erzbischof Robert Runcie von Canterbury, vorigen Mittwoch noch »frische Beteuerungen über die Sicherheit« seines persönlichen Gesandten. Kuweits Nachrichtenagentur »Kuna« hingegen vermutete Waite »unter Hausarrest« einer Entführungsorganisation. Noch Ende voriger Woche war Waite nicht wieder aufgetaucht.

Ein Offizier der Drüsen-Miliz PSP, die in Beirut den persönlichen Schutz des Gottesmannes übernommen hatte, argwöhnte: »Er ist verschwunden, wohin, weiß niemand. Es gibt eben zu viele Verrückte hier, die selbst einen Mann wie ihn entführen würden.« US-Diplomaten fürchteten, er sei von der radikalen Schiiten-Organisation »Hisb Allah« (Partei Gottes) entführt worden.

Tatsächlich ist die Kidnapping-Szenerie in West-Beirut seit kurzer Zeit noch verworrener und undurchschaubarer geworden, als sie bisher schon war: Seit Terry Waites derzeitiger Geheimmission wurden innerhalb von zwei Wochen mindestens zwölf Ausländer verschleppt, darunter die beiden Deutschen Rudolf Cordes und Alfred Schmidt.

Für die Entführung von drei Amerikanern und einem Inder, Lehrer am amerikanischen College, übernahm die Gruppe »Islamischer Heiliger Krieg für die Befreiung Palästinas« die Verantwortung. Sie droht, im Falle einer amerikanischen Militäraktion, ihre Geiseln zu erschießen. Mit dem Kidnapping des frankokanadischen Journalisten Roger Auque brüstete sich die »Organisation der Unterdrückten der Erde«.

Den saudischen Botschaftsangehörigen Bakr Damanhuri hält, laut Bekenneranruf bei der Beiruter Tageszeitung »An-Nahar«, die »Organisation für revolutionäre Gerechtigkeit« gefangen. Dessen Landsmann Chalid Dib wiederum entführten die »Partisanen der islamischen Dschihad-Organisation«.

Die Entführer-Gruppen tragen pompös klingende Namen, doch hinter ihnen verbergen sich oft professionelle Kidnapper, die gut vom einträglichen Geschäft mit dem Lösegeld leben. Bei jenen Organisationen jedoch, für die Menschenraub ein wirksames Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ist, spielt seit kurzem wieder ein Mann eine Rolle, dessen Stern im Nahen Osten schon am Erlöschen schien: PLO-Chef Jassir Arafat.

Der Palästinenser-Führer vermittelte zuletzt erfolgreich bei der Freilassung des Franzosen Aurel Cornea. Nach dessen Rückkehr Weihnachten 1986 bedankte sich Frankreichs Premierminister Jacques Chirac ausdrücklich für die palästinensische Hilfe. Cornea war über neun Monate Gefangener der Hisb Allah, die auch verdächtigt wird, die Deutschen Cordes und Schmidt entführt zu haben.

Die Führungspositionen der Truppe, vom iranischen Revolutionsführer Chomeini finanziert und von dessen Revolutionsgarden im ostlibanesischen Bekaa-Tal ausgebildet, sind mit Männern eines mächtigen und einflußreichen libanesischen Geheimbundes durchsetzt, der »Gruppe 17«. Sie ist benannt nach der Direktwahl-Nummer im Telephonnetz des PLO-Hauptquartiers und war ursprünglich für den persönlichen Schutz Arafats verantwortlich.

Ausgerüstet mit den neuesten Waffen und geschult von westlichen wie östlichen Armeen, wuchs sie mittlerweile zu einer der größten und einflußreichsten militärischen Gruppen innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung. Zu den Mitgliedern zählen auch mehrere Dutzend nichtpalästinensische Libanesen, die bedingungslos loyal zu ihrem Chef stehen.

1982, als die israelische Invasionsarmee Arafat und Tausende seiner Freischärler aus dem Libanon vertrieb, setzten sich zahlreiche Unterführer der Gruppe 17 in den Beiruter Untergrund ab. Von dort organisierten die Elite-Krieger Anschläge gegen die israelischen Besatzer und später gegen amerikanische und französische Soldaten.

1984, schiitische Milizen kontrollierten inzwischen West-Beirut, schlossen sich die meisten der abgetauchten Gruppe17-Mitglieder der Hisb Allah an.

Die Partei Gottes, ein radikaler Splitter der größeren und gemäßigteren schiitischen Amal-Bewegung des Rechtsanwaltes und derzeitigen Justizministers Nabih Birri, ist keine Partei im westlichen Sinn - eher eine eingeschworene und männerbündlerische militärische

Organisation mit einem kleinen, aber effizienten Geheimdienst.

Die derzeitige politische Führungsspitze bilden drei Libanesen, die seit vielen Jahren engste Kontakte zur Gruppe 17 und zu Arafat selbst unterhalten: Imad Moghania, Mustafa Schahadeh und Abd el-Hadi Hamadei, ein Bruder des mutmaßlichen TWA-Hijackers Mohammed Ali Hamadei, dessen Auslieferung die USA von Bonn begehren.

Hisb-Allah-Führer Abd el-Hadi Hamadei wurde nicht durch seine Organisation ein einflußreicher Mann. Seine Groß-Sippe wird von Sabri Hamadei, einem der bekanntesten Schiiten-Politiker im Libanon, angeführt. Der Parlamentsabgeordnete und steinreiche Großgrundbesitzer im Bekaa-Tal unterhielt in den siebziger Jahren sogar eine eigene Miliz, die sich mit der staatlichen Gendarmerie Darak gelegentlich harte Feuergefechte lieferte. Denn die Haupteinnahmequelle des Hamadei-Clans sind Anbau und Vertrieb von Haschisch.

Der libanesische Staat war schon vor Ausbruch des Bürgerkriegs nicht fähig, dem Hamadei-Clan das Handwerk zu legen. Getragen von einem auch für arabische Verhältnisse ungewöhnlichen Zusammengehörigkeitsgefühl, stieg der Einfluß der Sippe immer mehr. Selbst Imam Mussa el-Sadr, vor neun Jahren in Libyen verschwundenes religiöses Oberhaupt der Libanon-Schiiten, arbeitete mit den Großdealern zusammen.

Für die erstarkten Schiiten-Milizen in Baalbek wurde die Hamadei-Sippe schnell ein wichtiger Partner: Gegen großzügige Geldspenden übernahm etwa die Amal die Bewachung der riesigen Hamadei-Haschischfelder. (Davor hatten die »Sicherheitskohorten«, die Privatmiliz des syrischen Präsidentenbruders Rifaat el-Assad, diese Aufgabe für den Clan erfüllt.)

Auch die Hisb Allah nimmt mittlerweile Aufträge entgegen, etwa von arabischen Regimen oder deren Geheimdiensten, darunter Syrien, der Iran und die PLO. Bestellte Geiselnahmen gehören seit Jahren zum Geschäft der Partei Gottes. Einer der Kunden ist auch Libyens Revolutionsheld Muammar el-Gaddafi.

Unmittelbar nach dem amerikanischen Luftangriff auf Tripoli und Bengasi im April 1986 übergab die Hisb Allah in West-Beirut zwei britische Staatsbürger, die sie schon Monate zuvor als Geiseln genommen hatte, dem - gaddafihörigen - Palästinenser-Führer Ahmed Dschibril.

Wenige Tage nach dem US-Überfall wurden die Leichen der beiden Briten in den Schuf-Bergen, östlich von Beirut, gefunden. Gaddafi bezahlte die Hisb Allah pünktlich: Es waren 200000 Dollar.

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