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»Es hilft, sich hinzusetzen«

Sinn und Unsinn der Ost-West-Gipfel *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Gipfeltreffen sind ein riskantes Geschäft«, warnt Kenner Henry A. Kissinger in seinen Memoiren, »sie können übermäßige Erwartungen auslösen und zu großen Enttäuschungen führen, von einem Extrem in das andere.«

Wie wahr. Nur: An diese Weisheit gehalten hat sich der professionelle Gipfelpolitiker Kissinger - er bereitete vier Ost-West-Gipfel vor - ebensowenig wie die US-Präsidenten oder deren Rivalen auf seiten der Sowjets.

Die Verlockung war immer zu groß, aller Welt beweisen zu wollen, Krisen und Widersprüche, selbst das komplizierte Poker gegenseitiger atomarer Megatonnen-Aufrechnung ließen sich leicht lösen, wenn sich nur die beiden Mächtigsten in die Augen blickten.

Die Sucht zu gefallen, den Partner zu täuschen und sich selbst der Welt möglichst günstig darzustellen, hat alle zwölf Ost-West-Gipfeltreffen nach dem Krieg begleitet und fast immer bei mageren Resultaten zu gefährlichen Fehleinschätzungen geführt.

Das war schon im September 1959 so, als erstmals ein sowjetischer Parteichef, Nikita Chruschtschow, in den USA erschien, um mit Präsident Dwight D. Eisenhower über die Beendigung des Kalten Krieges zu reden.

Auf einer einwöchigen Sightseeing-Tour gab sich der Generalsekretär als jovialer Friedensfreund, schwadronierte mit einem »Vorschlag zur totalen Abrüstung« und suchte mit seinen Clownerien die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes und seinen Nervenkrieg um Berlin vergessen zu machen.

Dennoch kam bei den abschließenden Gesprächen in Camp David, »zwischen zwei Soldaten«, wie Chruschtschow in seinen Memoiren schrieb, nichts Substantielles heraus.

Bei einem Spaziergang, auf dem Eisenhower seinem Gast eine neue Kegelbahn zeigen wollte, räumte der US-Präsident beim Smalltalk ein, auch er betrachte die Situation in Berlin als »anomal« - was Chruschtschow eilends als die Bereitschaft der USA zu Konzessionen in der Berlin-Frage deutete.

Prompt wurde der Druck auf Berlin verstärkt, und als das State Department eine solche Deutung energisch dementierte, erklärte sich Chruschtschow von Eisenhower »getäuscht«.

Chruschtschows Drohung, mit der DDR einen separaten Frieden zu schließen und West-Berlin zur entmilitarisierten Stadt zu erklären, hielt die Spannung aufrecht und stand noch immer auf dem Gipfel-Programm, als sich der Parteichef aus Moskau zwei Jahre später mit dem neuen US-Präsidenten John F. Kennedy in Wien traf.

Der Präsident, fest entschlossen, den Russen nicht nur für akute Krisenregelung, sondern für ein langfristiges Abrüstungs- und Friedensprogramm zu gewinnen, ließ erstmals wissen, daß die USA die Sowjet-Union als gleichberechtigten Partner anerkennen wollten, aber

nicht bereit seien, dafür amerikanische Positionen ohne Gegenleistung zu räumen.

Die Frage eines Atomwaffen-Sperrvertrages, der weitere Länder vom Besitz von Kernwaffen ausschließen sollte, blieb offen, schon gar nicht wurde der Rüstungswettlauf der Großen verlangsamt. »Ein Nichts mit hartem Rand«, kommentierte die »New York Times« den Wiener Gipfel.

Immerhin gelang es Chruschtschow beim vertraulichen Zweiergespräch wieder, einen politisch wichtigen Punkt zu machen, und wieder ging es um Berlin.

Kennedy erklärte, die Situation in Berlin sei »zweifellos unbefriedigend«, das Kräfteverhältnis solle aber dadurch nicht gestört werden. Chruschtschow in seinen Memoiren: »Ich glaube, er wußte, daß er kein Recht hätte, wegen Berlin einen Krieg zu beginnen.« Zwei Monate nach Wien schloß die DDR unbehindert die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin und baute die Mauer.

Daß Chruschtschow gleichwohl einen Fehler beging, indem er seinen Partner nun für »unerfahren und schwach« hielt, zeigte sich ein Jahr später in der Kuba-Krise. Die Sowjet-Union, von Kennedy ultimativ dazu gezwungen, ihre Raketen auf der Insel wieder abzubauen, mußte den Rückzug antreten.

Als sich US-Präsident Lyndon Johnson mit dem sowjetischen Premier Alexej Kossygin im Sommer 1967 in der Villa »Holly Bush« im amerikanischen Ostküsten-Flecken Glassboro traf, standen die USA schon im Vietnamkrieg, war die Sowjet-Union verschreckt durch die offene Feindschaft der Kulturrevolutionäre beim Rivalen China.

Die leisen Töne der beiden Männer, Gespräche über Großvater-Freuden bei Lammkoteletts am offenen Feuer, verleiteten die US-Presse zu griffigen Schlagzeilen über den »Geist von Glassboro«. Die Welt war voller Spannungen: Krieg in Südostasien und Nahost, weitere Aufrüstung beider Seiten. Gelöst wurde in der Idylle von Holly Bush keines dieser Probleme.

Kossygin, so vermutete Johnson später, habe vom Politbüro zu wenig Ermächtigung bekommen. Daß er selbst nur noch ein Präsident auf Abruf war, verschwieg er. Johnson behauptete dennoch: »Es hilft in der Tat viel, sich hinzusetzen und einem Mann ins Auge zu sehen.«

Erst fünf Jahre später trafen mit Richard Nixon und Leonid Breschnew die beiden Mächtigsten der Welt wieder zusammen. Ein neuer Faktor war im Spiel: Präsidentenberater Henry A. Kissinger agierte als Denker und Lenker.

Der in Deutschland geborene Amerikaner hatte wohl seinen Metternich im Kopf, als er den Plan zu verwirklichen suchte, die Großmächte, die längst Supermächte waren, mit einem Netz von Verträgen aneinander zu binden, um das Risiko von Konfrontation zu mindern. Daß in dieser »Pax russo-americana« der eine doch stärker als der andere sei, hofften insgeheim beide Staaten.

Gipfeltreffen waren nach den Vorstellungen von Kissinger nur der spektakuläre Abschluß zäher Verhandlungsarbeit der unteren Chargen. Geringfügige Korrekturen der Chefs ließen sich dann immer noch als »Durchbruch« feiern. Kissinger: »Ein Gipfel, der keine Resultate bringt, war schlecht vorbereitet.«

Der persönliche Zuschnitt der beiden Partner schien für eine Verständigung günstig. Denn Nixon wie Breschnew waren überzeugt, eine so komplizierte Sache wie den Weltfrieden am besten selber regeln zu können und das nicht etwa anderen zu überlassen. Nie in der Nachkriegsgeschichte haben ein US-Präsident und ein Sowjet-Chef so lange und so gründlich auch über das Schicksal anderer Staaten konferiert wie Breschnew und Nixon.

So intoniert, wurde der erste Besuch eines amtierenden US-Präsidenten in der Sowjet-Union im Mai 1972 ein voller Erfolg - erstaunlich: Nur Wochen davor hatten die USA die Bombenangriffe auf Nordvietnam wieder aufgenommen, sämtliche Häfen vermint, um das Anlanden sowjetischen Nachschubs zu verhindern, und dennoch empfing Moskau die US-Delegation mit allen Ehren.

Kissinger hatte vorgesorgt; fast täglich wurden im Kremlsaal bilaterale Verträge unterschrieben: über Umweltschutz, zum Wohle der Volksgesundheit, der

wissenschaftlichen Zusammenarbeit oder einer Ausdehnung des Handels.

Berlin und die Deutschlandfrage, die problematischen Dauerbrenner bisheriger Gipfel, waren kein Thema mehr. So konnte der seit langem vorbereitete Vertrag zur Beschränkung strategischer Waffen, kurz »Salt« genannt, nach nächtelangem Streit um die Zentimeterzahl im Durchmesser der Abschußrampen schließlich paraphiert werden.

Für Nixon war der Moskauer Gipfel der »Schritt von der Konfrontation zur Kooperation«, für Breschnew ein »Zeichen des guten Willens und der Achtung vor den legitimen Interessen des anderen«. Was Wunder, daß Pekings Parteiblatt »Volkszeitung« höhnte, das Moskauer Treffen sei »die Kumpanei der Erzgangster der Gegenwart«.

Auf dem Gegenbesuch Breschnews ein Jahr später in den USA lag schon der Schatten von Watergate. Forsch nannte Breschnew den USA seinen Preis für weiteres Wohlverhalten der Sowjet-Union: einen Milliarden-Kredit sowie ein zins- und zollgünstiges Handelsabkommen. Durch den Kauf von Ware in dem riesigen Discountladen USA hoffte der Kreml-Chef seine Wirtschaft zu modernisieren und seinen Völkern die Aussicht auf mehr Konsumwaren mitzubringen.

Wieder wurden in Camp David eine Reihe von Kooperationsverträgen geschlossen, eine Konsultationspflicht bei atomarem Risiko ausgemacht und sogar über ein exklusives Abkommen zur Verhinderung von Atomkriegen geredet. Doch die Atomarsenale beider Seiten wuchsen ständig weiter.

Die Militärs in Moskau und Washington waren nur darauf aus, durch Modernisierung und Neuentwicklung von Waffensystemen die geschlossenen Verträge zu unterlaufen, ihr Widerstand gegen die Fesseln der Kontrolle nahm ständig zu.

Einigen konnten sich die Delegationen nur darüber, die unterirdischen Atomtests zu begrenzen und die zulässigen Verteidigungsgürtel gegen Raketen (ABM) von zwei auf einen zu reduzieren. Ein Nachgeben der Russen in den noch ungeklärten Detailfragen von Salt war nicht zu erreichen.

Nur eine Antwort hätte doch noch den großen Erfolg des Gipfels von 1974 bringen können - für den innenpolitisch angeschlagenen US-Präsidenten eine große Versuchung. Auf der Breschnew-Datscha in Oreanda am Schwarzen Meer zog der Kreml-Chef seinen Gast zu einem Zweiergespräch in eine Grotte.

Der nervöse Kissinger erfuhr anschließend von seinem Präsidenten, Breschnew habe ihn ersucht, der Sowjet-Union gegen China »freie Hand« zu gewähren, und Nixon, so behauptet Kissinger in seinen Memoiren, habe zumindest einen Moment darüber nachgedacht, ob das nicht ein Vorteil sei. Vier Wochen später mußte Nixon als Präsident gehen.

Das modifizierte Abkommen über die Begrenzung von Atomwaffen, im Konferenzkürzel »Salt II« genannt, brachte, von den USA nie ratifiziert, dann drei Monate später Nixons Nachfolger Gerald Ford unter Dach, bei seinem Treffen mit Breschnew im schon winterlichen Wladiwostok.

Eine numerische Raketen-Parität war erreicht, doch die Begrenzungszahlen lagen erheblich über dem damaligen Stand und gaben beiden Seiten das Recht zu weiterem Rüsten.

Es dauerte auch noch sieben Jahre, bis Salt II reif zur Unterschrift war. Jimmy Carter war der letzte US-Präsident, mit dem sich Breschnew in Wien im Sommer 1979 traf, der Kreml-Chef war bereits von Alter und Krankheit gezeichnet.

Der fromme Amerikaner nannte die Fleißarbeit bescheiden »einen Vertrag, der die Wahrscheinlichkeit eines Atomkrieges erheblich verringert«. An den gebrechlichen Breschnew gewandt: »Gott wird es uns nicht verzeihen, wenn wir versagen.« Dann küßten die beiden einander.

Beide saßen auch zu Gesprächen über ein drittes Salt-Abkommen zusammen, sie sprachen über die Spannungen im Nahen Osten, im Iran und Afghanistan, über kubanische Truppen in Afrika und über die Menschenrechte.

Breschnew schwieg die meiste Zeit, hörte zu, schien aber den Prediger aus dem Süden der USA nicht immer richtig zu verstehen. Carter: »Ich war etwas enttäuscht, daß es uns nicht gelungen war, weitere Fortschritte zu erzielen.«

Sechs Monate später gab Breschnew die Antwort - er ließ die Sowjet-Armee nach Afghanistan einmarschieren. Der neue kalte Krieg begann. Ein neuer Gipfel war nicht in Sicht.

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