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TONBAND-PREDIGT Es war ganz wunderbar

aus DER SPIEGEL 23/1956

Der Pastor Alfred Salomon wünschte für eine Weile ungestört zu bleiben, als er die Stiege zum zweiten Stockwerk seines Pfarrhauses in Freden an der Leine hochstapfte. Prediger Salomon hatte einen Plan, den er dort oben in der Giebelklause, fernab von den Geräuschen dieser Welt, in die Tat umsetzen wollte. Er machte sich daran, einem Mangel der liturgischen Ordnung abzuhelfen, der nicht nur ihm, sondern auch schon vielen seiner Amtsbrüder in kleineren Gemeinden einen Teil ihrer Gottesdienst-Besucher vergrault hatte.

Für den nächsten Sonntag hatte Pastor Salomon seiner Gemeinde Klein Freden wieder einmal einen sogenannten Lesegottesdienst ankündigen müssen: Ein für diesen Zweck ausgewähltes Gemeindemitglied liest die Predigt aus einem Predigtbuch vor, während der Pastor anderwärts dienstlichen Pflichten nachkommt.

In Klein Freden war das Vorleser-Amt dem Kantor Fascher, 68, zugefallen. Wiewohl dieser Kantor, der früher ein tüchtiger Dorfschulmeister war, die ungeteilte Sympathie der ganzen Gemeinde genießt, so hatte sich doch wiederholt gezeigt, daß die Kirche höchstens halb gefüllt war, wenn er sein Predigtbuch aufschlug. Meint Pastor Salomon: »Ein Lesegottesdienst zieht eben nicht.« Deshalb hatte sich der Pastor etwas einfallen lassen, das den stellvertretenden Vorleser, aber gleichzeitig auch die Anwesenheit des Pastors entbehrlich macht.

Auf dem Tisch der Salomonschen Giebelklause war ein Grundig - TK 5 - Tonbandgerät aufgebaut. Dieses Gerät sollte es dem Pastor ermöglichen, seinen hannoverschen Gemeindemitgliedern das Wort Gottes zu deuten, obgleich der Geistliche zur selben Zeit leibhaftig im Rheinland einen Vortrag über seine Reise nach Palästina halten würde.

Also setzte sich der Pastor Salomon in seinem Giebelstübchen in Positur und begann seine Predigt in das Mikrophon des Tonbandgeräts zu donnern: »Liebe Brüder und Schwestern . . . » Das Band, von dem siebzehnjährigen Pastorensohn, der Hochfrequenztechnik erlernt, fachmännisch angekurbelt, sollte die Klein-Fredener ihre Unzufriedenheit über die Abwesenheit des Pastors vergessen lassen.

Dieser Tonband-Versuch im Giebelstübchen war bereits der dritte seiner Art. Die beiden ersten, die der- Pastor in seinem zu ebener Erde gelegenen Studierzimmer veranstaltet hatte, waren teils an dem im gleichen Raum krächzenden Wellensittich, teils an laut zuknallenden Türen und teils an vorüberfahrenden Automobilen gescheitert. Alle diese Geräusche paßten schlecht in das Gotteshaus.

Der dritte Versuch dagegen gelang zur vollen Zufriedenheit des Pastors, der in

Tonbandsachen kein Anfänger ist. Als nebenberuflicher Schriftsteller liebt er es, Passagen seiner Manuskripte auf Band zu sprechen, um sich mit eigenen Ohren vom Wohlklang seiner Formulierungen überzeugen zu können.

Nachdem Pastor Salomon den Kirchenvorstand und den Helferkreis seiner Gemeinde über das beabsichtigte Experiment verständigt hatte, ohne dabei auf Opposition zu stoßen, verließ er seinen Sprengel und fuhr zu Vortragszwecken gen Westen. Am Sonntag tönte dann seine Stimme durch die Kirche von Klein Freden. Der Pastorensohn hockte in der Nähe der Kanzel hinter dem Grundig -TK 5-Gerät und ließ die Tonbandpredigt, die durch den 3-D-Ton eines Loewe-Opta -Rundfunkgerätes wirksam verstärkt wurde, auf die andächtige Gemeinde niederrieseln.

Nach dem Zeugnis des Pastors Salomon war die Gemeinde hellauf begeistert. Die Leute hätten sofort die Stimme ihres Herrn erkannt. »Ganz groß, das ist er«, habe man einander im Kirchengestühl zugeflüstert. Auch die Bälgetreterin an der Orgel, eine gottesfürchtige Dame aus Goldberg in Schlesien, konstatierte voller Entzücken:

»Es war wunderbar, ganz wunderbar war es.«

Doch fehlt es in Freden nicht an Leuten, die geneigt sind, Pastor - Salomons Vorstöße in liturgisches Neuland »extravagante Faxen« zu nennen.

Sakristeibuch und Handballregeln

Pastor Salomon kann allerdings den heute seltenen Ruhm für sich in Anspruch nehmen, aus den Fredenern eine Gemeinde gemacht zu haben, die treu und fest zur Kirche steht. Aus dem Sakristeibuch -

das auf Salomons Schreibtisch neben einem blauen Heftchen liegt, in dem die internationalen Handballregeln verzeichnet sind - geht hervor, daß die Zahl der Gottesdienst-Besucher, seit Salomon predigt, von Jahr zu Jahr gestiegen ist. Auch die junge Generation steht nicht abseits, wennn die Glocken läuten. »Jugendgottesdienst, Kirche voll« - diese Notiz steht etliche Male in dem Sakristeibuch.

Die Beliebtheit des Pastors bei der Jugend hat freilich nicht nur speziell kirchliche Motive, Pastor Salomon ist Gründer des BSC Freden; er spielt heute noch in der Handballelf dieses Sportvereins unverdrossen auf dem rechten Verteidigerposten. Auch seine sonstigen Steckenpferde - Schiffsmodellbau, Exotenzucht im Aquarium und Ausbildung deutscher Schäferhunde - erwiesen sich als durchaus geeignet, ihm das Herz der Jugend zu öffnen.

Schließlich hat er sogar eine »abenteuerliche Jungengeschichte« unter dem Titel »Der Schatz auf der Flibustierinsel« geschrieben, die von dem Kreuz-Verlag Stuttgart, der das Buch verlegte, so angekündigt wurde: »Salomon weiß wirklich lebendig zu erzählen, seine Fabulierlust und -kunst ist groß, aber sie behält doch immer den Boden der Wirklichkeit unter den Füßen.«

Im Landeskirchenamt der Evangelisch -Lutherischen Landeskirche Hannover, zu deren Einflußgebiet das Pfarramt Klein Freden gehört, übt man gegenüber den modischen Experimenten des progressiven Gottesmannes allerdings Zurückhaltung. Das Amt betont, die Kirche sei Neuerungen gegenüber nicht verschlossen, auch würden Experimente der Fredenschen Art nicht rundweg abgelehnt, doch bestehe zweifellos - die Gefahr einer Entpersönlichung und Mechanisierung des Gottesdienstes. Das Amt hat für die nächste Zukunft eine gründliche Stellungnahme angekündigt.

Pastor Salomon

Fortschritt oder Faxen?

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