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VERBRECHEN Es war irre

Ein 36-Millionen-Coup in Düsseldorf zeigt, wie leicht das Sicherungssystem mancher Banken und Großunternehmen zu knacken ist.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Bei Warentermingeschäften an den Rohstoffbörsen in London und New York hatte Günter Maximilian Schotte-Natscheff, 39, den Umgang mit großen Zahlen gelernt. Als Angestellter der Handelskette Metro brachte er es in der Hauptverwaltung Düsseldorf zum Finanzdisponenten mit guten Karriereaussichten.

Im »Roten Hahn« und im Düsseldorfer Bistro »Orly« hatte Manfred Vowinkel, 40, als Ober mehr mit Kleingeld zu tun. Manchmal war er ganz ohne festen Job und kränklich außerdem. Nicht so gute Aussichten.

Privat waren die beiden Freunde fürs Leben. Zeitweise lebten sie in einer gemeinsamen Wohnung, der geldgewandte Schotte-Natscheff mit frankophilen Neigungen und der biedere Gelegenheitskellner mit einer Schwäche für Schampus -- keine großen Nummern, aber sie drehten, wenn sich der Verdacht der Staatsanwaltschaft bestätigt, eines der ganz großen Dinger der deutschen Kriminalgeschichte:

Der Metro fehlen 36,2 Millionen Mark. Den Batzen soll Schotte-Natscheff in 31 Raten auf das Girokonto seines Freundes bei der Stadt-Sparkasse Düsseldorf, Hauptstelle Berliner Allee, transferiert haben.

Der Branchenriese Metro (acht Milliarden Mark Jahresumsatz), von einer Holding im schweizerischen Zug gesteuert, gibt sich gern ausgebufft und tut so geheimnisvoll wie sonst nur die Sippe von C & A. Die Metro-Manager verschleiern vor der Öffentlichkeit, wo immer sie können, Bilanzen und Konzerndaten.

Bei den Geldinstituten sind die Männer von Metro als Pfennigfuchser gefürchtet. Sie feilschen härter als die Konkurrenz um die besten Zinssätze beim Tagesgeld und spielen die Banker gegeneinander aus.

Doch in der Deutschland-Zentrale in Düsseldorf wurden, so Insider, »die in jeder Klitsche üblichen Vorsichtsmaßnahmen vernachlässigt«. Für die Überweisungen waren, was normal ist, zwei Männer verantwortlich. Von ihnen wurden zweistellige Millionenbeträge jeden Werktag via Westdeutsche Landesbank (WestLB) entweder direkt in die Schweiz transferiert oder auf deutschen Bankkonten zinsgünstig geparkt.

Diese Geldüberweisungen konnten nur vorgenommen werden, wenn der Bank von den Metro-Bevollmächtigten bestimmte Kodezahlen präsentiert wurden. Die Metro-Spitze ließ zu diesem Zweck jeden Morgen einen neuen Kode von zweimal drei Nummern an die vier Hausbanken übermitteln, machte aber den Fehler, sowohl dem Metro-Finanzdirektor als auch seiner rechten Hand, dem Disponenten Schotte-Natscheff, die komplette Kombination mitzuteilen.

Professionell war das nicht. Andere Großfirmen schützen ihre Bankkonten mit einem gesplitteten Kode, etwa so: Jeden Morgen bekommen zwei Leute im Unternehmen je ein anderes Tableau mit einer Folge dreistelliger Zahlen, von denen jede für eine sechs- oder siebenstellige Geldsumme steht. An zwei Kontaktleute bei der Bank übermitteln sie unabhängig voneinander ihre Stichzahl. Erst wenn die beiden Bankleute gemeinsam feststellen, daß die Kombination stimmt, geben sie ihr o.k. für die Anweisung.

Schotte-Natscheff ließ sich, so die Ermittlungen, zwanzig Monate Zeit, das Zahlungssystem zu studieren, dann, im vorigen September, habe er seine private Vermögensbildung begonnen. Neben den normalen Ordern, Dutzende am Tag, ließ er offenbar immer noch eine zugunsten des Vowinkel-Kontos ausführen. Per Fernschreiber habe er der WestLB zum Beispiel getickert: »verwendungszweck w/a-conto zahlung vertrag-nr.: 76534/80«.

Die bei jeder Überweisung -- Beträge zwischen 700 000 und 2,4 Millionen Mark -- notwendige schriftliche Bestätigung habe er nachgereicht, mit zwei Unterschriften, der eigenen und einer gefälschten des Chefs. Nach vier Monaten reichte es. Schotte-Natscheff kündigte zum 31. Dezember vorigen Jahres und bat um ein Zeugnis, weil er ins Bankfach überwechseln wolle.

Für diesen Coup gibt es nur eine Parallele: Der Frankfurter Commerzbank-Prokurist Willi Edler brachte es durch Buchungen auf Freundes-Konten auf 41 Millionen. Dafür brauchte er aber auch über zwei Jahre, bis er 1974 aufflog.

Das Düsseldorfer Duo, so der Erkenntnisstand, schaffte das Millionen-Inkasso in Rekordzeit, weil es sich an eine alte Banker-Regel hielt: Nur wer viel auf dem Konto hat, wird ernst genommen -- egal ob er rote oder schwarze Zahlen schreibt.

Vowinkel, der stellungslose Kellner, habe den Mann von Welt gespielt und sich bei den ersten vier Transfers ausgesprochen großzügig gezeigt. Von den Millionen-Summen habe er nur jeweils 100 000 Mark bar abgehoben, das meiste als Termin-Einlage stehengelassen und dafür Zinsen zwischen 8,5 und 9,25 Prozent kassiert. »Wir hatten das Gefühl«, erinnert sich Fritz Kulins, Vorstandsvorsitzender der Stadt-Sparkasse, »das ist ein seßhafter Kunde.«

Wenn der vertraute Kunde die Hauptstelle der Stadt-Sparkasse nach telephonischer Anmeldung betrat, wurde er immer gleich in den Keller geleitet, wo die VIPs in drei Kunden-Kabinen neben der Hauptkasse bedient werden. Manchmal kam auch der Patron Schotte selber, dem Vowinkel Konten-Vollmacht eingeräumt hatte, und holte mit einem oder zwei Köfferchen das gebündelte Bare, um es gleich darauf mit der Air France nach Paris zu schaffen.

»Völlig ungewöhnlich, daß einer soviel Bargeld auf einmal holt«, räumt Kulins ein, »aber unser Kontoführer hatte großes Vertrauen, weil immer wieder neue Millionen aufs Konto kamen.«

Die Konkurrenz hat gut spotten. »Bei uns«, sagt ein führender Manager von der Kö (Deutsche Bank), »wäre das nie gelaufen.« Bei Kunden, die solche Bewegungen auf dem Konto haben, schlägt der Banken-Computer Alarm. Ab 100 000 Mark muß der Vorgesetzte des Kontenführers, ab einer Million der Filialdirektor informiert werden. Die Fachleute nehmen eine »Plausibilitätskontrolle« vor.

Rätselhaft auch, daß der Metro-Zentrale in der Schweiz der DM-Schwund nicht auffiel. Erst am Abend des 19. Januar meldete sich beim Beamten vom Dienst bei der Düsseldorfer Kripo ein Manager, um den Verlust der 36,2 Millionen anzuzeigen. Vowinkel wurde in der Wohnung seines Partners aufgegriffen; Schotte blieb verschwunden.

Aber schön war es doch, gab er später zu Protokoll. Mit der Concorde sei er des öfteren nach Caracas geflogen, in Paris seien sie im »Ritz« abgestiegen und hätten an Silvester im »Lido« die Puppen tanzen lassen: »Es war irre.«

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