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Briefe

Es war zum Weinen
aus DER SPIEGEL 27/1950

Es war zum Weinen

1941 war ich Sendeleiter bei dem damaligen Reichsprogramm in Berlin. Eines Tages erschien bei mir im Funkhaus ein sympathischer junger Mann und erzählte mir, er käme gerade mit seiner Frau aus Persien, wo sie vom Krieg überrascht worden seien. Ueber Afrika, Sizilien, Italien seien sie nach Deutschland gelangt, und er habe den Wunsch, über seine Erlebnisse im Rundfunk zu sprechen. Er stellte sich als Reichsredner der Deutschen Arbeitsfront vor. Nachdem ich ihm klargemacht hatte, daß er ein Manuskript einreichen müsse, wollte er sich verabschieden.

»Moment«, hielt ich ihn auf, »ich habe eine Frage an Sie. Haben Sie im Iran gelegentlich unsere Sendungen gehört, die wir über Kurzwelle ausstrahlen? Es würde mich interressieren, etwas über ihre Wirkung zu erfahren.«

Er dachte nach. »Zu welchen Zeiten strahlen Sie Ihre Sendungen aus?«

»Tja«, sagte ich, »ich gebe zu, daß die Zeiten sehr ungünstig liegen. Aber um nicht mit den Engländern zu kollidieren, die morgens und in den Abendstunden senden, sind wir gezwungen, uns auf die Zeit von 12 bis 16 Uhr zu beschränken.«

»Mein sehr verehrter Herr«, lachte mein sympathisches Gegenüber, »da ist es allerdings kein Wunder, daß ich im Iran keine einzige Ihrer Sendungen gehört habe. Im Iran wird nämlich von 12 bis 16 Uhr der elektrische Strom abgestellt. Es ist um diese Zeit dort so heiß, daß niemand arbeiten kann ... Die Leute liegen in ihren Häusern und stöhnen vor Hitze. Licht braucht man keins ... also ...« Er hob die schlanken, wohlgepflegten und von der Sonne Persiens gebräunten Hände und sah mich mitleidig an.

Ich schickte den jungen Mann sofort in das Propagandaministerium, wo damals der Reichssendeleiter Hadamowsky Leiter der Abteilung Rundfunk war. Hadamowsky war von den Mitteilungen des Iran-Reisenden so überwältigt, daß er sofort Anweisung gab, die Sendungen einzustellen. Ueber ein Jahr hatte der deutsche Rundfunk mit einem Aufwand an Menschen und Mitteln ins Leere gesendet. Es war zum Weinen. Das Auswärtige Amt erfuhr davon nichts. Die Blamage wäre für das Propagandaministerium zu groß gewesen.

Heute las ich Ihren SPIEGEL vom 27. April. Der junge Mann, der mich vor nunmehr fast 10 Jahren im Funkhaus in Berlin aufsuchte, war weder verheiratet, noch war er jemals im Iran gewesen. Er war auch nicht Reichsredner der Arbeitsfront. Das einzige, was stimmte, war sein Name: Robert (Pitt) Seeger.

Er hat sich übrigens bei mir nicht wieder blicken lassen. Ich traf ihn nur einmal zufällig in der Straßenbahn. Er trug Luftwaffenuniform und war Gefreiter. »Ich bin u. k. gestellt«, erzählte er mir stolz. »Ich schreibe Texte für Herms Niel«.

Nürnberg 5

HERBERT MENZ

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