»Es wird ein böses Erwachen geben«
Der Bonner Wehrminister Helmut Schmidt feierte den Vogel, noch ehe er überhaupt in Sicht war, als »das größte technologische Projekt seit Christi Geburt«. Auf diesem »Fundament«, schwärmte er kühn, könne »die künftige Luftwaffenrüstung für Westeuropa aufbauen.
Das war zu Beginn der siebziger Jahre. Anfang 1981 macht der »Wundervogel der Luftfahrt« (so der damalige Briten-Premier Harold Wilson 1971) weniger seinem Propheten Schmidt, um so mehr seinem Namen Ehre: Tornado.
Im Wirbel um das neue Flugzeug der Bundeswehr könnte über kurz des Kanzlers Verteidigungsminister Hans Apel ruhmlos untergehen -- und mit ihm das westdeutsche Rüstungskonzept der neunziger Jahre.
Noch witzelt der Minister, vor Jahresfrist erste Wahl der Sozialdemokraten als Schmidt-Nachfolger im Kanzleramt, selbstironisch über seine eigene Entwicklung vom »Sonnyboy über den Kronprinzen zum Armleuchter«.
In Wahrheit aber scheint Hans Apel, so glauben viele Genossen, schon so weit, daß er beim nächstbesten Knatsch in Bonn hinschmeißt, um sich aufs politische Altenteil ins heimische Hamburg abzusetzen -- auf den Posten des amtsmüden Bürgermeisters Hans-Ulrich Klose.
Hans Apel ist der vierte Verteidigungsminister, der sich mit dem Tornado herumplagt. Die Maschine macht Schlagzeilen seit bald anderthalb Jahrzehnten. Sie beschäftigte zeitweilig sechs Nato-Länder. Noch um kein Rüstungsvorhaben ist so lange und so heftig gestritten worden, wie um jenes Mehrzweck-Kampfflugzeug, das bis 1988 in der Bundeswehr den Starfighter ablösen soll und das derzeit Deutsche, Engländer und Italiener gemeinsam produzieren.
Für Georg Leber, Schmidt-Nachfolger und Apel-Vorgänger auf der Hardthöhe, stand fest: »Es gibt mit Sicherheit kein Flugzeug, das die Aufgaben so gut erfüllt und das billiger wäre.«
Das mit den Aufgaben muß sich erst noch erweisen. Derzeit ist der zweistrahlige Jagdbomber zwar flug-, aber noch längst nicht einsatzbereit.
Dafür steht schon fest: Der Tornado (Stückpreis Ende 1979: 35,2 Millionen Mark; Systempreis: 67,5 Millionen) ist das teuerste Kampfflugzeug, das je gebaut wurde. Er hat als Dreingabe einen militärisch-industriellen Komplex hervorgebracht, den kaum noch jemand kontrollieren kann (siehe Seite 34).
Und er beschert, gerade eben flügge, dem Verteidigungsminister die schwerste Krise seiner politischen Laufbahn. Hans Apel könnte, erster Volltreffer, zum Opfer des Supervogels werden.
Rundum zufrieden mit dem neuen Gerät, das seit letztem Herbst in Serie von den Bändern läuft, scheint vorerst nur das fliegende Personal zu sein. »Ich habe jetzt 80 Flugstunden auf dem Tornado«, berichtet Major Hartmut Jung, »und nur einen einzigen Flug mußte ich bisher abbrechen.« Solch hohe Flugbereitschaft sei auch bei alterprobten Maschinen der Bundeswehr, dem betagten Starfighter oder der bewährten F 4 »Phantom«, nicht eben häufig.
Luftwaffen-Inspekteur Friedrich Obleser über die bisherigen Flugerfahrungen mit dem zweisitzigen Schwenkflügler: S.29 »Unsere Erwartungen sind übertroffen worden.«
Das ist gewiß mehr, als Kritiker befürchtet und Befürworter erhofft hatten. Doch ausgerechnet jetzt, da das Flugzeug in ruhigeres Wetter zu fliegen scheint, wird Hans Apel von Ausläufern des Wirbelsturms geschüttelt.
Ein 1,2-Milliarden-Mark-Loch bei der Tornado-Finanzierung hat den burschikosen Hanseaten so außer Tritt gebracht, daß mittlerweile nicht nur Oppositionspolitiker an seiner Qualifikation für das schwierige Amt zweifeln. Bei den Koalitionsverhandlungen, in Gegenwart der erstaunten Liberalen, mußte sich Apel schon vom Kanzler anfahren lassen: Ob er sein Haus denn immer noch nicht im Griff habe, er sei doch nun lange genug auf der Hardthöhe.
Diesmal kann sich der Verteidigungsminister Apel nicht mit einer saloppen Bemerkung aus der Affäre ziehen, wie es dem Finanzminister Apel noch 1975 gelungen war. Als damals die Kritik an den Ungereimtheiten der Steuerreform immer lauter wurde, stellte sich der Ressortleiter ahnungslos: »Ich dacht'', mich tritt ein Pferd.«
Schuld war nicht er, schuld hatten seine Beamten, denen er gnadenlos die Pannen anlastete.
Zwar beteuerte Apel auch jetzt zunächst wortreich, er sei lange, bis zum 17. November 1980, »im Stande der Unschuld« gewesen. Die CDU/CSU-Opposition aber hat durch alte Querverbindungen zu Konservativen auf der Hardthöhe längst die Beweise in der Hand, daß der Minister rechtzeitig, wenn auch nicht sehr deutlich, auf die drohende Finanzmisere aufmerksam gemacht worden war.
Schon am 2. Oktober 1979 schrieb der Haushaltsreferent für den Tornado, die Etatansätze 1980 für das Flugzeug seien mit »1200 Millionen außerordentlich niedrig«. Es bestehe die Gefahr, daß die von den beteiligten Ländern Bundesrepublik, England und Italien gebildete Tornado-Beschaffungsbehörde Namma in München »ab dem 4. Quartal 1980 die von der Industrie vorgelegten Rechnungen nicht mehr bezahlen kann«.
Am 9. Januar 1980 wurde im Abteilungsleiter-Ausschuß Planung zu Protokoll gegeben, für 1980 und 1981 zeichne sich ein Mehrbedarf von mindestens einer Milliarde ab. Einen Monat später konkretisierte der zuständige Haushaltsreferent, schon 1980 sei eine »Unterdeckung von 350 bis 400 Millionen Mark« zu erwarten.
Am 29. Februar landeten die gebündelten Prognosen mit einem Dringlichkeitsvermerk des inzwischen pensionierten Rüstungs-Staatssekretärs Karl Schnell schließlich auf Apels Schreibtisch. Der Minister malte, wie üblich, mit grünem Chefstift seine Paraphe auf das Papier.
Ob er den Aktenstoß wirklich gelesen hat, weiß Apel, wie er inzwischen vor dem Verteidigungsausschuß einräumte, selbst nicht mehr genau.
Seine Ausrede: Es sei für einen Minister unzumutbar, außer einem Vermerk auch ein beigefügtes 48-Seiten-Protokoll zu lesen.
Dabei steht fest: Im Inhaltsverzeichnis auf dem Deckblatt ist auch der Punkt »Finanzierungsproblem Tornado« vermerkt. Dieses Kapitel war eineinhalb Schreibmaschinen-Seiten lang und durchaus nicht nur »im Konjunktiv« gehalten, wie Apel sich jetzt entschuldigt.
Auch die zweite Warnung blieb ungehört. Am 28. Mai schrieb Generalinspekteur Jürgen Brandt dem Minister, »innerhalb des vorgeschriebenen Finanzrahmens« sei eine vernünftige militärische Planung nicht mehr zu bewerkstelligen. Er könne ein Eingreifen in die vom Parlament bereits bewilligten Vorhaben nicht mehr ausschließen.
Apel reagierte zwei Tage später bündig: Die Engpässe seien ihm bekannt.
Von Stund an wurden alle Referenten-Hinweise auf fehlende Gelder von den ranghöheren Chargen in Zivil und Uniform mit dem Bemerken abgeblockt, der Minister wisse Bescheid. Man hatte die Warnung ja schriftlich; keiner schlug Alarm.
Kein Ministerialdirektor, kein General erhob Einspruch, als Apel am 30. Juli offiziell erklären ließ: »Die hohen Kosten moderner Waffensysteme führen ... immer wieder zu Diskussionen, ob die Bundeswehr die in Auftrag gegebene neue Waffengeneration finanzieren kann. Das Haushaltsrecht des Bundes und die Finanzplanung der Bundesregierung stellen dies sicher, selbst wenn es sich dabei um langfristige und kostspielige Beschaffungen handelt.«
Rüstungs-Staatssekretär Schnell ordnete am 5. September sogar an, daß der von den Abgeordneten angeforderte Tornado-Jahresbericht »wegen der noch nicht geklärten Fragen dem Parlament vorerst nicht vorzulegen« sei.
Die Haushalts- und Verteidigungspolitiker der Fraktionen werden trotz ihrer Mahnungen auch weiter warten müssen. Apel gab vergangene Woche Weisung, den Bericht neu zu schreiben.
Schwerpunkt im neuen Manuskript soll eine Klarstellung sein: Beim Wirbel um Tornado geht es nicht um eine Preisexplosion des ohnehin teuren Geräts, sondern um eine Fehlplanung.
Als die Herstellerfirmen zu Beginn der Serienproduktion um zwölf Monate in Verzug geraten waren, legten sie auf Druck der Beschaffer ein Aufholprogramm »P 19« vor. Das Verteidigungsministerium und die Koordinierungsstelle Namma stimmten zu, drohten sogar mit Konventionalstrafen, wenn die Pläne jetzt nicht termingerecht erfüllt würden.
Intern aber waren die militärischen Einkäufer, wie der Schriftwechsel zeigt, überzeugt, daß die Firmen es S.30 nicht schaffen würden. Entsprechend niedrig kalkulierten sie die Mittel.
Doch die Industrie behielt recht. Die Bänder liefen schneller und schneller, die Rechnungen stapelten sich.
Der ganze Umfang der Finanzmisere, die sich im Februar angedeutet hatte, wurde nach der Wahl am 5. Oktober publik, als Apel einen Brief seines CDU-Kontrahenten, des Luftwaffen-Majors der Reserve und Bundestagsabgeordneten Manfred Wörner, vom 30. September beantworten mußte. Das Schreiben des Christdemokraten begann mit den beziehungsreichen Worten: »Soeben erfahre ich aus verläßlicher Quelle ...«
Nun erst tat der Verteidigungsminister, was seines Amtes war: Er fragte endlich nach. Die Wahrheit war so trist, daß er sie sich nur stückchenweise von den Abgeordneten abringen ließ und sich dabei mehr als einmal in Widersprüche verwickelte.
Tagelang dachte der 48jährige ernsthaft an Rücktritt, träumte davon, endlich Landwirt zu werden. Dann raffte er sich auf: »Fahnenflüchtig werde ich nicht.«
Vor dem Verteidigungsausschuß wurde er kurz vor Jahresende schon wieder keß: »Geben Sie mir eine Milliarde Mark, und wir brauchen über Tornado nicht mehr zu reden.« Kühl konterte seine Parteifreundin Heide Simonis: »Denkste.«
Denn Apels Ansehen hat inzwischen auch bei den eigenen Genossen Schaden genommen. Der Kredit ist aufgezehrt, den ihm die Parteifreunde einschließlich des Kanzlers bei der Übernahme des schwierigen Amtes, nach dem Rücktritt Georg Lebers im Februar 1978, eingeräumt hatten.
Mit seiner vierjährigen Erfahrung als Finanzminister und noch dazu als »einer, der jede Mark dreimal umdreht« (Apel), schien er wie kaum ein anderer geeignet, jene Milliarden-Verpflichtungen zu bewältigen, die der rührige Waffen-Beschaffer Leber eingegangen war.
Selbst der Umstand, daß Apel als Ungedienter nicht die geringsten militärischen Erfahrungen vorweisen konnte, mochte eher von Vorteil sein: Er würde, so die Erwartung, mehr als Leber eine kritische Distanz zu den Uniformierten halten und der Politik den gebührenden Vorrang bewahren.
Und Politprofi Apel ging unbekümmert flott ans Werk. Seine ersten Truppenbesuche gerieten zu lockerem Talk mit Soldaten. Bei der Nato in Brüssel machte er Front gegen politisierende Militärs, voran gegen den damaligen Oberbefehlshaber Europa und jetzigen US-Außenminister Alexander Haig. Und auch daheim wurde er nicht müde, immer wieder den Primat der Politik zu betonen: »Ich bin nicht nur ein Bundeswehr-Minister.«
Kaum im Amt, stoppte Apel die allzu ehrgeizigen Projekte seiner Militärs.
Generalinspekteur Harald Wust wollte neben Heer, Luftwaffe und Marine eine vierte Teilstreitkraft etablieren, die sich ausschließlich um Nachschub und Transport kümmern sollte. Der Aufwand stehe in keinem Verhältnis zum Nutzen, entschied der neue Minister; Wust rebellierte und nahm schließlich seinen Hut.
Heeresinspekteur Horst Hildebrandt mußte seine Pläne zur Umgliederung des Heeres auf Weisung Apels drastisch reduzieren. Hildebrandt gehorchte; es ging, frohlockte Apel, mit weniger Soldaten und weniger Geld.
Zugleich aber versuchte der neue Chef, sich durch kleine, aber für Militärs feine Gesten das Wohlwollen der Generalität zu sichern.
Als er zum erstenmal das Arbeitszimmer seines Vorgängers betrat, störte ihn die hinter dem Schreibtisch nach US-Vorbild aufgestellte Truppenfahne. Apel: »Die muß raus.«
Der Generalinspekteur malte maulend »verheerende Folgen für die Moral der Truppe« aus. Seitdem residiert Apel vor dem schwarzrotgoldenen Tuch, die Moral scheint gerettet.
Hackenklappen, Frontabschreiten und Grüßen, tönte er wenige Tage später, wolle und werde er nie lernen. Ein Jahr nach Amtsübernahme bekannte er, es gebe so etwas wie Gewöhnungsprozesse: »Inzwischen schlage ich selbst die Hacken zusammen.«
Wieder ein Jahr später konnte er schon nicht mehr spotten. Man könne sich, so der Gewandelte, doch nicht ständig »kritisch belächeln«. Das Amt forme den Menschen: »Identifikation mit dem Amt ist unabdingbar.«
Monatelang stritten die Schreibstuben-Generäle der Hardthöhe über die Frage von Krieg oder Frieden, ob nämlich der Soldat im heißen Sommer zum offenen Hemd Kopfbedeckung tragen müsse. Apel amüsierte sich im Freundeskreis: »Die sind verrückt.«
Dann ließ er es zu, daß die Mützen, als Thema auf die Tagesordnung der Abteilungsleiter-Konferenz gesetzt, zu einer Grundsatzfrage emporgeredet und schließlich -- ohne Entscheidung -- länger verhandelt wurden als die Finanzierung des Tornado.
Gänzlich in den Gleichschritt kam der »gelernte Zivilist« (Apel über Apel), als im Mai 1980 das öffentliche Rekruten-Gelöbnis im Bremer Weserstadion auf Widerstand in der SPD stieß und schließlich in einer von Chaoten provozierten Straßenschlacht endete. Alle Vorschläge seiner Mitarbeiter, den 25. Geburtstag der Bundeswehr nicht mit Zapfenstreich, »Helm ab! Zum Gebet!« und pompös-martialischem Schauspiel zu feiern, sondern mit offenen Kasernentoren, Ausstellungen und Diskussionen, lehnte er stur ab.
Den Verteidigungsminister plagte die uralte Furcht der SPD, die Konservativen könnten die Sozialdemokraten wie gehabt und diesmal im Wahljahr als »vaterlandslose Gesellen« diffamieren. Umstellt von Eichenlaub- und Sternträgern, verdrängte er, daß 18- bis 20jährige Rekruten sich nicht mehr widerspruchslos Thesen von Vaterlandsverteidigung und Wehrfreude vorsprechen lassen, schon gar nicht unter Trommelwirbel. Die wehrdienstleistenden Bürger in Uniform brachten ihre eigenen S.31 Sorgen mit, und die handeln häufig mehr von den Problemen junger Bürger als von den Schwierigkeiten der Uniformträger.
Mit seinem Wortschatz, der das unbefangen Zivile aufgab, änderte sich auch Hans Apel selbst. Ohne einen Abgeordneten um Rat zu fragen, stiftete der Oberbefehlshaber selbstherrlich Ehrenkreuze aus gestanztem Blech, obwohl er selbst als »überzeugter Hanseat« Orden ablehnt.
Immer deutlicher wurde und wird weiter aus dem Bundesminister der Verteidigung ein Bundesminister fürs Militärische.
Apel genügte plötzlich nicht mehr, daß die Streitkräfte in der Öffentlichkeit nur »wohlwollende Gleichgültigkeit« genossen. »Das Sozialprestige der Unteroffiziere und Offiziere«, klagte er, sei »zu gering«. Von den Wehrpflichtigen verlangte er bald nicht nur Mitmachen, sondern freudige Pflichterfüllung: »Man muß auch dienen können.«
Bei der Jubiläumsgelöbnisfeier auf dem Bonner Münsterplatz erreichte Apel schließlich unter den Buh-Rufen Tausender Jugendlicher das Format seines Vorgängers Leber mit der schlichten Anrede: »Meine Soldaten.« Besser hätten es seine Generäle nicht sagen können.
Im Finanzstrudel um den Tornado ist auch Apels Ruf als versierter Kassenwart in Zweifel geraten. Dabei hatte er die Hardthöhen-Milliarden offenbar noch nie so recht unter Kontrolle.
So verkündete er 1978, kurz nach Amtsübernahme, die Bundeswehr werde bis Mitte der achtziger Jahre für 40 Milliarden neue Waffen kaufen. 1979 sprach er von 50 Milliarden, Anfang dieses Jahres in einer Fernseh-Diskussion gar von »55 bis 66 Milliarden«.
Wie diese enormen Unterschiede zustande gekommen sind, konnte er nicht so recht begründen.
Das wäre aber nötig. »Es wird«, prophezeit der FDP-Wehrexperte Jürgen Möllemann, »ein böses Erwachen geben.« Allein um die bereits bestellten Waffen -- Tornado, Alpha Jet, Leopard-2-Panzer, Fregatten und Schnellboote -- zu bezahlen, fehlen bis 1985 mindestens zehn Milliarden Mark, wenn die in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehenen Mittel für die Rüstung nicht überdurchschnittlich aufgestockt werden (SPIEGEL 41/ 1980). Damit aber ist kaum zu rechnen.
Die Folgen zeichnen sich bereits ab. Weil vorab die Tornado-Rechnungen zu begleichen sind, mußten im Rüstungshaushalt 1981 andere Posten, etwa Forschung und Materialerhaltung, gekürzt werden. Die Haushaltsabteilung der Hardthöhe, von den Abgeordneten nach den Folgen befragt, legte jetzt einen vertraulichen Bericht vor.
Danach müssen in den Forschungsinstituten »hochwertige Fachkräfte« entlassen werden, private Werkstätten erhalten weniger Aufträge. Die Bundeswehr kann nur noch wenig üben und »ist nicht mehr in der Lage, ihr Material jederzeit betriebsbereit zu halten«.
Die Bundeswehr als Gammel-Armee auf einem Schrotthaufen -- nur sehr bedingt einsatzbereit?
Ohne Geld und ohne genaues Konzept, bleibt von Apels Absicht, auf einer Klausurkonferenz im März »ohne Tabu« über Organisation und Bewaffnung der Bundeswehr in den neunziger Jahren zu diskutieren, nichts mehr übrig. Obwohl die Waffen des nächsten Jahrzehnts jetzt auf die Reißbretter müßten, schiebt der Verteidigungsminister die Probleme weiter vor sich her.
Dennoch dämmert ihm, daß es vielleicht doch ratsamer wäre, sich nicht nur auf den Sachverstand seiner Generäle und Spitzenbeamten zu verlassen. Er versucht zu lernen, will jetzt von liberalen Verteidigungspolitikern den Vorschlag übernehmen, unabhängige Experten sollten Alternativen entwickeln.
Sein Vorurteil, auch in Zukunft werde es ohne Panzer, Schiffe und Flugzeuge »niemals gehen«, hat er schon revidiert. Vielleicht, meint er nun, tun es billigere Radfahrzeuge und Raketen auch.
Apel ist sogar bereit, über ein Tabu mit sich reden zu lassen: über die Präsenzdoktrin, die 495 000 Bundeswehr-Soldaten ständig Gewehr bei Fuß in Bereitschaft hält. Nach schweizerischem und schwedischem Vorbild könnten auch kleine, nur aus Offizieren und Unterführern bestehende Stamm- und Wartungseinheiten im Krisenfall in wenigen Stunden mit ausgebildeten Reservisten verstärkt und in Marsch gesetzt werden.
Helmut Schmidt hatte schon als Verteidigungsminister mit dieser Idee gespielt, um die Personalkosten der Armee eindämmen zu können. Heute geht fast die Hälfte (43,5 Prozent) des Wehretats (1981: 41,2 Milliarden Mark) für Gehälter, Sozial- und Fürsorgemaßnahmen drauf.
»Hans, ich rate dir dringend, ökonomischen Sachverstand ins Haus zu holen«, empfahl der Kanzler seinem einstigen S.32 Lieblingsminister. Das scheint reichlich spät -- zu spät, um in einer leergefegten Bundeskasse die nötigen Milliarden aufzutreiben; zu spät auch, um im Tornado-Beschaffungsprogramm noch für saubere Verhältnisse zu sorgen.
Denn offensichtlich haben die Jet-Fans in Luftwaffe, Industrie und Behörden zuweilen Preise manipuliert, um den Tornado schneller flügge zu machen.
So wurden die Kosten für die notwendigen Veränderungen auf den künftigen Tornado-Horsten -- Härtung der Startbahnen, Um- und Neubau der bombengeschützten Unterstände wie auch der Wartungs- und Lagerhallen -- einst mit insgesamt 200 Millionen Mark veranschlagt. Jetzt wird allein die Herrichtung des Flugplatzes Jagel, dessen Marinefliegergeschwader 1 den Tornado erhält, 130 Millionen Mark kosten.
Fulminanter war ein seltsames Spiel mit den Ersatzteilkosten des Fliegers. In ihrem Bemühen, das Tornado-Programm am Ende nicht doch noch am Preis scheitern zu sehen, hatten die Beschaffer die Grundausstattung mit Ersatzteilen nämlich von 50 Prozent auf knapp 25 Prozent des Stückpreises reduziert.
Die Folgen sind schon jetzt auf dem mittelenglischen Fliegerhorst Cottesmore spürbar, wo derzeit Briten, Deutsche und Italiener ihre Tornado-Fluglehrer auf den ersten Serien-Maschinen ausbilden. Da die Industrie auftragsgemäß weniger produziert, müssen Ersatzteile immer wieder in Sonder- und Eilanfertigung hergestellt werden -- bisweilen zum zehnfachen Serienpreis.
Das Geld fehlt auch für die Bewaffnung. Die sogenannte Abstandswaffe, voraussichtlich die amerikanische »Maverick«-Rakete, kann mangels Masse kaum vor Ende des Jahrzehnts gekauft werden -- ein Geschoß, das außerhalb der gegnerischen Flugabwehr abgefeuert und dann über Bildschirm ins Ziel gelenkt werden kann.
Erprobt wird derzeit das, neben Atomsprengköpfen, wichtigste Kampfinstrument des Tornado: die unter dem Rumpf aufgehängte Streuwaffe MW 1. Sie stößt aus 112 Rohren in wenigen Sekunden 4000 Kleinbomben und -minen aus, die Flugplätze, Nachschublager und Panzerverbände beschießen soll. Die Testergebnisse sind noch unbefriedigend.
Daß 1988, wenn alle 322 bestellten Maschinen einsatzbereit bei ihren Einheiten stehen, das hochkomplizierte System schon wieder überholt sein wird oder mit gewaltigem Aufwand modernisiert werden muß, steht zu befürchten. Die Tornado-Mannschaften im englischen Cottesmore sind überzeugt, daß »die Russen dem Ding noch ein paar Jahre hinterherfliegen« werden, so der deutsche Tornado-Major Jung -- aber eben nur Jahre.
In den Grenzlagen, für die der Tornado konstruiert wurde, sind die Cottesmore-Crews ohnehin nicht geflogen. Beim automatischen Tiefflug, in dem der Jet auf programmierter Route mit dem »Terrain Following Radar« (TFR) jede Geländeveränderung ausreitet, gehen sie einstweilen nur auf maximal 500 Fuß (rund 150 Meter) herunter. Im Verteidigungsfall soll der Tornado, bei Nacht und Nebel, notfalls überschallschnell, den gegnerischen Radarschirm in 30 bis 60 Meter Höhe unterfliegen -- ein Höllenritt über Hecken und Hügel. Werbung des Herstellers Panavia: »Unterm Zaun durch.«
Doch erschreckt stellten die Führungsstäbler der Luftwaffe jetzt fest, daß ihrem Milliarden-Ding beim Tiefstflug womöglich ein längst vergessenes und primitives Kampfmittel der Engländer aus dem Zweiten Weltkrieg gefährlich werden könnte: Fesselballons.
Das Tiefflugradar des Tornado arbeitet so genau, daß es selbst Hochspannungsleitungen ausmacht und automatisch darüber hinwegzieht. Mit Querseilen verspannte Fesselballons in der Nähe von Flugplätzen oder Nachschublagern könnten den Tornado also aus der Sicherheitszone locken. Er wäre auf Sekunden für gegnerische Elektronik sichtbar und damit im Visier der Flugabwehr.
Die Hoffnung der westlichen Militärs: Der Aufwand für ein solches Sperrsystem -- quer durch das Warschauer-Pakt-Gebiet -- wäre zu hoch. Luftwaffeninspekteur Obleser vertraut zudem der Nato-Aufklärung, die Fesselballons ausmachen könnte: »Damit würden wir fertig.«
Dafür droht die Gefahr für den Tornado von oben. Denn auch die Sowjets entwickeln derzeit eine, so der Soldatenjargon, »Look-down-Kapazität«, die auf modernen US-Jägern vom Typ F-15 bereits zur Standard-Ausrüstung gehört: Ein Radarschirm liefert den Piloten detaillierte Bilder auch dessen, was unter ihnen, also auch im Tiefflug, daherkommt.
In spätestens fünf Jahren, so die Einschätzungen von Nato-Experten, werden die Ost-Jäger auch die passenden Waffen haben, um überschallschnelle Tiefflieger bekämpfen zu können. Die Folgen für den Tornado, in dessen Computer-Innereien schon vorsorglich mal Platz gelassen ist für weitere elektronische Störgeräte, stehen für den Luftwaffen-Führungsstab außer Frage: Ohne Jagdschutz wird der Tornado-Einsatz zum unkalkulierbaren Risiko.
Schöne Aussichten für den Wehrminister, der vor kurzem das europäische Projekt »Taktisches Kampfflugzeug 90« als unbezahlbar platzen ließ. Er müßte, wollte er den Forderungen der Militärs nachkommen, amerikanisches Gerät kaufen, nur -- von welchen Milliarden?
Als das Bonner Kabinett im September 1974 für die Tornado-Entwicklung bis zur Serienreife 1,2 Milliarden Mark bewilligte, ließ Georg Leber ein großes Modell des Vogels in den Kabinettssaal rollen, auch, um den Finanzminister Apel zu beeindrucken.
Kanzler Schmidt begutachtete das Riesen-Spielzeug eher zurückhaltend: »Kriegen wir auch einen Fallschirm mitgeliefert?«
Die Frage bleibt aktuell.
S.28Auf der Luftfahrtschau in Hannover 1980; mitMesserschmitt-Bölkow-Blohm-Gründer Ludwig Bölkow (l.).*S.29Vor einem Tornado auf der Ausstellung »Bundeswehr ''77« inKöln-Wahn.*S.30Mit einer Fiat G-91 während einer Wehrübung beimJagdbomber-Geschwader 49 in Fürstenfeldbruck.*