DAWES-ANLEIHE Etwas Besseres gibt es nicht
Die Bewältigung der deutschen Vergangenheit vollzieht sich nicht allein in den Schulstuben und Vortragssälen der Bundesrepublik, sondern - ungleich konkreter - auch an den internationalen Börsen: Erstmalig kauft jetzt die Bundesrepublik Schuldverschreibungen der nach dem Bankier und US-Vizepräsidenten Charles Gates Dawes benannten Goldmark-Anleihe von 1924 durch Auslosung zurück, allein in London für 170 900 Pfund Sterling, in Paris für
42 400 Pfund und in New York für 1 383 300 US-Dollar.
Diese alten Reichsschulden sind wertbeständiger geblieben als jener politische »Silberstreifen an dem sonst düsteren Horizont«, den Außenminister Gustav Stresemann im Sommer 1924 bei den Verhandlungen der damaligen Reparationskonferenz in London zu sehen glaubte. Grundlage dieser Konferenz war der Bericht eines Sachverständigenkomitees, dem der Amerikaner Dawes pfeifersuchend vorgesessen hatte. Dawes und seine Experten hatten die deutsche Wirtschaftslage gründlich daraufhin untersucht, wie Deutschland befähigt werden könne, die enormen finanziellen Forderungen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu erfüllen.
Als Reparationsschuld waren dem Reich im Jahre 1921 31,4 Milliarden Dollar (132 Milliarden Goldmark) zudiktiert worden. Diese utopische Summe sollte Deutschland bezahlen, weil der in seinem Deutschenhaß maßlose französische Ministerpräsident Raymond Poincaré außer den eigentlichen Reparationen auch Frankreichs Kriegskosten und sogar Pensionen bezahlt wissen wollte.
Indes, die Zahlungsfähigkeit der ausgepumpten deutschen Wirtschaft ließ sich auch durch Kraftakte wie die französische Ruhrbesetzung nicht steigern; der Ruhrkampf verschlechterte nur die deutsche Wirtschaftslage. Vom Herbst 1923 bis zum Sommer des Jahres 1924 berieten deshalb Charles Dawes und seine Experten darüber, wie man Deutschland eine gewisse Atempause und Stärkung zubilligen könne, um den Fluß der Reparationen durch eine Überstrapazierung der deutschen Wirtschaft und Währung nicht grundsätzlich zu gefährden.
Durch den im Londoner Abkommen vom 16. August 1924 schließlich angenommenen Dawes-Plan verpflichtete sich Deutschland, nach einer Übergangszeit mit geringeren Leistungen von 1928 an den Siegern jährlich 2,5 Milliarden Goldmark zu zahlen: davon 1,25 Milliarden aus Etatmitteln - unter Verpfändung deutscher Zölle und der Verbrauchsteuern für Branntwein, Tabak, Bier und Zucker - und elf Milliarden als erststellig hypothekarisch gesicherte Obligationen der Reichsbahn sowie 300 Millionen Zinsen und Tilgungsbeträge aus einer Auflage für die deutsche Industrie in Höhe von fünf Milliarden Goldmark.
Im Dawes-Plan hatte es wörtlich geheißen: »Ziel des Planes ist die Erzielung der höchsten jährlichen Zahlungen durch Deutschland.« Um die zu melkende Kuh erst einmal genügend hochzupäppeln, wurde deshalb 1924 für Deutschland an den internationalen Börsen eine siebenprozentige Anleihe im Werte von 800 Millionen Goldmark
- die Dawes-Anleihe - aufgelegt.
Während aber der Dawes-Plan bald durch den Young-Plan abgelöst wurde und dieser zweite Reparationsplan im Strudel der Weltwirtschaftskrise unterging, hat die Anleihe von 1924 alle Fährnisse der Zeit gut überstanden. Im März 1951 - Dawes lag damals im Sterben - versicherte Bundeskanzler Konrad Adenauer den alliierten Hohen Kommissaren: »Die Bundesrepublik bestätigt, daß sie für die äußeren Vorkriegsschulden des Deutschen Reiches haftet.«
Neuerliche Schuldenverhandlungen, die nun auch den Zweiten Weltkrieg einbezogen, führten 1953 zum Londoner Schuldenabkommen, das für die Käufer der Dawes-Papiere von 1924 die Gewißheit brachte, ihre Anlage habe sich als wertbeständig und zinsträchtig erwiesen. Die alten Papiere wurden zwar äußerlich durch sogenannte Konversionsbonds ersetzt, und der Zins wurde auf fünf und fünfeinhalb Prozent neu festgelegt; im übrigen aber kam die Dawes-Anleihe nach dem Londoner Abkommen als flott gehandeltes Papier an den Börsen wieder zu Ehren. Die bis 1944 fälligen Zinsen wurden mit gesondert ausgegebenen Fundierungsbonds erfaßt und ebenfalls gehandelt.
Insgesamt verpflichtete sich die Bundesregierung zur Rückzahlung von restlichen 376 Millionen Mark der Anleiheschuld sowie zur Zahlung von 90 Millionen Mark aufgelaufener Zinsen. Die Bundesschuldenverwaltung in Bad Homburg, die für die Bedienung der alten Reichsschuld zuständig ist, registrierte erfreut, daß der jahrelang niedrig notierte Kurs wieder anzog. Der Präsident des Amtes, Dr. Wolfgang Nickel: »Mit dem Kurs stieg auch das Vertrauen in die Bonität der Bundesrepublik.«
Als die Dawes-Papiere jedoch an ausländischen und westdeutschen Börsen von 85 und 90 Punkten auf über 100 kletterten, war naturgemäß niemand bereit, freiwillig seine Papiere zum Pari-Kurs abzugeben. Präsident Nickel mußte deshalb - den Anleihebedingungen gemäß - auf die Auslosung zurückgreifen, um den bis 1969 laufenden Tilgungsplan einzuhalten. Inzwischen wurden für nominell tausend Mark Dawes-Anleihe schon 45 bis 100 Mark Aufpreis gezahlt.
Dr. Nickel und seine 900 Mitarbeiter in Bad Homburg führen den steigenden Kurszuwachs nicht zuletzt darauf zurück, daß inzwischen immer mehr gewiefte westdeutsche Kapitalanleger die einstige Auslandsanleihe in ihren
Wertpapiersafe aufnehmen. Auch für inländische Besitzer von Dawes-Papieren gilt nämlich, was seit den Tagen der Kapitalmarktförderungsgesetze kurz nach dem Zweiten Weltkrieg am westdeutschen Wertpapiermarkt selten geworden ist: Ihre Zinserträge sind absolut steuerfrei.
Bundesschulden-Präsident Dr. Nickel: »Wenn es nicht unmöglich wäre, daß ein Beamter 10 000 Mark erübrigen kann, würde ich das Geld in Dawes- und Young-Papieren anlegen - was Besseres gibt's ja gar nicht.«
Deutschland-Gutachter Dawes (1924)
Der Haß trug Zinsen
Reparationsberater Dawes (3.v.r.), Young (2.v.r.): Gefüttert und gemolken