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SCHWEDEN Etwas lächerlich

Früher Ladenschluß, drastische Preiserhöhung - Stockholms Regierung will ihren Bürgern die Lust am Alkohol austreiben.
aus DER SPIEGEL 27/1981

Samstags morgens um neun Uhr schon standen die Kauflustigen in langer Schlange vor den unscheinbaren Läden des »Systembolaget«. Ob sich schließlich aber das Warten gelohnt hatte und der Kunde die begehrte Ware in Empfang nehmen konnte, war ungewiß: Mit farbigen Lämpchen wurde jedem einzelnen Käufer auf Knopfdruck signalisiert, ob er kaufen durfte. Bei Rot gab's nichts, für angetrunkene Kunden etwa. Der Nächste bitte.

Es ging um Schnaps, Wein und Bier: Denn ausschließlich in den nur 300 Geschäften des staatlichen Alkoholmonopols »Systembolaget« können die Schweden sich mit geistigen Getränken eindecken -- und dazu zählt sogar Bier mit mehr als 2,8 Alkoholprozent.

Der stete Wochenend-Andrang aber hat nun ein Ende: Seit vorigem Monat schließen die Schnapshändler bereits am Freitagnachmittag, so hat es die Stockholmer Regierung beschlossen und verkündet.

Mit dieser neuen, »etwas lächerlichen Maßnahme« (so Dr. Bo Löfgren, Oberarzt an der Stockholmer Alkohol-Klinik »Västra Mottagningen") führt der schwedische Staat seinen unermüdlichen Kampf gegen den Alkohol fort. Die verkürzte Öffnungszeit des »Systembolaget« nämlich soll, nach finnischem Vorbild, »Impuls- und Hamsterkäufe« erschweren und die Zahl der trunkenen Schweden am Wochenende senken.

Denn seit in Finnland die Schnapsläden am Samstag geschlossen bleiben, hat die Ordnungspolizei in Helsinki nach eigenen Angaben nur noch wenig zu tun. »Das finnische Modell«, rechtfertigt Ake Pettersson, Staatssekretär im Stockholmer Sozialministerium, die schwedische Nachahmung, »hat gezeigt, daß die Zahl öffentlich Betrunkener um 37 Prozent zurückgegangen ist.«

Nach finnischen Berechnungen fiel das Ergebnis viel bescheidener aus: Die verkürzten Verkaufszeiten senkten den Gesamtverkauf von Alkoholika lediglich um 3,2 Prozent.

Doch das sind kleinliche Einwände, die Schwedens Gesundheits- und Sozialpolitiker S.130 nicht anfechten. Stockholm setzt voll auf den Rat der militanten, vom Staat finanziell ausgehaltenen »Nüchternheits-Organisationen«, denen jedes Mittel im Kampf gegen den Schnaps recht ist.

Denn für die mehr als eine Million Mitglieder dieser Organisationen gibt es keinen Zweifel daran, daß so gut wie alle menschlichen Verfehlungen und sozialen Mißstände ihren Ursprung direkt oder indirekt im Alkohol haben.

Zu den Nüchternen gehören auch mehr als ein Viertel aller Abgeordneten im Reichstag, die mit Abstand stärkste interfraktionelle Lobby im Parlament. Ihr gelang es, im Reichstag eine Erklärung durchzusetzen, die auch für die Regierung verpflichtend ist: daß Alkohol Schwedens »größtes soziales und medizinisches Problem« sei.

In der Tat lassen die von den Parlamentariern vorgebrachten Belege Schweden als ein Land erscheinen, dessen Volk sich im Suff ruiniert. Jeder dritte Patient, heißt es in der Erklärung, der in die Notaufnahme der Krankenhäuser eingeliefert wird, ist betrunken; in jedem fünften Krankenhausbett liegt ein Alkoholgeschädigter.

Der schwedischen Wirtschaft entsteht -- nach Guttempler-Berechnungen -- durch den Suff ein jährlicher Schaden von 25 Milliarden Kronen (etwa elf Milliarden Mark), der Pflegeaufwand hat die Hälfte des Verteidigungshaushalts erreicht, die Zahl der Todesfälle durch Leberzirrhose hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt.

Schwedens Abstinenzlerverbände glauben, daß 300 000 ihrer Landsleute Alkoholiker sind. Nur kippen die meisten Schweden ihren Schnaps, von staatlichen Tugendwächtern unentdeckt, daheim vorm Fernseher. Deshalb schlug nun eine Arbeitsgruppe der Zentrumspartei vor, bei allen ärztlichen Reihenuntersuchungen -- von der Mutterfürsorge bis zur Untersuchung in den Betrieben -- grundsätzlich auch einen Lebertest vorzunehmen: Kein stiller Säufer soll unerkannt bleiben.

Solche Übertreibungen seien es, meint Alkohol-Arzt Bo Löfgren, die den Ruf von den »trunksüchtigen Schweden« erst begründet hätten. Denn: »Welchen Maßstab man auch immer anlegt -- Schweden hat im Vergleich zu anderen Ländern nur höchst bescheidene Alkoholprobleme.«

Früher soffen die Schweden tatsächlich Unmengen: Vor 150 Jahren schluckte jeder Erwachsene im Jahr 130 Liter Branntwein. Heute aber rangiert das Land mit einem jährlichen Konsum von knapp sieben Litern reinem Alkohol pro Einwohner über 15 Jahre erst auf Platz 30 der Großverbraucher, weit hinter Frankreich mit 16 Litern und der Bundesrepublik mit zwölfeinhalb Litern.

Die Trinksitten in der nordischen Schnapszone sind allerdings anders als in Mitteleuropa: unregelmäßig, aber wenn, dann unmäßig. Das ist für Löfgren Ausdruck eines »neurotischen, schulderfüllten Verhältnisses zum Alkohol« -- Ergebnis der über ein Jahrhundert alten restriktiven Alkoholpolitik Stockholms und der Sucht des schwedischen Wohlfahrtsstaates, dem Bürger vorzuschreiben, was ihm frommt.

Die Verbote sollen sogar noch härter werden. Demnächst wird der Reichstag über neue Schnapssanktionen beraten: verschärfte Strafen für Schwarzbrenner und - händler; Verbot für »Systembolaget«, neue Filialen einzurichten; Streichung der zollfreien Schnapsration aus dem Ausland. Vor allem aber: eine kontinuierliche Erhöhung der Preise.

Schon jetzt verdient der Staat ganz gut am Fusel: Vom Preis jeder Flasche Branntwein kassiert er 91 Prozent als Steuern. Gut sieben Prozent des gesamten schwedischen Staatshaushaltes bringt der Alkohol.

Und nun hat das Sozialministerium vorgeschlagen, die Schnapspreise in den nächsten zehn Jahren jährlich um zweieinhalb Punkte über den Nahrungsmittelindex hinaus zu erhöhen. Das soll Kunden vergraulen und die Verkäufe des »Systembolaget« bis 1990 um 20 Prozent senken.

Die Preiserhöhungen werden in unregelmäßigen Abständen ohne Vorwarnung wirksam -- denn kein schwedischer Verbraucher soll etwa auf die verwerfliche Idee kommen, Alkoholisches zu horten.

Schon ab November dieses Jahres wird die billigste Flasche Schnaps 100 Kronen -- 47 Mark -- kosten, die Flasche einfachen Weins mehr als 20 Kronen.

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