»Europa begeht einen ernsten Fehler«
SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, rund vier Wochen sind seit den Terroranschlägen von Rom und Wien vergangen, ohne daß Israel Vergeltung geübt hätte. Glauben inzwischen auch die Israelis, daß militärische Schläge gegen Terroristen wenig helfen?
PERES: Nein. Ich glaube, daß sich die Schläge gegen den Terrorismus durchaus als wirksam erwiesen haben; daß Tunesien zum Beispiel heute überlegt, ob und wie es Vorbereitungen für Terrorangriffe von seinem Gebiet aus verhindern kann.
SPIEGEL: Sie denken also nicht wie der ehemalige israelische Sicherheitsberater Rafael Eitan, daß man sich darauf einrichten muß, noch »hundert Jahre mit dem Terror zu leben«?
PERES: Ich habe keinerlei Ambitionen, mich auf eine so lange Zeit festzulegen.
SPIEGEL: Bringen Sie bei Ihrem jetzigen Besuch in Europa und besonders in der Bundesrepublik konkrete Pläne mit, wie sich Israel eine Koordinierung des Kampfes gegen den Terror vorstellt?
PERES: Ich werde versuchen, meine Gesprächspartner zu überzeugen, daß es besser und wichtiger ist, den Sturm abzuwehren, anstatt erst mitten im Sturm aufzuwachen.
SPIEGEL: Glauben Sie denn, daß man den Tenorismus überhaupt wirksam bekämpfen kann?
PERES: Ja, auf jeden Fall. Erstens kann man ihn ganz einfach physisch bekämpfen, indem man Flugplätze, Flugzeuge, Schiffe und Verkehrsadern besser schützt. Zweitens muß der Kampf gegen den internationalen Terror von den Staaten gemeinsam geführt werden. Man muß die legalen Voraussetzungen schaffen, damit Terroristen überall und sofort festgenommen und bestraft werden können. Und drittens muß man gegen Länder vorgehen, die Terroristen Zuflucht bieten. An der Spitze dieser Länder steht heute Libyen.
SPIEGEL. Hat Israel handfeste Beweise, daß Libyen für die Anschläge von Rom und Wien mitverantwortlich ist?
PERES: Jeder weiß, daß Gaddafi Terroristen und Mordkommandos in alle Welt ausgeschickt hat, daß er im Laufe der letzten zehn Jahre eine Milliarde Dollar ausgegeben hat, um Terrortrupps zu unterstützen. Libysche Diplomaten haben mitten in London auf britische Polizisten geschossen. Das alles braucht man ebensowenig zu beweisen wie die Tatsache, daß jeden Morgen die Sonne aufgeht.
SPIEGEL: Auch nicht die Mittäterschaft in Rom und Wien?
PERES: Auch in diesen beiden Fällen nicht. Es ist bewiesen, daß Gaddafi innige Beziehungen zu dem Mörder Abu Nidal unterhält. Er bietet ihm Asyl, er gibt ihm Geld, Pistolen mit Schalldämpfern und auch die Lautsprecher, mit denen er Lügen in der ganzen Welt verbreiten kann.
SPIEGEL: Was sagen Sie dazu, daß Europa den US-Wirtschaftsboykott gegen Libyen nicht mitmachen will?
PERES: Ich kann mir das nur schwer erklären. Ich glaube, daß Europa da einen ernsten Fehler begeht, den viele unschuldige Menschen noch mit ihrem Leben werden bezahlen müssen. Es ist mir unverständlich, daß jeder europäische Staat es als notwendig ansieht, das Verbrechen im eigenen Land zu bekämpfen, aber nicht versteht, daß man es auch international bekämpfen muß.
SPIEGEL: Falls die Sanktionen der USA gegen Libyen unwirksam bleiben, glauben Sie, daß dann militärische Maßnahmen angebracht wären?
PERES: Man soll niemanden mit Krieg bedrohen, aber man darf auch keinem einzigen Terroristen Asyl gewähren, ganz egal, wo immer er sich befindet.
SPIEGEL: Aber eine militärische Intervention erscheint Ihnen auch nicht ausgeschlossen?
PERES: Ich möchte keinerlei kriegerische Erklärung abgeben. Natürlich ist mir nicht entgangen, daß US-Außenminister Shultz so etwas gesagt hat. Wozu wollen Sie dann noch eine ähnliche Erklärung des israelischen Regierungschefs?
SPIEGEL: Der sogenannte Friedensprozeß in Nahost hatte sich festgefahren. Nun versuchen Sie, die Normalisierung mit Ägypten weiterzuführen. Kann eine Annäherung an Ägypten auch Israels Beziehungen zu Jordanien auf eine neue Basis stellen?
PERES: Die Antwort ist ein klares Ja. Der Frieden mit Ägypten ist zugleich Modell und Präzedenzfall. Er ist unser erster Frieden mit einem arabischen Land, und deshalb ist es äußerst wichtig, ihn nicht welken zu lassen. Wenn sich die Vereinbarungen mit Ägypten als haltbar erweisen, werden sie zweifelsohne auch die Befriedung mit anderen arabischen Staaten fördern, besonders mit Jordanien.
SPIEGEL: Haben Sie Indizien dafür?
PERES: Schauen Sie mal, diese Regierung ist jetzt seit gut 15 Monaten im Amt, und schon jetzt kann ich mit Genugtuung feststellen, daß wir einen Krieg weniger - den im Libanon - und eine Friedensaussicht mehr haben.
SPIEGEL: Wird König Hussein bald mit Israel direkt verhandeln?
PERES: Ich bin weder Pessimist noch Optimist. Aber wenn man nichts unternimmt, geschieht auch nichts. Ich glaube, Hussein braucht Frieden, genau wie _(Mit Korrespondent Henri Zoller in seinem ) _(Amts zimmer in Jerusalem. )
auch wir Frieden brauchen. Also gilt es alles für einen solchen Frieden zu tun.
SPIEGEL: Schön, nur: Wie schnell wird es gehen?
PERES: Die Historiker waren nie erfolgreiche Propheten und die Propheten niemals erfolgreiche Historiker. Niemand hat seinerzeit geglaubt, daß Ägyptens Präsident Sadat nach Jerusalem reisen würde. Wenn Sie kurz vor dem Besuch einen israelischen Politiker gefragt hätten, ob Sadat wirklich nach Jerusalem kommen würde hätte es kaum jemand für möglich gehalten.
SPIEGEL: Wann wird es ein Gipfeltreffen zwischen Ihnen und Ägyptens Präsident Mubarak geben?
PERES: Ich bin der Ansicht je schneller, desto besser. Aber ich dränge nicht und bin nicht nervös. Wenn Präsident Mubarak den Zeitpunkt für ein solches Treffen als günstig ansieht, werden wir gemeinsam handeln. Ich muß nicht nur meine, sondern auch seine Überlegungen über den besten Zeitpunkt berücksichtigen. Von mir aus könnte das Treffen morgen früh stattfinden. Es hängt nur von ihm ab.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß eine wenn auch noch so bescheidene Aussicht auf eine Entspannung mit Syrien besteht? Oder halten Sie eine nochmalige Konfrontation mit Damaskus früher oder später für unvermeidlich?
PERES: Syrien betreibt keine Strategie des Friedens, auch wenn es sehr vorsichtig taktiert. Mit anderen Worten: Die Aussichten für einen Frieden sind äußerst gering. Außerdem ist Syrien für uns zum jetzigen Zeitpunkt sowieso nicht das dringendste Problem. Wir wollen zunächst unseren Rückzug aus dem Libanon vollenden, den Frieden mit Ägypten ausbauen und einen Dialog mit Jordanien anbahnen. Ich glaube, damit bieten wir den Politikern in dieser Region vorläufig bereits Vollbeschäftigung.
SPIEGEL: Kann das Treffen zwischen Jordaniens König Hussein und dem syrischen Präsidenten Assad die Entspannung begünstigen oder beeinträchtigen?
PERES: Wenn Sie mir sagen würden was bei diesem Treffen vereinbart wurde, könnte ich Ihnen eine Antwort geben. Vorläufig war das wohl nur eine Art Kontaktaufnahme. Uns stört ein solches Treffen nicht, vorausgesetzt, daß dort besprochen wurde, wie der Frieden er reicht werden kann.
SPIEGEL: Ein Jahr nach dem Kabinettsbeschluß zum Rückzug Israels aus dem Libanon sollen immer noch etwa 1000 israelische Soldaten auf libanesischem Territorium stehen. Stimmt das?
PERES: Die Zahl ist übertrieben. Israel hält im Südlibanon nur noch eine schmale Sicherheitszone. Niemand kann uns beschuldigen, wir hätten im Libanon territoriale Ambitionen. Und gottlob werden in diesem schwer heimgesuchten Gebiet keine Söhne Israels mehr getötet oder verletzt.
SPIEGEL: Aber Israel beansprucht offenbar das Recht für sich, seine Aufklärungsflugzeuge weiter über die Sicherheitszone hinaus nach Norden zu schicken. Wieso eigentlich?
PERES: Diese Flüge sind Teil unserer Sicherheit. Sie verschaffen uns eine Vorwarnzeit, die wir brauchen.
SPIEGEL: Und diese Flüge werden auch in Zukunft fortgesetzt?
PERES: Ja, sie werden fortgesetzt.
SPIEGEL: Trotz der Raketen, die Syrien neuerdings ins libanesisch-syrische Grenzgebiet gebracht hat?
PERES: Trotz der Raketen.
SPIEGEL: Unter welchen Umständen erscheint Ihnen eine Beteiligung der Sowjet-Union am Friedensprozeß in Nahost denkbar?
PERES: Erstens müßte Moskau seine diplomatischen Beziehungen mit Israel wiederherstellen, zweitens den Friedensprozeß wirklich unterstützen, anstatt nur automatisch die Ansichten der arabischen Seite zu unterstützen - und unter den Arabern immer nur die Extremisten.
SPIEGEL: Halten Sie eine solche Kurswendung Moskaus für möglich?
PERES: Wissen Sie, wer nicht handelt, erreicht auch nichts. Ich habe dieser Tage eine Geschichte gehört, die darauf zutrifft: Zwei Kinder unterhalten sich ein Kind aus einer religiösen und eins aus einer nichtreligiösen Familie. Das erste versichert natürlich, es gebe einen Gott im Himmel. Das zweite behauptet, Gott existiere nicht. Anschließend erzählt das zweite Kind seinem Vater von der Diskussion und resümiert: »Vater, wenn es wirklich keinen Gott gibt, dann eben nicht. Wenn es aber einen Gott gibt sitzen wir tief im Mist.« Dasselbe gilt für die Friedenschancen: Wenn es keine gibt, dann nicht. Aber wenn es doch welche gibt, darf man sie nicht verpassen.
SPIEGEL: Ist Israel inzwischen bereit, unter gewissen Umständen Verhandlungen mit gemäßigten PLO-Gruppen, mit oder ohne Arafat, zu führen?
PERES: Nein. Dafür sehe ich keine großen Chancen.
SPIEGEL: Sehen Sie denn die Möglichkeit, mit der Bevölkerung des Jordan-Westufers eine Vereinbarung zu treffen, ohne daß Arafat beteiligt wird?
PERES: Ich bin entschlossen, auf dem Jordan-Westufer die Voraussetzungen für einen Frieden oder zumindest für eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Arabern zu schaffen. Wenn ein formeller Frieden aber nicht möglich ist - warum sollten wir nicht versuchen in den besetzten Gebieten zumindest eine De-facto-Befriedung herzustellen?
SPIEGEL: Angenommen, ein solches Arrangement mit den Bewohnern des Jordan-Westufers wäre möglich, was würde mit den drei Millionen Palästinensern geschehen, die nicht in den besetzten Gebieten leben?
PERES: Auch Israel hat eine große Diaspora. Ihre Mitglieder bleiben ja auch dort, wo sie sind.
SPIEGEL: Aber die leben dort freiwillig, nicht gezwungen.
PERES: Ich weiß überhaupt nicht, wo diese Ziffer von drei Millionen Palästinensern herkommt.
SPIEGEL: Die haben internationale Gremien veröffentlicht.
PERES: Ein großer Teil von ihnen, fast die Hälfte, lebt ohnehin in Jordanien, mit den vollen Rechten jordanischer Staatsbürger. Schließlich war Jordanien früher ein Teil von Palästina.
SPIEGEL: Sie haben mehrmals angekündigt, Sie wollten die Lebensbedingungen der Bevölkerung in den besetzten Gebieten verbessern. Wie weit würden Sie da gehen?
PERES: So weit wie möglich, mit einer einzigen Einschränkung, nämlich die Sicherheitsbedürfnisse Israels zu wahren. Was, uns daran hindert, die dortigen Lebensbedingungen zu verbessern, ist der Terror. Ohne ihn wäre in dieser Hinsicht schon viel mehr geschehen.
SPIEGEL: Was wäre das denn?
PERES: Wir hätten die Zensurbestimmungen aufgehoben, größere Freizügigkeit sowie mehr lokale Verantwortung gewährt und auch die Siedlungspolitik geändert.
SPIEGEL: Die Siedlungspolitik ist anscheinend ein besonders wunder Punkt in Ihrer Links-Rechts-Regierung. Vizepremier Levi sprach neulich davon, daß 13 neue Siedlungen gegründet werden sollten, Ihr Finanzminister Modai meinte sogar 27 ...
PERES: Das sind Siedlungen in den Berichten der Presse.
SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, daß Israel keine Pläne hat, neue Siedlungen zu gründen?
PERES: Ich will sagen: Es gibt ein Abkommen zwischen den Koalitionsparteien, nach dem Neusiedlungen nur mit Zustimmung aller Regierungspartner errichtet werden dürfen. _(Das Koalitionsabkommen spricht von sechs ) _(sol chen Siedlungen in einem Jahr. )
SPIEGEL: Nach Meinungsumfragen haben in Israel nationalistisch-chauvinistische Gruppen Aufwind. Breite Kreise der Bevölkerung hegen gegenüber den Arabern, sogar gegenüber der arabischen Bevölkerung des israelischen Kernstaates, tiefes Mißtrauen. Muß ein solcher Rechtsruck im Lande den Friedensprozeß nicht gefährden?
PERES: Meinungsumfragen ändern sich ständig, entsprechend der jeweiligen Stimmung im Volk. Vor dem Besuch von Sadat in Jerusalem hätte eine Umfrage völlig andere Ergebnisse gebracht als wenige Tage danach. Man muß günstige Bedingungen für einen Frieden schaffen. Dann wird auch ein klarer Umschwung bei den Meinungsumfragen folgen.
SPIEGEL: Radikale chauvinistische Führer wie der Rabbiner Meir Kahane haben aber Zulauf. Ist Kahane nicht eine Gefahr?
PERES: Kahane ist weniger eine Gefahr als eine Schande.
SPIEGEL: Nach dem Koalitionsabkommen werden Sie noch 37 Wochen im Amt bleiben. Dann müssen Sie die Führung des Kabinetts an den Chef des rechten Likud-Blocks, Ihren jetzigen Außenminister Jizchak Schamir, abgeben. Wird sich dann nicht auch die Politik Israels ändern?
PERES: Die Rotation betrifft nur Personen, nicht die Politik. Diese Regierung basiert auf einem für alle Partner verbindlichen Koalitionsabkommen. Wenn dieses Abkommen nicht eingehalten werden sollte, wird die Koalition nicht länger bestehen. Deshalb müssen sich alle Partner an die Richtlinien halten, auf die wir uns geeinigt haben.
SPIEGEL: Das heißt zum Beispiel, daß Herr Schamir die derzeitige Politik einer gewissen Zurückhaltung in der Siedlungspolitik fortsetzen müßte?
PERES: Es geht nicht darum, was Herr Schamir oder jemand anderes tun wird. Wie ich sagte, haben wir ein Koalitionsabkommen, auch über die Siedlungspolitik. Da kann nichts ohne die Zustimmung der beiden großen Koalitionspartner geschehen.
SPIEGEL: Wenn also Schamir die jetzige Politik nicht fortsetzen würde, ginge die Koalition in die Brüche?
PERES: Die Regierung entstand, um eine vereinbarte Politik zu betreiben. Wenn sie das nicht tut, hat sie keinen Bestand mehr.
Mit Korrespondent Henri Zoller in seinem Amts zimmer in Jerusalem.Das Koalitionsabkommen spricht von sechs sol chen Siedlungen ineinem Jahr.