BONN / KONJUNKTUR Eventuell, eventuell
Während Karl August Schiller sich auf den Höhen des Berner Oberlandes vom mühsamen Marsch durch die Bonner Talsohle erholt, rüsten seine Jünger im Bundeswirtschaftsministerium zum nächsten Konjunktur-Experiment.
Die Schiller-Werkstatt erwartet bis diesen Montag Nachricht von elf Länderchefs, 425 Landräten und 24 000 Bürgermeistern. Die Landes- und Gemeindeväter sollen meiden, ob und in welchem Umfang sie bereit sind, die Investitionslust der Wirtschaft mit zusätzlichen öffentlichen Aufträgen anzufachen.
Bislang sind alle Bemühungen Schillers, der kränkelnden Industrie mit einer Defizit-Spende Bonner Milliarden aufzuhelfen, verpufft. Sein sogenannter Eventualhaushalt -- er sah 2,5 Milliarden Mark für zusätzliche Investitionen für Bahn, Post und Verkehrsbauten vor -- vermochte die Unternehmer-Energien nicht spürbar zu beleben.
Hauptursache des Fehlschlages: Während Schiller go rief und Aufträge vergab, erwiderten Länder und Gemeinden stopp und strichen von ihren Investitionsplänen rund vier Milliarden Mark ab. Allein Nordrhein-Westfalen kürzte seinen Investitionshaushalt 1967 um 351 Millionen Mark.
Frankfurts Stadtrat war mangels Kasse genötigt, die Bauarbeiten an der zweiten U-Bahn-Strecke von Ende Dezember letzten bis Ende März dieses Jahres praktisch einzustellen. Mit rund 2200 Mark Schulden je Einwohner hat Frankfurt das bislang übliche Maß kommunalen Pumps überschritten. Schon heute muß die Stadt 18 Prozent ihrer Einnahmen für Zinsen und Schulden-Tilgung abziehen. Der Nachbargemeinde Offenbach kürzte das Darmstädter Regierungspräsidium die für 1967 auf 17 Millionen Mark veranschlagte Darlehenssumme um sieben Millionen.
Schillers Zuruf: »Die Pferde müssen wieder saufen« half so wenig wie Ermunterungen des Bundesbankpräsidenten Blessing, der für Land, Stadt und Dorf 1,2 Milliarden Mark kurzfristige Gelder bereithielt. Die Amtsschimmel soffen nicht.
Erst Anfang Juli stimmte das schwarz-rote Kabinett -- nach einigem Zögern -- dem Schiller-Projekt zu, nochmals die Finanzschleusen zu öffnen. Spätestens bis zum 1. Oktober sollen Bund, Länder und Gemeinden weitere 5,2 Milliarden Mark für den Konjunkturaufschwung lockermachen, und zwar sollen
> der Bund 2,7 Milliarden aufbringen, davon 1,2 Milliarden für eigene Zwecke (Bundesbahnbauten, Postmodernisierung, Zinszuschüsse für Wohnungsbau), eine Milliarde als Zuschuß an die Bundesländer und 500 Millionen für die Gemeinden;
> die Länder zwei Milliarden Mark aufwenden, davon die Hälfte für gemeinsame Bund-Länder-Aufgaben (Straßenbau, Wasserwirtschaft, Bau von Universitäten und Forschungsanstalten), die andere Hälfte als Zuschuß für die Kommunen;
> die Gemeinden 500 Millionen Mark zusammenlegen, die sie mit dem 1,5-Milliarden-Zuschuß von Bund und Ländern für Schulen und Krankenhäuser, für Straßenprojekte, Industrie-Ansiedlung sowie für reine Luft und sauberes Wasser ausgeben sollen.
Am Donnerstag vorletzter Woche trug Schiller einem frisch gegründeten Konjunkturrat -- in ihm sollen die Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden alle wirtschaftspolitisch bedeutsamen Vorhaben abstimmen -- seinen Milliarden-Plan (Strauß: »Ein eventueller Eventualhaushalt") vor.
Vier Stunden benötigte der Wirtschaftsminister, die Kämmerer von Stadt und Land für den Plan zu gewinnen. Bayern-Premier Alfons Goppel murrte, zuerst habe man immer Sparsamkeit gepredigt und jetzt plötzlich das Gegenteil. Am Ende des Schiller-Kollegs aber war man sich einig. Länder und Gemeinden versprachen, soviel Geld wie nur irgend möglich auszugeben.
Die Olympia-Stadt München will noch 1967 mit Bonner Hilfe für 25,6 Millionen Mark die Städtische Galerie erweitern, eine Feuerwache errichten, drei Krankenhäuser ausbauen, Fernheiz- und Erdgasleitungen legen, vier Volksschulen errichten und zwei Volksschulen ausbauen.
Frankfurt will über 30 Millionen Mark in den Bau einer Stadttangente, mehrerer Straßen, einer Rinderschlachthalle und einer Trinkwasser-Anlage stecken.
Die Kölner Stadtväter versprachen, über 100 Millionen Mark für neue Schulen, zwei Krankenhäuser, drei Turnhallen, Bäder, Kindergärten, den ersten Bauabschnitt des Römisch-Germanischen Museums und für die Ausbaustufe »Innenstadt« der U-Bahn anzulegen. Insgesamt präsentieren allein die kreisfreien Städte Baupläne für 1,7 Milliarden Mark.
Bei der Finanzierung freilich hapert es. Schon gleich nach der Bonner Sitzung ließen die Ministerpräsidenten mitteilen, vorläufig sähen sie sich außerstande, neue Kredite aufzunehmen. Zunächst müsse man sich mit Bonn einigen, wer denn die Zinsen für die Konjunkturkredite zahlen soll.
Auch das Präsidiumsmitglied des Deutschen Städtetags Dr. Bruno Weinberger ist skeptisch: »Die meisten Städte tun sich sehr, sehr schwer. An Investitionskapazität und Projekten soll es nicht scheitern, eher schon daran, daß man unsere finanziellen Möglichkeiten überschätzt oder das Verfahren zu kompliziert macht.«
Zudem verrinnt die Zeit und mithin die Chance, die Milliarden termingerecht einzusetzen. Zwar werden der Konjunkturrat und das Bundeskabinett Anfang August den neuen Eventualhaushalt endgültig verabschieden, doch bedarf das ganze Projekt noch der Zustimmung des Bundestages. Das Parlament aber tritt erst wieder am 4. September zusammen.
Bonns erste Konjunktur-Mark wird mithin kaum vor dem 1. Oktober in die Wirtschaft fließen, die Beiträge der Länder und Gemeinden schwerlich vor Winteranfang, eventuell erst 1968. Bonns Wohnungsbauminister Lauritzen hat denn auch in realistischer Einschätzung der Lage den Endtermin für die Vergabe von Wohnungsbauaufträgen auf den 31. März nächsten Jahres festgesetzt.