Zur Ausgabe
Artikel 18 / 77

Ewige Propaganda

aus DER SPIEGEL 21/1947

Der Sender München, der durch die Freiheitsaktion Bayern *) Ende April 1945 davor verschont wurde, in die Luft zu fliegen, ist Gegenstand heftiger Diskussionen geworden. Mr. Horrine, der bisherige amerikanische Intendant, trat kürzlich zurück.

Nirgends konnte jedoch die Behauptung nachgewiesen werden, daß Horrine eine der sechs amerikanischen Persönlichkeiten ist, von denen »News Week« berichtete, sie müßten dafür büßen, daß sie sich zu sehr für die Wirtshauspolitik des Landes interessiert hätten. Der neue Mann, der aus Amerika kam - Mr. Schechter - übt nur noch die Funktion eines Radio-Kontrolloffiziers aus.

Die Koalitionsregierung Ehard wurde beauftragt, einen Plan auszuarbeiten, nach dem die Station in deutsche (und wie die Regierung hinzufügte: »bayrische") Hände übergehen soll. Sie machte einen Verstaatlichungsvorschlag, aber die Amerikaner lehnten ihn ab. Radio München jedoch in private Hände zu geben, wünschte Ministerpräsident Ehard wieder nicht. Der Sender könne in beständigen Gegensatz zur Regierungspolitik kommen. Die Regierung, so meinte das Staatsoberhaupt, hätte dann selbst keine Möglichkeit, sich der »ewigen Propaganda« zu widersetzen.

Die Münchener Presse bezeichnete Ehards Ansichten als »kurzsichtig und reaktionär«. Man dürfe den Rundfunk nicht als »Schachfigur der Regierung« aufziehen. Stammesbewußte Bayern wollen auch eine zu starke »transozeanische Orientierung« einschränken und die ihnen auf die Nerven gehende Jazz-Musik zugunsten »bodenständiger urbayrischer Musik« eingeschränkt wissen. Auch die »norddeutschen Sprecher« sollen verschwinden. (Die Sprecher sind aber überwiegend Münchener, die Hochdeutsch gelernt haben).

Die vielfältige Kritik geht auch auf die verbotenen Grüße, die der Münchener Oberbürgermeister Anton Scharnagl per Radio an seine Base Creszentia in Agram gerichtet hatte. Er konnte zu Weihnachten nicht schreiben, weil Jugoslawien damals noch keinen Postverkehr mit Bayern unterhielt.

Wer den Kurs von Radio München nun festlegen soll, ist noch nicht geklärt. Vermutlich wird man nach hessischen Mustern einen Rundfunkrat als oberste Instanz bilden. In diesem Gremium werden Vertreter von Staat und Kirche neben Partei- und Gewerkschaftsfunktionären und Repräsentanten anderer Organisationen sitzen:

Man erinnert sich, daß beispielsweise das seit anderthalb Jahren geforderte Pressegesetz für Bayern heute noch nicht da ist und prophezeite dem Rundfunk eine ähnliche Wartezeit.

*) Die bayrischen Freiheitskämpfer unter Hauptmann Dr. Otto Gerngroß besetjten kurz vor Schluß des Dritten Reiches den Sender. Ihr Sturm auf den Gauleiterbunker wurde von SS-Verbänden abgeschlagen. Münchens neuer Weihbischof Dr. Neuhäusler zelebrierte kürzlich einen Gottesdienst für die Gefallenen, der sich zu einer großen Ovation für den ebenfalls erschienenen Kronprinzen Rupprecht von Bayern auswuchs. »Hoch die Monarchie!« »Hoch Rupprecht!« und »Hoch Königreich Bayern!« riefen die Münchener, und Mr. Eaden, der die amerikanische Militär-Regierung vertrat, machte ein Gesicht, als ob es regnete.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 18 / 77
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren