KOMMUNISTEN Ewige Wahrheiten
Zwei Tage lang, am letzten Wochenende im Mai, attackierten sich »heiß und heftig« die verfeindeten Lager im Vorstand der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Nach mehr als 17stündigem Glaubensstreit war beiden Seiten klar: Die Kluft ist nicht zu kitten.
Zunächst hatte DKP-Chef Herbert Mies, 60, der in Rede und Gestik gern den legendären Kommunisten-Führer Ernst ("Teddy") Thälmann imitiert, die Genossen im stickigen großen Sitzungssaal der DKP-Kommandozentrale zu Düsseldorf auf den »Weg zur Einheit« gerufen. »Eine zweite Partei«, umschrieb Mies die Spaltungsgefahr, »in und neben der Partei zeichnet sich ab.«
Danach durften die »schlimmsten Betonköpfe« ("Frankfurter Allgemeine Zeitung") ihre Keule gegen Dissidenten schwingen, die das »Neue Denken« des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow in die verkrustete DKP tragen wollen. Zwei Vertreter des Reformflügels, Birgit Radow, 33, Vorsitzende der DKP-nahen Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), und Radow-Vorgänger Werner Stürmann, 37, wurden aus dem 20köpfigen Parteipräsidium abgewählt. Heinz Jung, 54, Chef des Partei-Instituts für Marxistische Studien und Forschungen, verzichtete unter Protest auf seinen Präsidiumssitz.
Damit ist zwar, wenige Tage vor Gorbatschows Bonn-Besuch, die Spitze der Partei wieder reformerfrei. Doch die bislang schwerste Krise in der gut 20 Jahre alten DKP wurde weiter angeschärft. »Das war ein Pyrrhussieg des Parteivorstands«, glaubt Birgit Radow. Mitstreiter Stürmann erwartet schon bald eine von breiter Basis »getragene Forderung nach Rücktritt des Parteivorstands, der die Partei nicht mehr repräsentiert«.
Der Konflikt bei Westdeutschlands Kommunisten, den Gefolgsleute der »Erneuerer« und »Bewahrer« seit Monaten erbittert austragen, ist späte Wirkung des Bazillus, der nicht nur die östliche Welt drastisch verändert: Die DKP leidet am Morbus Gorbi. Seit Reformer Gorbatschow Glasnost und Perestroika predigt, versucht eine beständig wachsende Gruppe »Roter Aufbruch« Transparenz und Umgestaltung auch in den einst fest geschlossenen Reihen von DKP und SDAJ voranzutreiben.
Die Aufbruch-Anhänger wollen weg von stalinistischen Kaderstrukturen und blinder Gefolgschaft. Sie organisieren »Strömungstreffen« mit Gleichgesinnten und wissen, wie Hamburgs DKP-Vorsitzender Wolfgang Gehrcke, 45, daß bei den Kommunisten »etwas zu Ende geht: Das Neue ist zwar noch embryonal, aber schon deutlich sichtbar«.
Bei einem Reformer-Treffen Ende dieses Monats soll ein »Kongreß Erneuerung« für den Herbst vorbereitet werden. Fünf der zwölf Bezirksvorsitzenden und deren Anhang fordern bereits einen Sonderparteitag, auf dem die alte DKP-Spitze mitsamt ihrem Vorsitzenden Mies gekippt werden soll. »Immer mehr Parteimitglieder erkennen«, sagt Gehrcke selbstkritisch, »daß die ewigen Wahrheiten der Kommunisten weder ewig noch wahr sind.«
Solch radikaler Protest, in der starren Null-Komma-Zwo-Prozent-Partei außergewöhnlich, offenbart das doppelte Dilemma westdeutscher Kommunisten, die sich allezeit an den Mächtigen in Moskau und Ost-Berlin ausrichten mußten. Seit dem ideologischen Auseinanderrücken der Reformer um Gorbatschow und der Bremser um DDR-Staatschef Erich Honecker gerieten DKP und SDAJ in einen schmerzhaften Spagat:
Setzen sie, im Sinne des Aufbruchs, voll auf den auch hierzulande hochgeschätzten »Gorbi« und auf demokratische Erneuerung, führt das zum Bruch mit der Bruderpartei SED, von der sie vielfältig abhängig sind.
Bleibt, nach dem Motto der DKP-Führung, alles beim alten, folgen sie weiter dem bei Westdeutschen unbeliebten Honecker und retuschieren lediglich das muffige Erscheinungsbild ihrer Kaderorganisationen, bekommen sie zwar weiterhin Überlebenshilfe von drüben, versinken aber hüben im »endgültigen Sektendasein« (Stürmann).
Im SDAJ-Vorstand haben die Reformer, die Kernkraftwerke in West und Ost abschalten und ihr »unkritisches Verhältnis zu den sozialistischen Staaten, vor allem zur DDR, überwinden« wollen, bereits eine satte Mehrheit. Deshalb auch widerfuhr der DKP-Führung, die unlängst massiv für die dogmatische SDAJ-Minderheit Partei ergriff, Unerhörtes.
»Der SDAJ-Bundesvorstand weist diese Einmischung zurück«, erklärten die Junggenossen: »Wir lehnen es ab, daß eine Partei bewertet, was in der SDAJ falsch oder richtig« sei. Zudem verwiesen die Jungrebellen schadenfroh auf einen Satz in ihrer Satzung, der bislang nur pro forma so dagestanden hatte: »Die SDAJ ist unabhängig von Parteien und Vereinigungen.«
Auf einem Bundeskongreß Mitte Juni wollen die SDAJler nun klären, ob »die Gefahr der Spaltung« abgewendet werden kann und ob die »unvereinbar gegenüberstehenden Blöcke« noch auf einen Nenner kommen können.
Der DKP-Vorstand, in dem die Neuerer über ein Drittel der Stimmen verfügen, will auf den »Wind des Wandels« (Parteidichter Peter Schütt) hart reagieren. Unterstützt von Honeckers SED, die den Umbruch im Osten mit Schrecken verfolgt und nicht auch noch von Glaubensbrüdern im Westen zur Perestroika getrieben werden möchte, soll den DKP-Modernisierern der Reformgeist ausgetrieben werden.
So zettelten die Ost-Hardliner und ihre West-Handlanger eine beispiellose Säuberungsaktion in parteieigenen und DKP-nahen Medien an. Im DKP-Zentralorgan »Unsere Zeit« ("UZ") werden kritische Berichte zensiert, aufsässige Beiträge oft gar nicht erst gedruckt. »UZ«-Chefredakteur Conrad Schuhler wurde in Ost-Berlin gemaßregelt, weil ausnahmsweise doch mal DDR-Kritisches ins Blatt gerutscht war.
Der wohl radikalste Eingriff soll den Kölner Pahl-Rugenstein-Verlag treffen, das größte Verlagsunternehmen im Umfeld der DKP. Der Verlag ist aufgefordert worden, sein gesamtes belletristisches Programm im Laufe dieses Jahres einzustellen. Künftig sollen nur noch politische Sachbücher und parteifromme Wissenschaft veröffentlicht werden.
Opfer des Radikalenerlasses sind Autoren, die sich für Erneuerung eingesetzt haben. Zu ihnen zählen Adrian Geiges, Autor zweier Reportagebücher über China und die Sowjet-Union, Horst Hensel, Autor eines in der DDR verfemten Rosa-Luxemburg-Romans, Erasmus Schöfer, dessen Essay-Roman »Tod in Athen« in der DKP heftig umstritten war, und Parteidichter Schütt, der 15 Bücher mit einer Gesamtauflage von über 180 000 Exemplaren unters werktätige Volk brachte.
Von Einstellung bedroht ist überdies eine Buchreihe mit sowjetischen Gegenwartsautoren, die sich als konsequente Anti-Stalinisten einen Namen erschrieben haben und deren Werke vom Verlag bislang als deutsche Erstausgaben auf den Markt gebracht wurden.
Einige der so gemaßregelten Autoren haben die Medien-Gewerkschaft um Hilfe gebeten - gegen die selbsternannte Partei der Werktätigen. Dichter Schütt ("Moskau funkt wieder") etwa sieht in der »Kündigung praktisch ein Berufsverbot«. Schütt: »Die Konservativen in SED und DKP versuchen zu retten, was nicht mehr zu retten ist.«
Akut in ihrer Existenz bedroht sind überdies mehrere im Pahl-Rugenstein-Verlag erscheinende Periodika, so die »Dritte-Welt-Zeitschrift«, »päd. extra & demokratische erziehung«, »Demokratie und Recht« und die Kunstzeitschrift »tendenzen«. Eingestellt wird das »Demokratische Gesundheitswesen«, das im vergangenen Jahr rund 180 000 Mark Verlust machte. Früher kam in einem solchen Fall, sagt ein Kenner, »der Mann mit dem Koffer« - Inhalt: Geld aus Ost-Berlin. Nun sollen die Abonnenten an das frech-erfolgreiche alternative Medizinerblatt »dr. mabuse« verkauft werden.
Hauptgrund für die Finanznot bei allen Zeitschriften: Die DDR hat, wie bei dem nicht mehr linientreuen SDAJ-Jugendmagazin »elan« und der Studentenschrift »rote Blätter«, die Sperrung von Anzeigen und die Aufkündigung von Abonnements angedroht.
Würde die DDR, wegen Unbotmäßigkeit der DKP, eines Tages auch noch die jährlich mehr als 60 Millionen Mark Stütze für die Westkommunisten stoppen, wäre die Partei wohl dahin. Die gut 500 hauptamtlichen Funktionäre, die in DDR-Schulungsstätten ideologisch gestählt, mit Ost-Tagegeld (25 Mark) versorgt werden und ihren West-Sold (monatlich rund 1700 Mark netto) zumeist bar auf die Hand bekommen, wären nicht mehr lange bezahlbar.
In den vergangenen zwei Jahren verlor die Partei rund 10 000 ihrer Mitglieder; sie zählt nach eigenen Angaben gerade noch 48 000 Anhänger. Der Verfassungsschutz hält selbst diese Zahl noch für übertrieben. Ein norddeutscher Sicherheitsbeamter: »Das sind nicht mal mehr 35 000.« #