PREDIGER Ewiger Starkstrom
Zwei Stars blieben stumm: Komi, 25, und Kimo, 28, Rothäute aus Ecuador. Als bekehrte Christen-Killer - am 8. Januar 1956 hatte ihr Stamm fünf Missionare getötet - wurden die beiden Indianer auf dem »Weltkongreß für Evangelisation« vorgestellt, der gegenwärtig in der West-Berliner Kongreßhalle tagt.
Drei Stars kamen aus den USA, aus Äthiopien und dem Sauerland nach Berlin; sie wurden und werden laut: das »Maschinengewehr Gottes« (bürgerlicher Name: Billy Graham, 47), der »siegreiche Löwe des Stammes Juda« (bürgerlicher Name: Tafari Makonnen, Kaisername: Haile Selassie, 74) und Pfarrer Dr. Gerhard Bergmann, 52, aus der sauerländischen 13 700-Seelen-Gemeinde Halver, einziger deutscher Hauptredner des Weltkongresses.
Des Deutschen Thema am Montag dieser Woche, an dem die Lutheraner Martin Luthers Thesenanschlag feiern: »Reformation 1517 und 1966«. Für seine Rede vor den 1200 Delegierten aus 106 Ländern hat er sich mit eigenen Kernsätzen ("Aus dem reformatorischen Ostergeläut dürfen niemals Totenglokken werden") und fremden Zitaten (Conrad Ferdinand Meyer über Luther: »Er fühlt der Zeiten ungeheuern Bruch, und fest umklammert er sein Bibelbuch") präpariert.
Es ist der erste große Auftritt des westfälischen Bergmann vor internationalem Publikum. Der erfolgreichste evangelische Prediger deutscher Zunge ist bislang noch keine internationale und noch nicht einmal eine nationale Größe geworden.
Bergmann, der sich als »Evangelist« bezeichnet, reist fast das ganze Jahr über von Ort zu Ort ("Mein Pfarrbezirk ist die Bundesrepublik") und wird zuweilen »der evangelische Leppich« genannt. Das Zelt, in dem er predigt (2100 Plätze), ist meist nicht groß genug, um die frommen Massen zu fassen. Schon mehr als vier Millionen Christen saßen dem Sauerländer zu Füßen.
Doch die Kirchenoberen und viele Pfarrer, die eine Kanzel ihr eigen nennen, halten zu ihrem reisenden Amtsbruder kühle Distanz. Sein Zelt ist nicht ihre Welt, seine Sprache nicht ihre Sprache.
Zwar möchte der westfälische Evangelist, der »die vollsaftige und ungekürzte Botschaft von Jesus Christus« verkündigen will, nicht mit anderen erfolgreichen Wanderpredigern gleichgestellt werden. Bergmann über Leppich: »Er schlägt schon mal unter die Gürtellinie.« Bergmann über Graham: »Er spricht die Probleme nicht in der Tiefe an, wie es
uns Deutschen liegt.« Doch auch der Westfale verdankt seinen Erfolg griffigen Losungen ("Das Evangelium ist Dynamit und kein Schlafpulver«, »gleiche Wellenlänge mit Jesus Christus, der Sendestation«, »Starkstrom der Ewigkeit"), vor allem aber dem Pathos für Gott und dem Protest gegen die Welt.
In seinem »Tagebuch«, das jüngst in 20 000 Exemplaren auf den evangelischen Markt kam, berichtet Bergmann beispielsweise über den Abgang eines Nierensteins: »Der Stein ist da! Ich mußte mich zurückziehen und dem treuen Herrn auf den Knien danken. Ja, hochgelobter Herr, ich danke Dir, Du ewige Majestät, treuer Herr Jesus! Mit noch mehr Hingabe will ich Dir künftig dienen.«
Sorgfältig vermerkt er das Ergebnis der Kollekten nach seinen Predigten ("Gestern abend genau 12 865,84 D-Mark für den heiligen Krieg Gottes") und kommentiert: »Dieses Opfer ist ein Barometer. Jesus Christus hat ihre Herzen bewegt und ihre Börsen geöffnet.«
Andere Töne schlägt der Prediger an, wenn es in Wort und Schrift zu protestieren gilt.
- Gegen zuviel Geist: »Zum Glück ist der Intellektualismus steril. Das Zündende geht eben immer über das Gemüt und nicht über den kalten Intellekt.«
- Gegen zuviel Sex: »Am Sexualismus sind schon ganze Völker zugrunde gegangen. Zum Beispiel das alte Rom.« Der Junggeselle Bergmann schrieb einen Bestseller über »Das Geheimnis einer guten Ehe und Familie«. Sein erfolgreichstes Buch aber ist eine Kampfschrift ("Alarm um die Bibel") gegen die modernen Theologen, die er des »Verrats am Heiligen Geist«, der »neutestamentlichen Atomzertrümmerung« und eines »Partisanentums des Atheismus« bezichtigt.
Kernpunkt der Kontroverse: Für viele moderne Theologen ist Jesus von Nazareth ein Mensch wie andere gewesen, der vieles nicht gewußt und sich in manchem geirrt hat. Bergmann hingegen schreibt dem Menschen Jesus nahezu dieselbe Allwissenheit zu wie Gott (siehe Auszug Seite 61).
Für nächstes Jahr bereiten Bergmann und seine »Bekenntnisbewegung« eine Kraftprobe vor. Sie wollen den hannoverschen Landesbischof Hanns Lilje und andere Kirchenführer zwingen, modernen Theologen auf dem Kirchentag in Hannover jedes Auftreten zu verbieten.
Bergmanns Drohung: Auf dem Kirchentag in Köln 1965 habe es »eine Erschütterung und Unterminierung der Person Jesu Christi« gegeben; würden in Hannover 1967 dieselben Theologieprofessoren wie in Köln sprechen, so werde die »Bekenntnisbewegung« energisch protestieren und während des Kirchentages »zu eigenen Kundgebungen aufrufen«.
Bergmann: »Der Kirchentag gleitet immer mehr in Hände, die uns nicht gefallen. Ich glaube, es kommt der Tag, wo sich diese Kirche spaltet. Aber solange sie uns nicht hindert, klar das Evangelium zu verkündigen, ist es wohl kaum gut, freiwillig den Irrlehrern zu weichen.«
Evangelisten Bergmann, Graham
»Für den heiligen Krieg ...
... genau 12865,84 Mark": Bergmann-Predigt im Evangelisations-Zelt