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VIETNAM / LUFTKRIEG Fabelhafter Charlie

aus DER SPIEGEL 46/1965

Acht Männer schwammen nachts durch Flüsse, wateten durch Sümpfe, krochen durch unterirdische Gänge und robbten durch mannshohes Elefantengras. Dann, als sie den an der mittelvietnamesischen, Küste gelegenen US-Luftstützpunkt Chu Lai vor Augen hatten, trennten sie sich.

Je vier »Charlies«,(GI-Slang für Vietcong-Partisanen) rannten, Säcke und Taschen voller Sprengstoff mit sich schleppend, von Süden und Westen auf die an der Piste abgestellten Flugzeuge zu. Bevor die überraschten US-Wachen reagierten, flogen zwei Überschall -Kampfflugzeuge in die Luft. Drei weitere wurden schwer beschädigt. Alle acht Mitglieder des kommunistischen Himmelfahrtskommandos fielen beim Rückzug.

Zur selben Zeit - am Donnerstag vorletzter Woche - pirschten sich 40 rote Guerillas an den Hubschrauber -Platz 'des US-Hauptstützpunktes in Vietnam, Da Nang, heran. Obwohl Da Nang von 30 000 amerikanischen Marine -Infanteristen verteidigt wird, brachen auch dort etwa 20 Angreifer, Sprengstoff-Ranzen auf dem Rücken, bis zu den Maschinen durch. 18 Helikopter gingen in Flammen auf, 22 wurden beschädigt. In Da Nang blieben nur die Hälfte der Angreifer auf der Strecke.

Mit dieser »fabelhaften Aktion«- (so US-Oberstleutnant George Baumann in Da Nang), die einen Schaden von fast 80 Millionen Mark anrichtete, erhöhte sich die Gesamtzahl der von den Vietcong am Boden zerstörten amerikanischen Maschinen 'auf 99 Flugzeuge und 58 Hubschrauber.

Doch dies ist nur ein geringer Teil der Gesamtverluste der US-Luftwaffe in Vietnam. Jene Waffengattung, die in den letzten Monaten entscheidend zu einer Wende des Kriegsglücks im vietnamesischen Dschungel beitrug, verzeichnet auch die schwersten Verluste - obwohl die amerikanischen Maschinen den Himmel über Vietnam allein beherrschen.

Seit Februar dieses Jahres verloren die USA bei insgesamt über 16 000 Bomben-Einsätzen gegen Nordvietnam 125 Maschinen - das bedeutet eine Abschußrate von 0,75 Prozent pro Einsatz. Sie ist höher als im Zweiten Weltkrieg.

Bei Angriffen gegen die Guerillas in Südvietnam gingen bisher etwa 300 Maschinen verloren. Gesamtverlust der USA an fliegendem Material in Vietnam: fast 600 Flugzeuge - das ist mehr als die Hälfte des Flugzeug-Parks der deutschen Bundeswehr (etwa 1000 Maschinen).

Die meisten Flugzeuge wurden von nordvietnamesischer Flak und Partisanen-MGs heruntergeholt. Die nordvietnamesische Luftwaffe konnte nur geringe Erfolge melden: Ihre alten Migs schossen im April zwei US-Jets ab. Seit bei zwei weiteren Luftgefechten drei Migs zersiebt wurden, tauchte kein roter Jäger mehr am Himmel Vietnams auf.

Weit gefährlicher könnten die Luftabwehrraketen des Typs Sam-2 werden, die Moskau an den gebombten Bruder lieferte. Mit ihnen wurden bisher sechs US-Jabos abgeschossen. Die Amerikaner versuchen daher, alle Raketen außerhalb des Schonbezirks um Hanoi zu zerstören. Nach dem sechsten erfolgreichen Raketenabschuß auf eine US -Maschine flogen letzte Woche 45 Jagdbomber der Flugzeugträger »Independence« und »Oriskany« zum konzentrierten Angriff auf einen Raketen-Ring nördlich von Hanoi.

Die Jabos pirschten die Raketen-Stellungen im Tiefflug an, zogen unmittelbar davor hoch und stießen auf das Ziel nieder. Drei der mit sowjetischen Freiwilligen bemannten Rampen wurden zerstört.

Die einzige Maschine, die dabei verlorenging, wurde Opfer nordvietnamesischer Flak-Schützen, die sich in dem bisher neunmonatigen Luftkrieg als Meister der Tarnung, der schnellen Reaktion und der Treffsicherheit erwiesen.

Sie sind mit modernen sowjetischen Waffen ausgerüstet und nützen ein Dilemma des Bombenkrieges gegen Dschungelziele: Die angreifenden Flugzeuge müssen, um gegen,die oft kaum sichtbaren oder kleinräumigen Ziele (Brücken) Treffer zu landen, im Sturz oder Tiefflug angreifen. Damit kommen sie vor die Rohre der Flak oder in die Reichweite von Partisanen-MGs.

Wirkung und Verwundbarkeit der Luftwaffe im Dschungelkrieg zeigten sich während der Schlacht um das Hochland-Fort Plei Me gegen Ende Oktober.

Zwei Wochen lang berannten über tausend Vietcong das von neun Angehörigen der US-Special-Forces und 300 Bergkriegern gehaltene Camp. Mehrmals drangen die Roten bis zu den Gräben der Verteidiger vor; Entsatz-Kolonnen gerieten in den Hinterhalt. Nur pausenlose Luftunterstützung rettete das Fort. Aber die US-Luftwaffe verlor im Feuer der Partisanen-Primitivwaffen drei Jabos und vier Hubschrauber beim Ringen um das strategisch bedeutungslose Lager.

Trotz der relativ hohen Verluste und trotz vieler Fehlleistungen - letzte Woche wurden bei einem irrtümlichen Angriff auf ein Dorf 48 Bauern getötet

- bleibt die Luftwaffe der stärkste

Trumpf der Amerikaner im vietnamesischen Krieg. Die Bomber stoppten die Monsunoffensive der Kommunisten, als noch nicht genügend US-Landtruppen in Vietnam ' waren, um den Vietcong wirksam entgegenzutreten.

Bomben und Napalm, Raketen und Bordwaffen zermürben den Gegner von Tag zu Tag mehr. Für jedes Flugzeug, das er herunterholt, tauchen zwei neue auf. Schon jetzt ist die US-Luftstreitmacht in Vietnam stärker als jede andere Luftwaffe in der Welt mit Ausnahme der er sowjetischen: 2200 Kampfflugzeuge und Hubschrauber.

Getroffene US-Bomber über Nordvietnam: Höhere Verluste als im Zweiten Weltkrieg

Sowjet-Raketenbasis in Nordvietnam

Im Tiefflug zerstört

Luftabwehr-Zielgerät der Vietcong*

Von Napalm zermürbt

* Die Ziel-Einrichtung wurde von Special-Fores-Sergeant Desoto (Bild) nach den Kämpfen bei Plei Me gefunden.

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