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RAUMFAHRT Fabriken im All

Von erdbeobachtenden Satelliten bis hin zu Sonnenkraftwerken im Kosmos reicht die US-Weltraumplanung. An dem wirtschaftlichen Nutzen wollen nun auch Entwicklungsländer teilhaben.
aus DER SPIEGEL 20/1978

Seit »Sputnik«, vor 21 Jahren, haben die Weitraummächte mehr als 2000 Satelliten ins All geschossen. Zwei Dutzend davon tun als Nachrichtensatelliten Dienst -- und machen den Weltraum profitabel.

Rückschläge hat die bemannte Weltraumfahrt hinnehmen müssen. Die Träume von einer Landung auf dem Mars oder gar von Abstechern zu weiter entfernten Planeten sind vorerst verflogen.

Doch die erdnahe Raumfahrt, bemannt oder mit ferngesteuerten Satelliten, wird auch von traditionell erdgebundenen Wirtschaftsunternehmen zunehmend gefördert -- denn hohe Gewinne stehen ins Haus.

In welchem Maße die Raumfahrt im Begriff ist, sieh von der bloßen Erkundung zu wirtschaftlicher Nutzung des Weltraums fortzuentwickeln, macht die derzeitige Zukunftsplanung der Nasa deutlich.

In einem 44seitigen Bericht skizzierte W. R. Lucas, als Direktor des Marshall Space Flight Center in Huntsville Nachfolger des verstorbenen Wernher von Braun, die zukünftigen Vorhaben der Nasa etwa bis zum Jahre 2000. Die Illustration dazu fertigte in Form einer Schautafel jetzt die Firma Grumman Aerospace, einer der Hauptauftragnehmer der Nasa (siehe Graphik Seite 202).

Arbeitspferd im Weltraum wird danach noch für die nächsten zwei Jahrzehnte die amerikanische Weltraumfähre ("Space Shuttle") sein, die voraussichtlich schon 1980 ihren Flugbetrieb aufnimmt.

Mitte der achtziger Jahre soll die »Shuttle« dann in der Lage sein, vollautomatisch, gleichsam aus dem hohlen Bauch, mitgeführte Aluminium-Blechrollen zu einem Gitterwerk von Raumstrukturen zusammenzufügen. Mit jedem Flug kann diese Konstruktions-Plattform ("Beam Builder") ein his zu 300 Meter langes und 200 Meter breites Raumtragwerk fabrizieren.

Pro Start wird die »Shuttle«, die gegenwärtig in Huntsville Vibrationstests unterzogen wird, 30 Tonnen Nutzlast in eine erdnahe Umlaufbahn befördern können. 1985 beispielsweise soll es der Prototyp einer riesenhaft -- nach Art eines Regenschirms -- sich selbst entfaltenden Funkantenne sein.

Die Raumfähre, so etwa bestückt mit dem in Europa gebauten bemannten Raumlabor »Spacelab«, und eine Reihe von unbemannten Satelliten sollen im nächsten Jahrzehnt vor allem der Erdbeobachtung dienen -- durchaus mit wirtschaftlichem Nutzen:

* Ein geostationärer Umweltsatellit ("Geostationary Operational Environment Satellite« -- »Goes") soll vor allem Atmosphärenforschung betreiben, Grundlage für eine zuverlässige Zwei-Wochen-Wettervorhersage.

* »Seasat B«, auf polarer Umlaufbahn, soll alle 36 Stunden etwa 95 Prozent der irdischen Meere kontrollieren und Meßwerte liefern über Stürme, Wellendynamik, Eisfelder und Oberflächentemperatur. > Ein Bodenforschungs-Satellit, ausgerüstet mit riesigen Sonnenpaddeln und einer Vielzahl von Sensoren, soll die landwirtschaftlichen Nutzflächen sowie geologische Formationen, Wasservorkommen und Fischgründe auf der Erde überwachen.

* Eine bemannte Großstation, aus~ sechs großen Raumlabors zusam-

* Im Test-Hangar des Marshall Space Flighl Center. bei der Vorbereitung zum Vibrationstest.

mengefügt, ist für Ende des nächsten Jahrzehnts vorgesehen, gleichsam als Weiterentwicklung des Spacelab, geeignet für Erd- und Sonnenbeobachtung.

Ein ähnlicher Zug ins Überdimensionale kennzeichnet die voraussichtliche Entwicklung bei den Kommunikations-Satelliten.

So soll schon »Intelsat V« (geplanter Starttermin: 1982) mit 92 000 Kanälen die Kapazität bisheriger Nachrichtensatelliten beinahe verzehnfachen -- ergänzt durch einen Business-Satelliten (SBS), der Daten, Post und Bildschirmkonferenzen zwischen Konzern-Zentralen und deren Filialen übertragen soll. Mitte der achtziger Jahre sollen Service-Satelliten Radio- und TV-Programme in Privathaushalte (oder auch in Armband-Radios) übertragen. Der Bau einer »Integrierten Kommunikations-Plattform«, bestehend aus zwei riesigen und einem kleineren Reflektor, soll fünf Jahre später folgen.

Diese Vielzweck-Konstruktion könnte nicht nur den gesamten elektronischen Postdienst zwischen Kontinenten übernehmen sowie Polizei- und Verwaltungsdaten übermitteln. Zu ihren Aufgaben würden auch die Kontrolle atomarer Brennstoff-Transporte auf der Erde, das elektronische Einsammeln von Wählerstimmen sowie Erdbeben- und Flutwellenwarnung gehören. Vom Beginn einer »dritten industriellen Revolution« sprechen die Nasa-Planer, wenn -- ebenfalls Anfang der achtziger Jahre -- die Nutzung des Weltraums als Vakuum-Fabrikhalle sowie für die Stationierung von Sonnenkraftwerken beginnt.

Als Vorstufe dazu könnte das europäische Himmelslabor dienen. Ende des nächsten Jahrzehnts, so ist geplant, soll das »Spacelab« mit Hilfe einer Art von Ladekran ("Manipulator") routinemäßig aus dem Bauch der Raumfähre gehoben und in eine Umlaufbahn entlassen werden. Umgekehrt, nach der Mission im Orbit, wird das Labor von der Fähre wieder abgeholt. Bei späteren Flügen sollen Koppelstutzen die Montage von mehreren »Spacelab"Zylindern möglich machen -- zu einer Station im All.

Während der ersten »Spacelab«-Flüge soll das Himmelslabor (bei geöffneten »Shuttle«-Luken) noch im Laderaum der Fähre bleiben. Bei den Experimenten soll die Werkstoff-Forschung Vorrang haben. Bonns Forschungsministerium hat im letzten Monat zwei »Spacelab«-Flüge für diesen Zweck vorgebucht: Exotische Kristalle für Elektronik-Bausteine sollen gezüchtet und neuartige Metall-Legierungen gemischt werden, die unter irdischen Verhältnissen nicht herstellbar wären. Mitte des kommenden Jahrzehnts sollen regelrechte Raum-Fabriken installiert werden -- zur Massenproduktion leistungsstarker Computer-Komponenten und hochwertiger Magnete, aber auch zur Herstellung besonders reiner Pharmazeutika und Impfstoffe.

Etwa zur gleichen Zeit soll dann ein erstes 500-Kilowatt-Versuchskraftwerk errichtet werden, das Sonnenenergie einfängt und zur Erde überträgt -- in Form von Mikrowellen, die auf der Erdoberfläche hernach in Strom umgewandelt werden.

Im letzten Jahrzehnt dieses Jahrtausends schließlich, so hoffen die Weltraum-Planer, könnten schon Großkraftwerke im All gebaut werden. Die Solarzellen eines Weltraumkraftwerks von der Leistung eines Biblis-Atommeilers (etwa 1000 Megawatt) würden eine Fläche von 4,8 mal 2,4 Kilometer überspannen.

Als die Nasa-Ökonomen letzten Monat ihr hochfliegendes Programm erörterten, gerieten sie ins Schwärmen. Jede Dollarmilliarde, die in Weltraum-Vorhaben investiert werde, so eine Schätzung, zahle sich zehn Jahre später wieder aus -- mit einem Reinertrag von 4,20 Milliarden Dollar und 20 000 neuen Arbeitsplätzen.

Als mögliche Verlierer beim großen Weitraumgeschäft sehen sich unterdes äquatornahe Länder der Dritten Welt. Über ihren Territorien werden Sonnenkraftwerke und leistungsfähige Nachrichtensatelliten stationiert sein -- mit allen womöglich auch nachteiligen Folgen.

Am wirtschaftlichen Weltraum-Nutzen möchten die Habenichtse wenigstens bescheidenen Anteil haben. So kündigte die Regierung von Kolumbien bei der Internationalen Fernmeldeunion in Genf ihre Absicht an, die kolumbianischen Grenzen, nach Art eines imaginären Riesenvorhangs, »bis in den erdnahen Bereich des Weltraums« hochzuspannen.

Dann nämlich könnte Kolumbien -- und sieben weitere äquatornahe Länder schlossen sich dieser Forderung an -- »Satelliten-Parkgebühren« kassieren für gewinnträchtige Kommunikations-Plattformen, die über ihrem Territorium am Himmel »aufgehängt« werden.

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