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Hausmitteilung Facebook / China / Piraten

aus DER SPIEGEL 19/2012
Dworschak in Frankfurt am Main

Dworschak in Frankfurt am Main

Foto: BERT BOSTELMAN / BILDFOLIO

Anfangs hatte Paul, Pfarrerssohn aus Bad Soden, 17 Jahre alt, sich nur zu einem kurzen und anonymen Gespräch bereit erklärt; am Ende unterhielt er sich zweieinhalb Stunden lang mit SPIEGEL-Redakteur Manfred Dworschak, 52. Wie kein anderer der vielen Facebook-Nutzer, die Titelautor Dworschak interviewte, hatte Paul die Gefahren und Abgründe des Netzwerks kennengelernt. Auch mit Kripo-Beamten des Hessischen Landeskriminalamts, Psychologen und Sexualforschern sprach Dworschak - und fühlte sich wie ein Völkerkundler, der eine unbekannte Kultur erforscht. »Die Generation der 12- bis 27-Jährigen regelt ihr halbes Leben über das Netzwerk«, sagt Dworschak. »Sie schließen Freundschaften, zanken und versöhnen sich so wie wir früher, aber alles passiert via Facebook.« Paul, der Pfarrerssohn, gehört nicht mehr so recht zur Gemeinde. »Nach seinen Erlebnissen ist er der vorsichtigste Nutzer, den man sich vorstellen kann«, sagt Dworschak (zum Artikel ).

Die neunte Etage des Chayong-Krankenhauses im Zentrum von Peking war streng bewacht, SPIEGEL-Korrespondent Wieland Wagner, 52, wurde von Uniformierten abgefangen, er musste seinen Ausweis fotografieren lassen. Denn einer der Patienten auf dem Flur, jener Mann, den er aufsuchen wollte, war der blinde Bürgerrechtler Chen Guangcheng, 40, der dort eingeliefert worden war, nachdem er in der vergangenen Woche die US-Botschaft verlassen hatte; bis Redaktionsschluss in der Nacht zum Samstag hoffte er vergebens auf die Ausreise. Im Krankenhaus kam Wagner an den Dissidenten nicht heran, im Laufe der Nacht jedoch, auf verschlungenen Wegen, an dessen Handy-Nummer. Nun wählten Wagner und seine Mitarbeiterin Wu Dandan, 26, von zwei Telefonen aus immer wieder Chens Nummer an - und manchmal kam eine Verbindung zustande, oft nur für Sekunden, für ein paar zerstückelte Worte. Die Splitter, zusammengesetzt, ergeben ein authentisches Interview mit dem Dissidenten (zum Artikel ).

Es ist der Alptraum jedes Journalisten: Zwei Politiker, der Pirat Fabio Reinhardt, 31, und der Grüne Jan Philipp Albrecht, 29, hatten temperamentvoll einen Vormittag hindurch über Datenschutz und Urheberrecht diskutiert, SPIEGEL-Redakteur Gunther Latsch, 52, hatte das SPIEGEL-Streitgespräch moderiert, ein Stenograf jedes Wort mitgeschrieben, digital aufgenommen. Doch plötzlich standen die SPIEGEL-Leute vor dem Nichts: Am Hamburger Hauptbahnhof war dem Stenografen der Koffer samt Notizen und Aufnahmen gestohlen worden. Als Retter erwies sich Diskutant Reinhardt. Der Pirat, technisch gut gerüstet, hatte darauf bestanden, eine Aufzeichnung mit seinem Smartphone anzufertigen (zum Artikel ).

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