Fahrplan eines Welteroberers
1. Fortsetzung
Stil, Aufbau, Änderungen
Hitler, über den 1920 das Gerücht verbreitet wurde, daß er »berufsmäßiger Werberedner« werden wollte, war politischer Redner, Exponent und Führer der am radikalsten antisemitischen und antidemokratischen (nach dem Putsch zwar offiziell aufgelösten) politischen Partei in der Weimarer Republik, als er »Mein Kampf« schrieb, nicht Schriftsteller. Der Stil in »Mein Kampf« ist von Hitlers Rhetorikstil bestimmt.
Hitler, der sich als Mittelpunkt der zahlreichen und meistens sehr turbulenten Versammlungen und als Meister in der Beherrschung affektgeladener Schimpfkanonaden wohl fühlte, war auch beim Schreiben leidenschaftlich engagiert und aggressiv. Ihm fehlte der Abstand, den ein Autor braucht, um wirkungsvoll und »ohne Zorn und Eifer« schreiben zu können.
Daß sein Temperament während des Diktierens - nicht nur seiner Reden - mit ihm durchging, ist von eingeweihten Zeugen überliefert. So berichtet beispielsweise eine seiner Sekretärinnen, daß sich seine Stimme während des Diktats bereits überschlug und ein heftiger Blutandrang sichtbar wurde, wenn er das Wort »Bolschewismus« aussprach. Ein Teil der unflätigen und ausfälligen Formulierungen in »Mein Kampf« läßt sich wahrscheinlich so erklären.
Hitler, der nur wenige Schriftsteller, Dichter und Denker gelten ließ und sich sehr oft rühmte, ungewöhnlich viel und genau gelesen und studiert zu haben, hat vom geschriebenen Wort nicht viel gehalten. »Ich weiß«, schrieb er bezeichnenderweise bereits im Vorwort von »Mein Kampf«, in dem er die Reden des Reichskanzlers Bethmann Hollweg als »hilfloses Gestammel« glossierte, »daß man Menschen weniger durch das geschriebene Wort als vielmehr durch das gesprochene zu gewinnen vermag, daß jede große Bewegung auf dieser Erde ihr Wachsen den großen Rednern und nicht den großen Schreibern verdankt.«
Dennoch gestand er dem geschriebenen Wort eine wichtige Aufgabe zu: »... zur gleichmäßigen und einheitlichen Vertretung einer Lehre (muß) das Grundsätzliche derselben niedergelegt werden für immer.«
Die Tatsache, daß Hitler als Parteipolitiker bis zur Niederschrift von »Mein Kampf« eine große Anziehungskraft (besonders auf bürgerliche Schichten) nicht durch schriftlich fixierte akademische Analysen und eine ebenso verbreitete scheinbare Gelehrsamkeit, sondern hauptsächlich durch oberflächliche, stets die gleichen Behauptungen demagogisch wiederholende Reden ausübte, hat seine wahrscheinlich bereits vor 1914 vorhandene und eindeutig von dem französischen Gelehrten Le Bon und seit 1920 auch von dem amerikanischen Sozialpsychologen McDougall beeinflußte Auffassung bestärkt, daß in der praktischen Politik nicht relativierende, akademische Analysen und abgesicherte Hinweise auf schwierige und detailliert gekennzeichnete Literatur, sondern zündende Reden, eindringliche Appelle, leicht einprägsame Erklärungen und Schlagworte wie beispielsweise »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, »Alle Macht den Sowjets« und »Los von Rom« wirklich große Erfolge bringen wurden. Viele seiner boshaft herablassenden und polemischen Bemerkungen über Schriftsteller und Intellektuelle allgemein, die anderer Meinung waren als er selbst, sind zweifellos aus dieser Sicht zu deuten.
So erklärte Hitler am 10. November 1938 in München in einer Rede: »Wenn ich so die intellektuellen Schichten bei uns ansehe - leider, man braucht sie ja, sonst könnte man sie
eines Tages ja ... ausrotten oder so was ... dann wird mir fast angst«, und in Mein Kampf« schrieb er beispielsweise: »... das mögen sich alle die schriftstellernden Ritter und Gecken von heute besonders gesagt sein lassen: die größten Umwälzungen auf dieser Welt sind nie durch einen Gänsekiel geleitet worden! Nein, der Feder blieb es immer nur vorbehalten, sie theoretisch zu begründen. Die Macht aber, die die großen historischen Lawinen religiöser und politischer Art ins Rollen brachte, war seit urewig nur die Zauberkraft des gesprochenen Wortes ...«
Aus dieser Sicht urteilte Hitler denn auch: »Was dem Marxismus die Millionen von Arbeitern gewonnen hat, das ist weniger die Schreibart marxistischer Kirchenväter als vielmehr die unermüdliche und wahrhaft gewaltige Propagandaarbeit von Zehntausenden unermüdlicher Agitatoren ... Von solcher Propaganda her kamen dann die Menschen, die bereit und vorbereitet waren, eine sozialdemokratische Presse zu lesen, jedoch eine Presse, die selber wieder nicht geschrieben, sondern die geredet ist ...«
Hitler wußte allerdings auch, daß er selbst kein Schriftsteller war, wie Hans Frank berichtet. Dem damaligen Reichsminister ohne Geschäftsbereich soll Hitler im Frühjahr 1938 erklärt haben: »Ich bin kein Schriftsteller. Welch schönes Italienisch spricht und schreibt Mussolini! Ich kann nicht dasselbe auf deutsch. Die Gedanken gehen mir durch beim Schreiben. 'Mein Kampf' ist eine Aneinanderreihung von Leitartikeln für den Völkischen Beobachter, und ich glaube, selbst dort würde man sie aus sprachlichen Gründen nur ungern annehmen. Inhaltlich möchte ich nichts ändern. Wenn es schon 'Phantasien zwischen Gittern' sind, die ich da dem Heß diktiert habe: Es gibt auch eine Logik des Traumes. Nur das Kapitel, über die Syphilis müßte ich als unrichtig total umändern.«
Hätten Mitarbeiter des Verlages Franz Eher Nachfolger oder Freunde Hitlers versucht, Hitlers Stil wirklich lesbar zu machen oder gar literarisch zu gestalten, wäre es nötig gewesen, »Mein Kampf« völlig umzuschreiben. Dann aber wäre »Mein Kampf« nicht mehr Hitlers Werk geblieben.
Vieles von dem, was Hitler äußerte, erschien zahlreichen Anhängern auch nur in Hitlers Sprachregelung glaubhaft. Seine lärmende Aufrichtigkeit und die bedenkenlos vorgetragenen apodiktischen Behauptungen wären durch sachliche Formulierungen um ihre Wirkungsmöglichkeit gebracht worden. Wo immer die schwülstigen Berichte Hitlers und seine schmuddelige Prosa nachträglich gediegen formuliert werden, wird die Hohlheit des verwaschenen, meist präzisionslosen, wortreichen Hitler-Stiles offenbar. Geradezu absurd ist daher Hitlers Feststellung in »Mein Kampf«, daß er die große Wiener Presse nach 1908 zwar wegen ihres »vornehmen Tones« gewürdigt, jedoch wegen »der Überschwenglichkeit des Stils« abgelehnt habe.
Daß »Mein Kampf«, der von französischen Lehrern in Tananarive (Madagaskar) als Lehrbuch für Deutsch benutzt wird, gar nicht wirklich lesbar gemacht werden konnte, bezeugen nicht zuletzt auch die Übersetzungen von »Mein Kampf« in andere Sprachen. Nicht selten haben Kritiker bereits unmittelbar nach dem Erscheinen der Übersetzungen darauf hingewiesen.
So heißt es beispielsweise In »The Times« vom 24. März 1939: »... niemand will in Anspruch nehmen, daß Hitler ein Stilist ist. Der Übersetzer hat eine ausgezeichnete Arbeit aus den ... schweren Seiten gemacht, und sein Entwirren der sehr verwickelten Sätze und des Kauderwelsch ist meisterhaft«, und in »The Times« vom 25. März 1939 wird dem Übersetzer James Murphy attestiert: »Seine Wiederherstellung von Hitlers gewundenen Sätzen, seinen sehr eingeschränkten Verben und Adjektiven ist meisterhaft. Er hat erfolgreich mit solchen gefühlsmäßigen Worten wie Scholle, Volk, Gemeinschaft verfahren, die die Grundlage des Nazismus sind.«
Und »The Times« gab ausdrücklich zu, daß es »nicht überraschen« würde, wenn Hitlers Buch »die Sympathien für diejenigen Gedanken von Hitler ansteigen ließe, die nicht unmittelbar unsere eigenen Interessen in der Welt bedrohen«, sie bestätigte Hitler auch: »Kein Wunder, daß Hitler so ein begabter Propagandist ist. Er weiß, daß das nicht trainierte Gedächtnis sich wie das seine bewegt, und er beutet die Schwäche vollständig aus. Er ist in seinen Kommentaren über die Massen genauso zynisch wie unsere eigenen Werbetexter.« Im gleichen Sinne wurden auch die Nachkriegs-Ausgaben von »Mein Kampf« in England kommentiert.
In Bierschenken, auf offenen Plätzen, in Zirkuszelten und Stadien, wo Hitler vor der Niederschrift von »Mein Kampf« gern sprach, hatte er die Erfahrung gemacht, daß wenig differenzierte radikale Formulierungen, apodiktische Behauptungen und sehr häufig Wiederholungen ihre Wirkung besonders auf die »Masse« hinterließen. Daß Hitler allerdings nicht nur in der Art und Weise als Propagandist wirkungsvoll auftreten konnte, ist erwiesen.
Max Domarus, der Hitlers Reden aus der Zeit von 1932 bis 1945 zusammentrug und veröffentlichte, beurteilte Hitler als Redner wie folgt: »Hitler stimmte seine Reden fast unmerklich auf die jeweilige Zuhörerschaft ab. Der Inhalt war wohl überall der gleiche, aber er liebte es, den Jargon nach der Landschaft oder dem Kreis der Versammelten zu wechseln. Sprach er zum Beispiel vor Intellektuellen, Universitätsprofessoren oder Studenten, dann entwickelte er im ersten Teil der Ansprache einen verklausulierten, abstrakten Stil, wie man ihn in manchen akademischen Hörsälen vernehmen kann.
»In allen Reden verwandte Hitler mit Vorliebe Fremdwörter, und er gebrauchte sie stets richtig! Sie schienen ihm klanglich besonders eindrucksvoll zu sein und außerdem geeignet, Sympathien bei anwesenden Fachleuten zu erwecken. Auch schwierige Titulaturen und hochzeremonielle Anreden konnte er so einwandfrei wie ein diplomatischer Protokollchef anwenden.
»In den Jahren 1932 und 1933 sprach Hitler in vielen seiner Reden das anlautende 'st' buchstäblich 'st' aus, als sei er ein Hannoveraner oder Hamburger, der die deutsche Lautverschiebung nicht mitgemacht hat. Er versprach sich von solchen Floskeln und sprachlichen Anomalien eine günstige Wirkung auf die norddeutschen Zuhörer, und es scheint, er hatte recht damit.«
Hätte Hitler tatsächlich ein so schlechtes Deutsch gesprochen, wie Mein Kampf« es als möglich - und teilweise als erwiesen - erscheinen läßt, hätten die zahlreichen Gönner (bis zum Beginn der Niederschrift von »Mein Kampf« waren das bereits ausländische Diplomaten, deutsche Industrielle, Generale und Dienststellen der Reichswehr, Verleger, Ärzte, vermögende Frauen und andere Angehörige des Besitz-Bürgertums und des Adels) Hitler nicht schon seit Dezember 1920 so wirkungsvoll unterstützt. So ungewöhnlich faszinierend Hitlers leidenschaftlich und überzeugend vorgetragene Reden für sehr viele Hörer sein, konnten, so ermüdend, peinlich und sinnlos wirkten sie in der Niederschrift - oft auf dieselben Menschen.
Die Bearbeiter der deutschen Auflagen und der von Hitler genehmigten. Übersetzungen von »Mein Kampf« haben (mehr noch als Rudolf und Ilse Heß mit ihrer Arbeit)- keine leichte Aufgabe gehabt zumal der fanatische Dogmatiker Hitler die Auffassung verfocht, daß einmal als richtig ausgegebene dogmatische Leitsätze nicht verändert werden dürften, nachdem sie programmatisch postuliert und formuliert worden seien.
»Bei einer in großen Zügen tatsächlich richtigen Lehre ist es weniger schädlich, eine Fassung, selbst wenn sie der Wirklichkeit nicht mehr ganz entsprechen sollte, beizubehalten«, schrieb er in »Mein Kampf«, als »durch eine Verbesserung derselben ein bisher als graniten geltendes Grundgesetz der Bewegung der allgemeinen Diskussion mit ihren übelsten Folgeerscheinungen auszuliefern ... Das Wesentliche darf eben nie in der äußeren Fassung, sondern stets nur im tieferen Sinn gesucht werden. Und dieser ist unveränderlich«. Dennoch sind besonders in den deutschen Ausgaben von »Mein Kampf« zahlreiche Korrekturen vorgenommen worden.
Häufig hat Hitler die - nicht selten aus dem Ausland - an ihn herangetragenen Vorschläge abgelehnt, Partien seines Werkes wenigstens an den Stellen zu ändern, die sich als besondere Belastung im Rahmen der internationalen Politik auswirken konnten. So antwortete er beispielsweise dem französischen Schriftsteller Bertrand de Jouvenel im Februar 1936 auf eine entsprechende Andeutung: »Sie wollen, daß ich mein Buch korrigiere, wie ein Schriftsteller, der eine neue Bearbeitung seiner Werke herausgibt? Ich bin aber kein Schriftsteller. Ich bin Politiker. Meine Korrekturen nehme ich in meiner Außenpolitik vor, die auf Verständigung mit Frankreich abgestellt ist! Wenn mir die deutsch-französische Annäherung gelingt, so wird das eine Korrektur darstellen, die würdig ist. Meine Korrektur trage ich in das große Buch der Geschichte ein!«
Nach der Ansicht von Hermann Hammer, der in der Zeitschrift: »Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte« im April 1956 eine ausgezeichnete Untersuchung über die deutschen Ausgaben von Hitlers »Mein Kampf« vorlegte, sind »die Veränderungen in ihrer Gesamtheit« von mehreren Bearbeitern im Rahmen der einzelnen Auflagen vorgenommen worden, was zwar nicht erwiesen, jedoch durchaus möglich ist.
Die Bearbeiter der ersten Ausgaben von »Mein Kampf«, folgten dem - nur sehr wenigen Eingeweihten vertrauten - Beispiel von Rudolf und Ilse Heß. Sie hatten darüber hinaus besonders darauf zu achten, daß leicht auffallende stilistische Überarbeitungen am Beginn und Ende der einzelnen Absätze und Kapitel unterblieben. Auf diese Weise entgingen den Lesern im wesentlichen die Korrekturen, obwohl in den »Mein Kampf«-Ausgaben von 1925 bis 1930 insgesamt 2294 Änderungen vorgenommen wurden; von 1930 bis 1939 waren es 293.
In seiner Untersuchung über die deutschen Ausgaben von »Mein Kampf« stellte Hermann Hammer fest, daß von 1925 bis 1930 im I. Band insgesamt 1920 und von 1930 bis 1939 176 Änderungen vorgenommen würden. Im II. Band finden sich bis 1930 insgesamt 374 und von 1930 bis 1939 117 Änderungen.
Bemerkenswert ist zunächst, daß nur rund drei Dutzend Korrekturen sachlicher, mehr als 2500 dagegen stilistischer Natur sind.
Der Stil des Hitler-Werkes, das trotz der zahlreichen Korrekturen durch fremde Personen bis zuletzt so unverbindliche Hitler-Redewendungen wie »mehr oder weniger«, »mehr und mehr«, »nach und nach« und »an sich« enthielt, um an dieser Stelle zunächst nur einige Beispiele zu nennen, wird eindeutig von Hitlers Redestil bestimmt. Die für Hitlers Ausdrucksweise ebenso typischen emotional bestimmten Formulierungen, Substantive an unnötigen Stellen, die (oft gewollt literarischen) peinlich schwülstigen, ordinären und mit drastischen Schimpfkanonaden durchsetzten, sehr häufig ungenauen, breiten und hohlen Wendungen, haben »Mein Kampf« auch durch die Korrekturen nicht zu einem auch nur halbwegs lesbaren Buch werden lassen, obwohl die Änderungen und Korrekturen, wie oben bereits angedeutet, nahezu ausschließlich stilistischer Natur waren.
Den Beratern und Freunden Hitlers ist es nicht gelungen, den Charakter des Buches von einer Sammlung von nicht zusammenhängenden Reden zu einem systematisch erarbeiteten, kontinuierlich aufgebauten Buch umzuwandeln. Die Bearbeiter des Manuskripts, Rudolf und Ilse Heß, haben sich bemüht, diesen Eindruck dadurch abzuschwächen, daß sie die krassesten Formen des Hitlerischen Rede-Stils zu beseitigen versuchten. Gelungen ist das jedoch nur teilweise. »Mein Kampf« ist bis zur letzten Auflage eine ausgesprochene Sammlung von Hitler-Reden in unsystematischer Folge geblieben.
Im Gegensatz zu der Überarbeitung des Manuskripts und der Druckfahnen der ersten Ausgaben des I. und II. Bandes sind die Korrekturen in den verschiedenen Ausgaben des veröffentlichten Werkes auswertbar. Die Bearbeiter verbesserten den Stil durch Wortumstellungen und Streichungen von Füllwörtern wie »aber«, »also«, »auch«, »da«, »dann«, »denn«, »doch«, »ja«, »nun« und »so«, ließen jedoch die viel zu zahlreichen schlecht lesbaren Sperrungen und die vielen überflüssigen und eindeutig falschen Wörter und Formulierungen stehen.
So heißt es beispielsweise noch in der Ausgabe von 1943 (Seite 24) anstelle von: Es fiel mir damals meist nicht sehr schwer, Arbeit zu finden: »Es wurde mir damals meist nicht sehr schwer, Arbeit an sich zu finden.« Stehen blieben an falschen Stellen auch die von Hitler gern gebrauchten Wendungen »allein«, »endlich« und »an und für sich«.
Grammatikalische Fehler und mißverständliche Satzwendungen wurden in vielen Fällen getilgt. Ungeschickt wirkende Bezeichnungen, die sprachdialektischen Ursprungs zu sein scheinen, wie beispielsweise die häufige Ersetzung von »als vielmehr« durch »sondern«, von »wie« beim Komparativ durch »als«, von »aber« durch »jedoch«, von »so eine« durch »solche«, von »es ist dies« durch »das ist«, wurden häufig geändert. Nicht beseitigt wurden dagegen viele schlechte Formulierungen wie zum Beispiel »untersinken«, »Nachgrübeln«, das »Unschönste« und »Wohl fanden auch in früheren Zeiten manchmal Verirrungen des Geschmackes statt«. Die dem rhetorischen Stil entsprechenden indikativen Formen wurden oft durch konjunktivische Formen ersetzt.
Die in »Mein Kampf« feststellbare Interpunktion, eindeutig die schwächste Seite des Autors Hitler, verrät nicht selten, daß die Bearbeiter des Hitler -Werkes sie auch nicht immer einwandfrei beherrscht haben. So hieß es zum Beispiel im II. Band noch 1930: »Wie ist es möglich, daß die jüdischen Organe bis 1918, die getreuen Schildträger des britischen Kampfes gegen das Deutsche Reich, nun auf einmal Treubruch üben und eigene Wege gehen?«
In späteren Ausgaben waren die Kommata richtig gesetzt: »Wie ist es möglich, daß die jüdischen Organe, bis 1918 die getreuen Schildträger ...«
Erst in der Volksausgabe von 1939 tilgten die Bearbeiter die überflüssigen Kommata vor und hinter »Deutschen« in dem Passus: »Wußten wir nicht als Jungen schon, daß dieser österreichische Staat keine Liebe zu uns, Deutschen, besaß.« Ähnlich, wenn auch umgekehrt, wurde in Seite 57 verfahren, wo es noch in der 3. Auflage von 1930 hieß: »Um die Gunst dieses Hofes (Habsburg) buhlen und in so unanständigen Formen hieß die Würde der Nation preisgeben.« In der Ausgabe von 1939 standen hinter »buhlen« und »Formen« Kommata, in der Ausgabe von 1942 lediglich hinter »Formen«.
Auf ein gebotenes Maß wurden die besonders im I. Band häufig vorkommenden Ausrufungszeichen und An- und Abführungszeichen beschränkt, die nicht selten ebenfalls sinnentstellend wirkten, wie folgendes Beispiel zeigt. 1925 hieß es: »Zum ersten gibt es in einer Nation nur alle heiligen Zeiten einmal einen wirklichen 'Staatsmann' und nicht gleich an die hundert und mehr auf einmal ...« Durch die An- und Abführungszeichen wurde der Sinn entstellt. Hitler meinte tatsächlich: Staatsmann. In den Ausgaben von 1928, 1930, 1933, 1939 und 1943 fehlen die An- und Abführungszeichen denn auch.
Zahlreiche unglückliche Wortbildungen, wie zum Beispiel »undeutsch«, und schlechte Formulierungen, wie »Gnaden verteilen«, »Ich wurde bewahrt davor, die soziale Frage in solcher Weise zu lernen«, statt kennenzulernen, Nationalsozialisten als innere »Zersetzer« der Gewerkschaften, »die Macher einer solchen Gewerkschaft (sind) Betrüger«, »von den Machern seiner bisherigen Aufklärung getäuscht«, »unideal, »Eingebildetheit«, die wissenschaftliche Schulbildung, die heutzutage ja eigentlich das Um und Auf der gesamten staatlichen Erziehungsarbeit ist« und »verlor ich urplötzlich den Vater«, wurden jedoch nicht durch andere Formulierungen ersetzt.
Geändert wurden auch folgende falsch gewählte Wörter im Rahmen der Hitler-Ausführungen nicht:
»Das allgemeine politische Denken in der alten Donaumonarchie war ... umspannender als im alten Deutschland«; »es wird gegessen und getrunken solange das Geld hält«; »... denn nicht für die Erhaltung einer verluderten Dynastie (Österreich-Ungarn) hatten sich die Millionen den Stahlhelm aufgebunden, sondern vielmehr für die Rettung der deutschen Nation«; »oder weiß man nicht, welchen Fluch man sich bei Kind und Kindeskind aufladet«.
Im Zusammenhang mit der Syphilis, dem einzigen Problem, das Hitler in »Mein Kampf« nach einer Äußerung von 1938 falsch behandelt zu haben meinte, heißt es auch 1943 noch statt »Darauf ... läuft es am Schluß hinaus": »Darauf aber kommt es am Schlusse hinaus«.
Geändert wurde auch die schlechte Formulierung nicht: »Man sündigte einfach auf den Körper los.« Ebenso übersahen die Bearbeiter, daß Hitler nicht das »Recht der persönlichen Freiheit«, sondern das Recht auf persönliche Freiheit meinte, als er über die »Pflicht (gegenüber) der Erhaltung der Rasse« sprach. Dem Inhalt nach ungenau ist die Feststellung Hitlers: »Denn da diese Frage (Syphilis) in erster Linie den Nachwuchs betrifft, gehört sie zu denen, von welchen es mit so furchtbarem Recht heißt, daß die Sünden der Väter sich rächen bis in das zehnte Glied.« 2. Mose 34,7, Hitler bezieht sich zweifellos auf diese Stelle, heißt es »... bis ins dritte und vierte Glied«.
Dagegen änderten die Bearbeiter einige der ausfälligsten Schimpfwörter Hitlers in erträgliche Formulierung um. Statt »Pesthure« schrieben sie bereits in der 2. Auflage des ersten Bandes »Pestilenz«, statt »Kinokitsch, Schundpresse und ähnlicher Jauche« »Kinokitsch, Schundpresse und Ähnliches«. Aus »ästhetischen Schmachtaffen« machten sie (ebenfalls schon in der 2. Auflage des I. Bandes) »ästhetische Jünglinge«, aus »Bannkreis seiner eigenen schweinischen Wesensart« »Bannkreis seiner eigenen niedrigen Wesensart« und aus »Idioten von Weltverbesserern« im II. Band »famose Weltverbesserer«.
Stehen ließen sie dagegen im I. Band: ... aus dem Mist dieses literarischen Dadaismus 'inneres Erleben' herauszuklauben«. Der Reichskanzler Wilhelm Cuno, der 1923 zum passiven Widerstand gegen die französischen und belgischen Truppen während der Besetzung des Ruhrgebietes ab 11. Januar 1923 aufgerufen (und auch damit Hitlers Mißbilligung gefunden) hatte, wurde in der ersten Ausgabe des II. Bandes stets als »Herr von Cuno« bezeichnet. In den folgenden Ausgaben heißt es richtig, aber ironisch, »Herr Cuno« und Reichskanzler Cuno.
Viele Rechtschreibefehler wurden verbessert, falsch gebrauchte Fremdwörter durch richtige ersetzt. So hieß es bei Hitler ursprünglich: »Geistigen Zentauren« (griechische Fabelwesen, halb Pferd, halb Mensch). Die Bearbeiter ersetzten die Formulierung durch »geistigen Zyklopen« (riesenhafte einäugige Wesen). Die noch in der 2. Auflage des ersten Bandes vorhandene Formulierung »Wasserküste der Nordsee« wurde umgeändert in »Küste der Nordsee«, das Substantiv »Trüffelinstinkt« (der Journalisten) in »Trüffelsuchinstinkt«, der offensichtliche Druckfehler »... auf das höchlichste erstaunt« in »... auf das höchste erstaunt«.
In den ersten Ausgaben des I. Bandes steht im Zusammenhang mit Hitlers Schilderung seiner ersten öffentlichen größeren Rede im Rahmen der Deutschen Arbeiterpartei: »Nach dreißig Minuten war der kleine Raum von Menschen elektrisiert«, womit Hitler meinte, daß die Teilnehmer der Versammlung durch die Gewalt seiner Rede »elektrisiert« worden seien. In den Ausgaben von 1930, 1933 und 1939 heißt es: »Nach dreißig Minuten waren die Menschen in dem kleinen Raum elektrisiert.«
Mit Hitlers Feststellung: »In wenigen Jahren schuf ich mir ... die Grundlagen eines Wissens, von denen ich auch heute noch zehre«, wußten die Lektoren offenbar nicht viel zu beginnen; denn in der Ausgabe von 1939 heißt es
durchaus nicht besser: »In wenigen Jahren schuf ich mir die Grundlagen meines Wissens, von denen ich auch heute noch zehre.«
Im Bericht über die Beerdigung des von Hitler sehr verehrten Wiener Bürgermeisters Dr. Karl Lueger hieß es in den Ausgaben von 1925 bis 1933: »... befand auch ich mich unter den vielen Hunderttausenden, die dem Trauerspiele zusahen«. Daraus wurde: » ... dem Trauerzug zusahen«. In der 11. Dünndruck-Ausgabe von 1942 hieß es wieder wie bis 1933: »... die dem Trauerspiel zusahen!« Allerdings fehlte 1942 das »e« am Ende von »Trauerspiele«.
Häufig wurde eine Verbesserung des Stils durch die Versetzung des Prädikats an das Satzende angestrebt. Der Satz »Die organisatorische Erfassung einer Weltanschauung kann aber ewig nur stattfinden auf Grund einer bestimmten Formulierung derselben ...« lautet in den Ausgaben von 1930, 1933,
1939 und 1943: »Die organisatorische Erfassung einer Weltanschauung kann aber ewig nur auf Grund einer bestimmten Formulierung derselben stattfinden ...« Der am meisten zitierte Satz Hitlers: »Ich aber beschloß, Politiker zu werden«, wie es seit der 2. Auflage des I. Bandes heißt, lautete ursprünglich: »Ich aber beschloß nun, Politiker zu werden.«
Beleidigende Passagen hat Hitler in »Mein Kampf« nach 1933 ebensowenig tilgen lassen, wie er kompromittierende politische Feststellungen und Zielsetzungen durch zeitgemäße Formulierungen ersetzte. So hieß es beispielsweise bis zum Ende des Dritten Reiches in »Mein Kampf« mit einem deutlichen Hinweis auf Friedrich Ebert: »solche Nullen«. Und auch der abfällige Passus über Ebert im II. Band blieb bis 1945 erhalten. »Da konnte man ... erleben«, heißt es dort, »daß sich die größten parlamentarischen Strohköpfe, wirkliche Gevatter Sattlermeister und Handschuhmacher ... plötzlich auf das Piedestal des Staatsmannes emporhoben, um von dort herunter dann die kleinen Sterblichen abzukanzeln. Es tat und tut dabei gar nichts zur Sache, daß ein solcher 'Staatsmann' zumeist schon im sechsten Monat seiner Kunst als der windigste Murkser, vom Spott und Hohn der ganzen übrigen Welt umhallt, entlarvt ist ...« Alle Parlamentarier und demokratischen Politiker blieben bis zuletzt politische Strauchdiebe, ihre Anhänger »Spießgesellen«.
In den Ausgaben von 1930 bis 1939, seit dem Erscheinen der ersten Volksausgabe (1930) bis zum Beginn des Krieges, fallen die zahlreichen und zum großen Teil sinnentstellenden Druckfehler auf, von denen ein Teil schließlich in der Ausgabe von 1943 korrigiert wurde.
So hieß es zum Beispiel in der Volksausgabe von 1939 - im Gegensatz zu den vorausgegangenen Ausgaben: »Ein Staat von einst stellt heute nur mehr eine Provinz dar, und Staaten der Gegenwart galten früher Kontingenten gleich.« In der Ausgabe von 1943 wurde aus »Kontingenten« wieder wie in der ersten Ausgabe des II. Bandes und in den Ausgaben von 1930 bis 1933 »Kontinenten«.
In den ersten drei Ausgaben des I. Bandes (Seite 345 f.) und 1930, 1933 und 1943 (Seite 358) hieß es: »... und macht die Völker, indem er sie ihrer natürlichen geistigen Führung beraubt, reif zum Sklavenlos einer dauernden Unterjochung.« In der Ausgabe von 1939 (Seite 358) steht dafür: »... und macht die Völker, indem er sie ihrer natürlichen geistigen Führung beraubt, reif zum Sklavenjoch einer dauernden Unterjochung.« 1925, 1928 (Seite 112), 1930, 1933 und 1943 (Seite 118) lautete es im I. Band:
»Auch religiöse Institutionen wurden von diesem gewissenlosesten Herrscherhaus (Habsburg) skrupellos in den Dienst der neuen 'Staatsidee' gestellt. Die Verwendung tschechischer Pfarreien und ihrer geistlichen Seelsorger war nur eines der vielen Mittel, um zu diesem Ziele, einer allgemeinen Verslawung Österreichs, zu kommen.« Das ist in der Volksausgabe von 1939 (Seite 118) fehlerhaft nachgedruckt worden. Es heißt dort: »... Die Verwendung tschechischer Parteien und ihrer geistlichen Seelsorger war nur eines der vielen Mittel, um zu diesem Ziele, einer allgemeinen Verslawung Österreichs, zu kommen.«
In allen Ausgaben werden die Namen der 16 Toten genannt, die während des Hitlerputsches am 9. November 1923 vor der Feldherrnhalle ums Leben kamen. In der ersten Ausgabe des II. Bandes und in den Ausgaben von 1930 und 1933 ist auf der letzten Seite des II. Bandes jedoch von »achtzehn Helden« die Rede, obwohl auch in den Ausgaben nur 16 Namen auf der Gedenktafel: für die Gefallenen stehen.
Auf das Konto eines Bearbeiters kommen wahrscheinlich die gelegentlichen
Änderungen der Groß- und Kleinschreibung. Von 1930 bis 1933 hieß es zum Beispiel: »Der Unterricht über Weltgeschichte in ... Mittelschulen liegt nun freilich auch heute noch sehr im Argen.« 1939 und 1942 ist »argen« klein geschrieben. Entsprechend, nur umgekehrt, wurde das bis 1933 klein geschriebene Wort »tschechisch« («... dieses neuen Habsburgers, dessen Familie nur mehr tschechisch sprach") in den Ausgaben von 1939 und 1942 groß geschrieben.
Auch die stilistischen Korrekturen, die in den Auflagen seit 1930 vorgenommen wurden, haben dem Hitler -Werk nicht immer genützt. So hieß es beispielsweise in den Ausgaben des I. Bandes von 1925 und 1928 (Seite 318) und in den Volksausgaben von 1930 und 1933 (Seite 330): »... während seines Aufwachsens« (eines Kindes). In den Ausgaben von 1939 und 1943 lautete der Passus: »... während seines Aufwuchses« (Seite 330). Die ursprüngliche und unter anderem auch in den Ausgaben von 1930 (3. Auflage) und 1939 vorhandene Formulierung »Ich hatte mich einst gehütet, irgendwie öffentlich aufzutreten, obwohl ich glaube, mich mehr mit Politik beschäftigt zu haben als so viele andere« lautete 1942: »Ich hätte mich einst gehütet.«
Im Gegensatz zu den stilistischen Korrekturen wurden die meisten (der relativ wenigen) sachlichen Änderungen an »Mein Kampf« vornehmlich in der Zeit zwischen 1925 und 1930 vorgenommen. In der Hauptsache betrafen die sachlichen Änderungen sinnentstellende und unklare Formulierungen, falsch gewählte Wörter, unwesentliche sachliche. Fehler und sowohl ergänzende Einfügungen als auch Tilgungen besonders ordinärer Ausdrücke.
Auf einen (allerdings nur unbedeutenden) Fehler im I. Band wurde Hitler 1929 von seinem einstigen Linzer Geschichtslehrer Professor Dr. Leopold Poetsch aufmerksam gemacht. In den ersten drei Ausgaben von »Mein Kampf« hatte Hitler ihn Ludwig Poetsch genannt. In den Ausgaben seit 1930 steht nicht mehr Ludwig, sondern Leopold Poetsch. Leopold Poetsch hatte seinen einstigen Schüler Hitler am 20. Juni 1929 in einem Brief auf den Fehler aufmerksam gemacht (siehe Kasten Seite 49).
Obwohl der »Sozialist« Hitler stets ostentativ bemüht war, Marxismus und Sozialismus deutlich zu unterscheiden, findet sich in den Ausgaben von 1925 und 1928 im I. Band der Passus: »Tatsächlich waren es auch in erster Linie Juden und Sozialisten, die hier mit allen Mitteln zum Kriege zwischen den zwei Staaten (Rußland und Deutschland) schürten und hetzten.« Erst 1930 wurde das wie folgt umgeändert: »Tatsächlich waren es auch in erster Linie Juden und Marxisten ...«
Die unsichere Formulierung »Also erst Kampf, und dann kann man sehen, was zu machen ist« wurde umgeändert in: »Also erst Kampf und dann vielleicht Pazifismus.« Während es bis 1930 hieß: »So kam ich in das Lazarett Pasewalk in Pommern, und dort mußte ich die größte Schandtat des Jahrhunderts miterleben«, lautete die Stelle ab 1930: ... und dort mußte ich - die Revolution erleben.« Die Formulierungen »In verschiedenen, von Soldaten besuchten Heimen war der Ton ähnlich dem des Lazaretts« und »da der Sieg sich schon an die deutschen Fahnen zu heften drohte« wurden nicht geändert.
Während es im Zusammenhang mit dem passiven Widerstand gegen die französisch-belgische Ruhrbesetzung zunächst hieß: »... jungen Deutschen, die dumm genug gewesen waren, die Versprechungen der Reichsführer ernst zu nehmen«, lautete die Bezeichnung für die verantwortlichen Politiker nicht mehr »Reichsführer« (der Titel Heinrich Himmlers), sondern »Führer des Reiches«.
Nicht selten ist behauptet worden, daß Hitlers feindselige Stellungnahme gegenüber Frankreich durch Änderungen am ursprünglichen Text wenigstens abgeschwächt worden sei. Das ist jedoch nicht der Fall. Lediglich zwei Änderungen erscheinen in diesem Zusammenhang bemerkenswert. Eine von ihnen ist Hitler offensichtlich durch die von Außenminister Stresemann erreichte Räumung des Rheinlandes im Jahre 1930 nötig erschienen.
Der erste Teil des Textes, der sich auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich bezieht, blieb dabei bis zur letzten Auflage unverändert. Sein Wortlaut: »Denn darüber muß man sich endlich vollständig klarwerden: der unerbittliche Todfeind des deutschen Volkes ist und bleibt Frankreich. Ganz gleich, wer in Frankreich regierte oder regieren wird, ob Bourbonen oder Jakobiner, Napoleoniden oder bürgerliche Demokraten, klerikale Republikaner oder rote Bolschewisten.«
Geändert wurde nur der folgende Teil, der in der ersten Ausgabe des II. Bandes wie folgt lautet: »... das Schlußziel ihrer außenpolitischen Tätigkeit wird immer der Versuch einer Haltung der Rheingrenze sein und einer Sicherung dieses Stromes durch ein aufgelöstes und zertrümmertes Deutschland.« 1930, 1933, 1939, 1942 und 1943 heißt es dagegen: »... das Schlußziel ihrer außenpolitischen Tätigkeit wird immer der Versuch einer Besitzergreifung der Rheingrenze sein und einer Sicherung dieses Stromes für Frankreich durch ein aufgelöstes und zertrümmertes Deutschland.«
Wie Hitler auf die Änderungswünsche von französischer Seite nicht einging, so änderte er auch während der kurzen Gemeinsamkeiten mit der Sowjet-Union in »Mein Kampf« nichts an den abfällig, feindlich und unversöhnlich artikulierten Äußerungen über den Bolschewismus. Lediglich auf eine bildhafte Provokation verzichtete er im Rahmen der zu seinem 50. Geburtstag im April 1939 herausgegebenen Luxusausgabe. Obwohl in dieser Ausgabe der Plakat-Anhang wieder reproduziert wurde, wie es ursprünglich üblich war, fehlte als Folge der ersten Kontakte zwischen Berlin und Moskau ein Plakat, das eine Massenversammlung vom 4. August 1921 unter dem Slogan »Das sterbende Sowjet -Rußland« angekündigt hatte.
Unverändert blieben auch Hitlers Feststellungen über sein Verhältnis zu Italien, zu Südtirol und seine schriftlich fixierte Haltung gegenüber den deutschen Protestreaktionen auf die faschistische deutschfeindliche Politik Mussolinis in Südtirol. Hitler, der über seinen undurchsichtigen und abenteuerlustigen, sehr einflußreichen und geschäftstüchtigen, in adeligen und bürgerlichen Häusern verkehrenden Vertrauten Kurt Luedecke bereits im September 1922 Beziehungen zu Mussolini gesucht hatte, tilgte lediglich einen Satz in »Mein Kampf«; aber der Satz betraf nicht die italienischen Faschisten, sondern die »deutschen Spießbürger«, die gegen die faschistische Politik in Südtirol protestierten.
Seit 1930 ging es ihm zunehmend um Wählerstimmen. Offensichtlich deshalb wurde der in der ersten Ausgabe des II. Bandes (Seite 283) vorhandene höhnische Satz: »Wem von unseren Spießbürgern brennt dabei nicht gleich die Flamme der hellen Empörung aus dem geistreichen Gesicht« in den Ausgaben von 1930, 1933, 1939, in der Dünndruck -Ausgabe von 1942 (11. Auflage) und 1943 (Seite 707) getilgt.
Dennoch blieb dieser Passus bis zum Schluß ordinär und unflätig: »Jawohl, Südtirol«, hieß es bis zum Schluß: »Wenn ich mich hier an dieser Stelle gerade mit dieser Frage beschäftige, dann nicht zum letzten, um eine Abrechnung zu halten mit jenem allerverlogensten Pack, das, auf die Vergeßlichkeit und Dummheit unserer breiteren Schichten bauend, sich hier anmaßt, eine nationale Empörung zu mimen, die besonders den parlamentarischen Betrügern ferner liegt als einer Elster redliche Eigentumsbegriffe.«
Im Zusammenhang mit den Feststellungen Hitlers über die Landgewinnung im Osten findet sich die letzte Änderung des Textes, die außenpolitischer Natur ist. Im Anschluß an Hitlers Betrachtungen über die Landgewinnung im Osten und über den Zerfall des Slawentums hieß es zunächst: »Das Perserreich, das einst so gewaltige, ist heute ebenfalls reif zum Zusammenbruche; und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende Rußlands als Staat sein.«
Seit 1930 lautete dieser Passus: »Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende Rußlands als Staat sein.«
Das ursprünglich von Hitler erwähnte »Perserreich« mag Hitler selbst oder den Bearbeitern der Ausgabe von 1930 schließlich zu abstrakt für die nationalsozialistische Propaganda erschienen sein, so daß sie dem ganzen Passus eine eindeutige Beziehung zu Sowjet-Rußland gaben, zumal sich die innenpolitische Lage in Sowjet-Rußland zu der Zeit geradezu beispielhaft für derartige Thesen anzubieten schien.
Das Arsenal des Autodidakten Der II. Band von »Mein Kampf« endet mit der Widmung: jenem »Mann ... der als der Besten einer sein Leben dem Erwachen ... unseres Volkes gewidmet hat im Dichten und im Denken und am Ende in der Tat: Dietrich Eckart«. Einen solchen Dank hat Hitler einem anderen »alten Mitkämpfer« in »Mein Kampf« nicht ausgesprochen. Eckart (1868 bis 1923), dem exzentrischen, intelligenten und beziehungsreichen Journalisten, Dichter und Dramatiker, verdankte Hitler wesentliche Stationen und Akzente seiner »Führer«-Karriere.
Nicht wenige seiner Ansichten (und auch Formulierungen) gehen zweifellos auf jenen oft peinlich lauten, radikal antisemitischen bayerischen Justizratssohn zurück, der guten Wein und schöne Frauen liebte, Schopenhauer und Ibsen als seine Lieblingsautoren bezeichnete und einige Dramen und Bühnenstücke geschrieben hatte, von denen ihm »Heinrich VI.«, »Froschkönig«, »Familienväter« und »Heinrich der Hohenstaufe« neben der von ihm als »Lebenswerk« bezeichneten Tragödie »Lorenzaccio« einen guten Namen eintrugen.
Einen ähnlichen Einfluß auf Hitlers Entwicklung bis zur Niederschrift von »Mein Kampf« haben aus Hitlers unmittelbarer Umgebung andere Freunde und intellektuelle Gefolgsleute nicht ausgeübt. Daß er von dem aus Würzburg stammenden Diplom-Ingenieur Gottfried Feder (1883-1941), der das nach 1918 zugkräftige Schlagwort »Brechung der Zinsknechtschaft« geprägt hatte und absurde finanzwirtschaftliche Theorien zur Aufhebung der privatkapitalistischen Verschuldung der Völker verfocht, etwas gelernt habe, gab er freimütig zu. Doch dieses Eingeständnis bezog sich auf die Zeit kurz nach der Revolution, als Hitler an den antibolschewistischen Lehrgängen, wo Feder als Dozent auftrat, teilnahm, die 1919 vom Reichswehrgruppenkommando 4 mit Mitteln der Berliner Reichswehrverwaltung und mit privaten Zuwendungen für besonders geeignete Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften eingerichtet worden waren.
Die gelegentlich geäußerte Behauptung, daß Oberstleutnant i. G. a. D. Hermann Kriebel und der Tierarzt Dr. Weber, mit denen Hitler im »Feldherrnflügel« der Haftanstalt »wohnte«, während er am I. Band von »Mein Kampf« arbeitete, spürbar auf Hitlers Vorstellungen in »Mein Kampf« eingewirkt hätten, entbehrt jeder Grundlage. Und auch Rudolf Heß, der spätere »Stellvertreter des Führers«, der wissenschaftlicher Assistent bei dem Geopolitiker (General) Professor Haushofer an der Universität München und Organisator nationalsozialistischer Studentengruppen war, bevor er zusammen mit Hitler zu Festungshaft verurteilt wurde, hat (trotz seiner Korrekturarbeiten) auf Hitlers Vorstellungen in »Mein Kampf« nicht den geringsten Einfluß ausgeübt.
Die Gruppe der exponierten NSDAP -Führer, Heß, Göring, Esser, Streicher, Rosenberg, Luedecke, Amann, Röhm und Frank, um hier zunächst nur einige Namen zu nennen, sind seit Beginn nicht Hitlers Lehrer, sondern, seine Schüler gewesen.
Die »Quellen« für die Vorstellungen Hitlers sind anderswo zu suchen. Als er sich in München nach der Revolution exponierte, verfügte er - nach seinen Bekundungen in »Mein Kampf« - über ein spätestens seit 1913 fertiges »Weltbild«, dem er nur »weniges« habe hinzuzufügen brauchen, ohne jemals etwas ändern zu müssen. Entstanden ist es hauptsächlich vor 1914 in Linz, Steyr, Wien und München.
Hitlers Elternhaus, einige seiner Lehrer, besonders sein Geschichtslehrer, der alldeutsche Antisemit Professor Dr. Poetsch von der Linzer Staats -Realschule, theoretische und praktische Studien in Wien, die bunt zusammengewürfelten Mitbewohner im Wiener Männerheim in der Meldemannstraße von 1909 bis 1913, Erfahrungen als »V -Mann« im Rahmen der Reichswehr und als sehr erfolgreicher Partei-Führer und seine Literaturstudien von 1905 bis 1914, besonders von 1908 bis 1914 in Wien und München, aber auch zwischen 1919 und 1924 (besonders unter Eckarts Einfluß) in München, waren Hitlers Quellen für »Mein Kampf«.
Die Tatsache, daß der namhafte Münchener Historiker Alexander von Müller Anfang Juni 1919 feststellte, daß der vom Dienstgrad her nicht exponierte Adolf Hitler, ein Teilnehmer an seinen 1919 von der Reichswehr für Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften eingerichteten Vorlesungen und Seminaren über deutsche Geschichte und über die politische Geschichte des Krieges, ein »Naturtalent« mit ungewöhnlichen Gaben wäre, könnte als Beweis dafür gedeutet werden, daß Hitlers »Weltbild« bereits weitgehend »fertig« war,
bevor er im September 1919 in die Deutsche Arbeiterpartei aufgenommen wurde.
Was der »Mein Kampf«-Autor Hitler, der bereits während seiner Schulzeit Buchtitel (mit »A. Hitler« als Autor) entwarf und 1909 als 20jähriger in einer Anmeldung als Untermieter in Wien den Beruf »Schriftsteller« angab, bis 1926 gelesen und woran er sich gebildet hat, ist eine Frage, die nicht leicht beantwortet werden kann. Sein Selbststudium, von Biographen meist herablassend als kritiklose und wahllose Anhäufung von Faktenkenntnissen charakterisiert, erfährt nirgendwo eine zuverlässige Differenzierung.
Bezeichnend für die Art der unzulänglichen und unbrauchbaren Darstellungen ist Michael Freunds Feststellung: »In der freien Zeit und in den Tagen und Wochen der Arbeitslosigkeit verschlang er (Hitler) wahllos politische und populärwissenschaftliche Literatur, wie sie in Broschüren, Traktaten, Pamphleten und in schnell zerfledderten Büchern mit schnellverwischtem Druck auf schnell vergilbtem Papier den Bildungshunger der Ungebildeten stillt.«
Von Hitler selbst, dessen Stil nicht erst nach dem November-Putsch von 1923 die typische Hitler-Individualität verrät, ist nicht detailliert zu erfahren, was er in seiner Jugend las, und dort, wo er gelegentlich differenziertere Angaben macht, sind sie unverbindlich und ungenau. So erwähnte er in »Mein Kampf« zum Beispiel als Kinderlektüre einige Bücher militärischen Inhalts und eine Volksausgabe des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71.
Genauer sind seine Angaben dagegen im Zusammenhang mit Zeitungen, die ihn nach der Schulentlassung interessierten. In Mein Kampf« erwähnte er unter anderen die österreichische »Neue Freie Presse«, das »Wiener Tageblatt« und das »Deutsche Volksblatt«. Darüber hinaus berichtet er, daß er sich in Wien die ersten antisemitischen Schriften gekauft und sich mit dem Judentum auseinanderzusetzen begonnen habe. Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen; denn bereits in Linz, also vor 1908, hat er sich nachweislich regelmäßig durch die antisemitischen »Linzer Fliegenden Blätter« über das antisemitische Schrifttum und über antisemitische Argumente informiert.
Die falsche Angabe Hitlers in »Mein Kampf«, daß er sich erst in Wien die ersten antisemitischen Schriften gekauft habe, hat einige Autoren dazu verleitet, einfach zu behaupten, daß Hitlers antisemitische Vorstellungen von der ungewöhnlich primitiven Schriftenreihe »Ostara« des konfusen Hochstaplers Georg (Jörg) Lanz von Liebenfels, eines entlaufenen Zisterziensers, bestimmt worden seien, obwohl für diese Argumente keine Beweise vorliegen.
Hitlers eigene Angaben über seine Literaturstudien lassen verbindliche und aufschlußreiche Urteile über seine Quellen nicht zu. Aber auch die (isoliert betrachteten) Berichte einstiger Hitler-Gefährten sind unzulänglich. Kubizek nennt, zum Beispiel: Frank Wedekind, Otto Ernst, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, Dante, Stifter, Schiller, Lesging und Peter Rosegger. Seine Bemerkung, daß er Hitler »kaum ... mit naturwissenschaftlichen Büchern gesehen« habe und daß sein »sonst so unstillbarer Wissensdrang ... hier an eine deutliche Grenze gekommen zu sein« schien, sagt bestenfalls, daß Hitler sich zu der Zeit für naturwissenschaftliche Fragen, »kaum« intensiver interessierte.
Josef Greiner, ein späterer Diplom -Ingenieur, der mit dem jungen Hitler angeblich (seit 1906) in Wien und später in München zusammen war und die von einigen Augenzeugen überlieferten Werk- und Autorennamen im Rahmen seines als Erlebnisbericht ausgegebenen und phantasievoll ausgeschmückten Buches »Das Ende des Hitler-Mythos« aufzählt, das auf alliierte Weisung eingestampft werden mußte, schreibt im Zusammenhang mit Hitlers Selbststudium:
Hitler »vergrub sich in Übersetzungen der altgriechischen und altrömischen Literatur, wie Sophokles, Homer und Aristophanes sowie Horaz und Ovid. Besonders liebte er die Göttersagen der altgermanischen Literatur, und den Inhalt der 25 000 Verse des 'Parzival' hatte er besser im Gedächtnis als so mancher Professor. Sehr am Herzen lag ihm Martin Luther und die ganze Reformationsgeschichte, auch der Dominikaner Savonarola begegnete seinem lebhaften Interesse. Er wußte Bescheid über die Tätigkeit Zwinglis in Zürich und Calvins in Genf, und die Lehre des Konfuzius hatte er genauso gelesen wie die Buddhas und ihrer Epochen.
»Mit den Lehren des Moses und Jesus sowie mit der Entstehungsgeschichte des jüdisch-christlichen Glaubens machte er sich aus umfangreichen Büchern vertraut und studierte in diesem Zusammenhang auch die Werke Renans und Rosaltis. Von den Klassikern las er Shakespeare, Goethe, Schiller, Herder, Wieland, Rückert und Dante, dann Scheffel, Stifter, Hämmerling, Hebbel, Rosegger, Hauptmann, Sudermann, Ibsen und Zola.«
Hitler, der sein Selbststudium stets als ungewöhnlich umfassend und gründlich bezeichnete, erklärte am 29. November 1921, nachdem er von 1919 bis 1921 die sehr umfangreiche: »national sozialistische Bibliothek« des Münchener Nationalsozialisten Dr. Friedrich Krohn durchgearbeitet hätte: »... von 20 bis 24 hatte ich mich mehr und mehr mit politischen Dingen beschäftigt, weniger durch Besuch von Versammlungen als vielmehr durch gründliches Studium volkswirtschaftlicher Lehren, sowie der damals zur Verfügung stehenden gesamten antisemitischen Literatur ... Seit meinem 22. Jahr warf ich mich mit besonderem Feuereifer über
militärpolitische Schriften und unterließ die ganzen Jahre niemals, mich in sehr eindringlicher Weise mit der allgemeinen Weltgeschichte zu beschäftigen.«
Davor, so behauptete der 32jährige Hitler, der die Parteiführung Ende Juli 1921 zur vollständigen Kapitulation gezwungen hatte, in seiner Kurzbiographie, habe er sich mit der Kunstgeschichte, mit der Kulturgeschichte, mit der Baugeschichte und mit politischen Problemen auseinandergesetzt. Hans Frank, der 1946 in Nürnberg hingerichtete Generalgouverneur von Polen, berichtet in seiner während der Haft in Nürnberg niedergeschriebenen Lebensbeichte »Im Angesicht des Galgens«, daß Hitler sich während seiner Landsberger Festungshaft (bis Dezember 1924) zum Beispiel mit Nietzsche, Treitschke, Chamberlain, Ranke, Marx, Bismarck und anderen Denkern und Politikern befaßt und auch »viele bis dahin veröffentlichte Kriegserinnerungen deutscher und alliierter Feldherrn und Staatsmänner« gelesen habe.
Bis Juli 1921 (und dann besonders von Dezember 1923 bis Dezember 1924 in Haft) hat Hitler ohne Zweifel mehr gelesen als die meisten Intellektuellen und Akademiker seines Alters. In der Zeit von August 1921 bis November 1923 fand er wenig Zeit zum Literaturstudium, da er sich während dieser Phase total in den Dienst seiner Partei stellte. Wie er las, hat er in »Mein Kampf« ausführlich geschildert: »... ich (verstehe) unter lesen vielleicht etwas anderes als der große Durchschnitt unserer sogenannten 'Intelligenz'«, begann er seine Erklärung und fuhr fort:
»Ich kenne Menschen, die unendlich viel 'lesen' und zwar Buch für Buch, Buchstaben um Buchstaben, und die ich doch nicht als 'belesen' bezeichnen möchte. Sie besitzen freilich eine Unmenge von 'Wissen', allein ihr Gehirn versteht nicht, eine Einteilung und Registratur dieses in sich aufgenommenen Materials durchzuführen. Es fehlt ihnen die Kunst, im Buche das für sie Wertvolle vom Wertlosen zu sondern, das eine dann im Kopfe zu behalten für immer, das andere, wenn möglich, gar nicht zu sehen, auf jeden Fall aber nicht als zwecklosen Ballast mitzuschleppen.
»Auch das Lesen ist ja nicht Selbstzweck, sondern Mittel zu einem solchen. Es soll in erster Linie mithelfen, den Rahmen zu füllen, den Veranlagung und Befähigung jedem ziehen; mithin soll es Werkzeug und Baustoffe liefern, die der einzelne zu seinem Lebensberufe nötig hat, ganz gleich, ob dieser nur dem primitiven Broterwerbe dient oder die Befriedigung einer höheren Bestimmung darstellt; in zweiter Linie aber soll es ein allgemeines Weltbild vermitteln. In beiden Fällen ist es aber nötig, daß der Inhalt des jeweilig Gelesenen nicht in der Reihenfolge des Buches oder gar der Bücherfolge dem Gedächtnis zur Aufbewahrung übergeben wird, sondern als Mosaiksteinchen in dem allgemeinen Weltbilde seinen Platz an der ihm zukommenden Stelle erhält und so eben mithilft, dieses Bild im Kopfe des Lesers zu formen.
»Im anderen Falle entsteht ein wirres Durcheinander von eingelerntem Zeug, das ebenso wertlos ist, wie es andererseits den unglücklichen Besitzer eingebildet macht. Denn dieser glaubt nun wirklich allen Ernstes, 'gebildet' zu sein, vom Leben etwas zu verstehen, Kenntnisse zu besitzen, während er mit jedem neuen Zuwachs dieser Art von 'Bildung' in Wahrheit der Welt sich mehr und mehr entfremdet, bis er nicht selten entweder in einem Sanatorium oder als 'Politiker' in einem Parlamente endet ... »
Der 1900 geborene bayerische Direktorensohn und Abiturient Hermann Esser, der nach 1918 bei der sozialdemokratischen Kemptener »Allgäuer Volkswacht« volontiert, mit dem »V-Mann« Hitler seit Herbst 1919 in einer Dienststelle der Reichswehr (als Lektor der deutschsprachigen Presse) zusammengearbeitet hatte und von 1921 bis 1924 und auch während Hitlers Haftzeit einer der einflußreichsten Mitarbeiter Hitlers in der NSDAP war, beurteilte Hitlers Art, Bücher zu lesen, wie folgt:
»Hitler las ungeheuer viel. Er war zwar nicht in der Lage, mehr als eine Stunde am Schreibtisch zu sitzen, lag jedoch ganze Nächte hindurch wach und arbeitete Bücher und Schriften durch. Auf seine Art war er sehr gewissenhaft. Kritiklos übernahm er nichts, besonders dann nicht, wenn die Aussagen nicht in sein Bild hineinpaßten.« Ein kontinuierliches Studium betrieb Hitler offensichtlich auch nicht, und niemals studierte er »ohne Zorn und Eifer«.
Hitlers besonders artikulierte, pointiert herausgestellte Belesenheit und sein hervorragendes Gedächtnis verblüfften viele gebildete bürgerliche und adelige Gönner, die ihn und die NSDAP unterstützten, weil sie ihm - nicht nur wegen seiner Rednergabe - zutrauten, eine als positiv verstandene Umgestaltung der politischen Verhältnisse in Deutschland durchsetzen zu können. Und auch die Veränderung der Mitgliederstruktur seit Hitlers intensivem Engagement für die NSDAP ist nicht zuletzt auf den »gebildeten« Eindruck zurückzuführen, den Hitler hinterließ.
Als er im September 1919 zur Deutschen Arbeiterpartei (DAP) stieß, die sich seit Anfang 1920 NSDAP nannte, war die Partei eine Gruppe von Handwerkern, hauptsächlich von Eisenbahnern, zu denen sich einige Intellektuelle als politische Regisseure gesellt hatten. Hitler führte der Partei Kaufleute, Geschäftsinhaber und Intellektuelle als Mitglieder und Soldaten und bemerkenswert viele Frauen als Anhänger zu.
In Hitler-Notizen und -Dispositionen für Reden - vor 1924 gab es kaum ein politisch artikulierbares Thema, über das Hitler nicht sprach - sind überraschend häufig Hinweise nachweisbar, die eine bemerkenswerte Literaturkenntnis verraten.
Einige namhafte Autoren und deren Werke, die als Quelle auch in »Mein Kampf« eine wesentliche Rolle spielen, wurden erstmals in der 1924 im Hoheneichen-Verlag in München erschienenen Broschüre »Der Bolschewismus von Moses bis Lenin - Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir«, einer unvollendeten Arbeit des intimen Hitler -Freundes und Hitler-Mentors Dietrich Eckart, von Eckart als Hitler vertraute Denker angeführt. Es handelt sich dabei um: Otto Hausers »Geschichte des Judentums«, Werner Sombarts »Die Juden und das Wirtschaftsleben«, Henry Fords »Der internationale Jude«, Gougenot des Mousseaux' »Der Jude, das Judentum und die Verjudung der christlichen Völker«, das Alfred Rosenberg 1920 aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte, Theodor Fritsch »Handbuch der Judenfrage«, das Eckart in seiner antisemitischen Zeitschrift »Auf gut deutsch« 1920 noch als »eigentlich unser ganzes Rüstzeug« bezeichnet hatte und Friedrich Delitzsch' »Die große Täuschung«.
Vielfach erscheinen - neben einigen fremdsprachigen jüdischen Zeitungen - im Rahmen dieser in rüder Biertisch-Diktion niedergeschriebenen »Gespräche« Hinweise auf das Alte Testament und auf den Talmud. Die häufigen Zitate aus Schriften Ciceros und Thomas von Aquins und aus Werken Luthers, Goethes und Fouriers bezeugen allerdings noch nicht, daß Hitler mit ihnen auch wirklich vertraut war.
Daß Hitler dagegen Schopenhauer (besonders dessen antisemitische Äußerungen) gut kannte, den Eckart während des »Gesprächs« ebenfalls oft zitiert, ist erwiesen. Sehr wahrscheinlich hat er
auch das 1883 in Innsbruck erschienene Buch des österreichischen Juden Ludwig Gumplowicz »Der Rassenkampf« und vermutlich auch Vacher de Lapouges
»Der Arier und seine Bedeutung für die Gemeinschaft« auf seine Weise durchgearbeitet.
Lapouges Behauptungen »Der Gedanke der Gerechtigkeit ... ist ein Trug. Es gibt nichts als Gewalt« (Seite 349) und »Die Rasse, die Nation ist alles« (Seite 340) sind seit der Wiener Zeit in Hitlers Denken und Äußerungen eindeutig nachweisbar.
Mit Ratzels, Haushofers und Mackinders Theorien vom Lebensraum war der junge Hitler zweifellos vertraut, ebenso mit den Schriften Gobineaus (der von Eckart allerdings nicht zitiert wird), dessen fatalistischen Pessimismus Hitler - richtungweisend für seine Anhänger - zu einem aggressiven Optimismus umwandelte. Nachweisbar kannte er auch die Publikationen der Alldeutschen, die vor und während des Ersten Weltkrieges unmäßigem Imperialismus das Wort redeten ... Dagegen beweist das von Hitler gelegentlich zitierte Mommsen-Wort über die Juden als »Ferment der Dekomposition« nicht, daß Hitler auch Mommsens Werk tatsächlich kannte.
Inwieweit Hitler Treitschke und Fichte verpflichtet war, ist ebenfalls nicht eindeutig nachzuweisen. Nahezu ausnahmslos gab er die Ergebnisse seines Literaturstudiums als die ausschließliche Bilanz eigener Überlegungen aus. Die Analysen geschichtlicher Zusammenhänge durch Hitler, der trotz seiner anders akzentuierten Behauptungen in Wirklichkeit gegenrevolutionär dachte und in der Existenz »der Juden« und deren vermeintlich »wirklicher Kenntnis« den Schlüssel zum Verständnis der Geschichte erblickte, waren tatsächlich zuweilen so originell, daß nur sehr schwer herauszulesen ist, woher die maßgeblichen Einflüsse wirkten. So erscheint im Rahmen der bis Ende 1923 zwischen Hitler und Dietrich Eckart geführten »Gespräche«, die Lenin bereits im Titel als Juden bezeichnen, beispielsweise der Auszug der Joseph-Stämme unter Moses Führung aus Ägypten als die Folge eines hinterhältigen Anschlages der Juden auf die ägyptische Führungsschicht und Moses als der erste Führer des Bolschewismus (Seite 6 f.), wobei Hitler auf Jesaja 19,2 bis 3 und auf 2. Mose 12,38 als Quelle verweist.
Obwohl Hitler nur wenige Schriftsteller, Dichter und Denker gelten ließ, ist es unmöglich, seine »Lehrer« zu nennen. Jeder Versuch, den pseudo katholischen Hitler, der über eine erstaunlich umfangreiche Kenntnis von Einzelfakten verfügte und in »Mein Kampf« ein deutliches Bekenntnis zur katholischen kirchlichen Organisation, zu der als vorbildhaft empfundenen unbedingten katholischen kirchlichen Disziplin und zur Anerkennung dogmatischer Feststellungen ablegt, zu einem Schriftsteller, Denker oder Forscher so in Beziehung zu setzen, daß er womöglich als dessen Schüler bezeichnet werden kann, muß zwangsläufig zur Verzeichnung der tatsächlichen Zusammenhänge führen.
Im Rahmen der Vorstellungen Hitlers spielten (bis zum Ende seines Lebens) neben einem pervertierten Pseudo-Katholizismus der Biologismus, vornehmlich der Pseudo-Darwinismus, der religiös artikulierte Monotheismus und der antikirchliche Vulgärliberalismus eine spürbare Rolle.
Hitlers Feststellung in »Mein Kampf«, daß seine geistige Position vor 1914 entscheidend artikuliert worden ist, wird dadurch zweifelsfrei bestätigt. Was nach 1914 hinzukam, nach der sogenannten Wiener Schule (bis Mai 1913), wurde von Hitler - mit Ausnahme seiner später sehr umfangreichen technischen Kenntnisse - in das »fertige« Bild, manchmal vereinfachend, meistens jedoch gewaltsam, eingefügt. Thomas Robert Malthus (1766 bis 1834), Charles Robert Darwin (1809 bis 1882), Gregor Mendel (1822 bis 1884), Wilhelm Bölsche (1861 bis 1939), Houston Stewart Chamberlain (1855 bis 1927), Ernst Haeckel (1834 bis 1919), Sven Hedin (1865 bis
1952), Fridtjof Nansen (1861 bis 1930) und Hanns Hörbiger (1860 bis 1931) sind nicht selten als Quellen seiner Auffassungen und auch Formulierungen - wie beispielsweise »Vorsehung« - nachzuweisen.
Relativ mühelos sind Hitlers wichtigste Quellen im Zusammenhang mit seinen Vorstellungen über Propaganda aus »Mein Kampf« herauszulesen: Le Bons »Psychologie der Massen« (2. Auflage 1912) und McDougalls »The Group Mind« ('Die Meinung der Masse', Cambridge, 1920). Daß er die Werke beider Autoren gut kannte, wurde von eingeweihten und sachkundigen Zeugen bestätigt.
Einige Ausführungen in »Mein Kampf« bezeugen darüber hinaus, daß
Hitler Le Bon und McDougall nicht nur gelesen und registriert, sondern auch konsequent umgesetzt hat. Ein Teil von dem, was Hitler als NSDAP -Propaganda bezeichnete und in das politische Leben hineintrug, war die exakt organisierte Elementarisierung der von Le Bon und McDougall wissenschaftlich begründeten Geringschätzung der Massen.
Die Ausführungen über Propaganda, die zweifellos zu den besten Leistungen Hitlers in »Mein Kampf« gehören, auch wenn Hitler dabei keine grundsätzlich neuen Erkenntnisse vermittelte, sondern sich im wesentlichen konsequent an die wissenschaftlich fundierten Feststellungen von Le Bon und McDougall hielt, bezeugen zweierlei: Hitler verfügte über die Fähigkeit zur bildhaften Umsetzung übernommener wissenschaftlicher Erkenntnisse und über das Vermögen, sie in der praktischen Politik wirkungsvoll zu elementarisieren und geschickt zu modifizieren.
An dem Punkt, an dem Hitler mit der Preisgabe seiner Vorstellungen über die Propaganda und über die Methoden der Massen-Beeinflussung beginnt, wird zugleich deutlich, welche geistigen Väter hinter den Erklärungen und Auffassungen stehen. Seine Frage, an »wen ... sich die Propaganda zu wenden« habe, an »die wissenschaftliche Intelligenz oder an die weniger gebildete Masse«, verrät Le Bon und Mc-Dougall im Hintergrund, was seine Antwort noch überzeugender zeigt.
Die Propaganda »hat sich ewig nur an die Masse zu richten!« heißt es in »Mein Kampf«. »Für die Intelligenz, oder was sich heute leider häufig so nennt, ist nicht Propaganda da, sondern wissenschaftliche Belehrung. Propaganda aber ist so wenig Wissenschaft ihrem Inhalte nach, wie etwa ein Plakat Kunst ist in seiner Darstellung an sich. Die Kunst des Plakates liegt in der Fähigkeit des Entwerfers, durch Form und Farbe die Menge aufmerksam zu machen. Das Kunstausstellungsplakat hat nur auf die Kunst der Ausstellung hinzuweisen; je mehr ihm das gelingt, um so größer ist dann die Kunst des Plakates selber. Das Plakat soll selber der Masse eine Vorstellung von der Bedeutung der Ausstellung vermitteln, keineswegs aber ein Ersatz der in dieser gebotenen Kunst sein. Wer sich deshalb mit der Kunst selber beschäftigen will, muß schon mehr als das Plakat studieren ...«
Von Le Bon hat Hitler die Einsicht übernommen, daß die Masse außerordentlich beeinflußbar, leichtgläubig und kritiklos sei, daß das Unwahrscheinliche für sie nicht existiere und daß sie das Bedürfnis nach der Aufdeckung der Wahrheit niemals empfinde. Die Feststellungen McDougalls und die Lehren Le Bons waren für Hitler entscheidende Voraussetzungen sowohl für die Erörterungen über die Propaganda als auch für die Beurteilung der Masse und des Einzelnen in der Masse.
Und von Le Bon übernahm Hitler auch die Feststellung, daß die Masse in Bildern denke, die von keiner Kontroll-Instanz auf ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit geprüft werde. Daß die Gefühle der Masse, die weder Zweifel noch Ungewißheit kenne, stets überschwenglich seien, wie Le Bon lehrte, hatte Hitler bis Ende 1923 sehr oft bestätigt gesehen. Mit Le Bon war Hitler auch der Überzeugung, daß die Masse Illusionen fordere, auf die sie nicht verzichten könne, daß das Irreale bei ihr stets den Vorrang vor dem Realen habe und daß das Unwirkliche sie nahezu ebenso intensiv beeinflusse wie das Wirkliche, weshalb bei ihr auch sichtlich die Tendenz herrsche, Unterschiede zwischen Realität und phantastischen Visionen nicht zu suchen.
Le Bon war überzeugt, daß die Masse im Hinblick auf die Wahrheit keine Zweifel hege, so daß bei ihr »mit Vernunft und Argumenten ... gegen gewisse Worte und Formeln« auch nichts auszurichten sei. Sobald sie nur mit Andacht vor den Massen ausgesprochen seien, würden sich »die Köpfe neigen« und die Mienen der Einzelnen respektvoll formieren.
Entsprechend folgerte Le Bon denn auch, daß derjenige, der auf die Masse wirken wolle, seine Argumente nicht logisch abzumessen brauche. Er brauche nur in den kräftigsten Bildern zu malen, zu übertreiben und immer das gleiche zu wiederholen. Nach seiner Auffassung respektiere die Masse nur die Macht, lege die Güte als eine Art Schwäche aus und lasse sich von ihr nur mäßig beeinflussen.
Im gleichen Sinne lehrte auch Hitler: »Das Volk ist in seiner überwiegenden Mehrheit so feminin veranlagt und eingestellt, daß weniger nüchterne Überlegung, vielmehr gefühlsmäßige Empfindung sein Denken und Handeln bestimmt. Diese Empfindung aber ist nicht kompliziert, sondern sehr einfach und geschlossen. Es gibt hierbei nicht viel Differenzierungen, sondern ein Positiv oder ein Negativ, Liebe oder Haß, Recht oder Unrecht, Wahrheit oder Lüge, niemals aber halb so und halb so oder teilweise usw.«
In der Praxis sah Hitler die zuletzt zitierten Erkenntnisse angeblich während des Krieges auf englischer Seite »genial« verwirklicht. So schrieb er beispielsweise: »Das Zeichen für die glänzende Kenntnis der Primitivität der Empfindung der breiten Masse lag in der diesem Zustande angepaßten Greuelpropaganda, die in ebenso rücksichtsloser wie genialer Art die Vorbedingungen für das moralische Standhalten an der Front sicherte, selbst bei größten tatsächlichen Niederlagen, sowie weiter in der ebenso schlagenden Festnagelung des deutschen Feindes als des allein schuldigen Teils am Ausbruch des Krieges: eine Lüge, die nur durch die unbedingte, freche einseitige Sturheit, mit der sie vorgetragen wurde, der gefühlsmäßigen, immer extremen Einstellung des großen Volkes Rechnung trug und deshalb auch geglaubt wurde.«
»Jede Propaganda«, heißt es unter anderem in »Mein Kampf«, »hat volkstümlich zu sein und ihr geistiges Niveau einzustellen nach der Aufnahmefähigkeit des Beschränktesten unter denen, an die sie sich zu richten gedenkt. Damit wird ihre rein geistige Höhe um so tiefer zu stellen sein, je größer die zu erfassende Masse der Menschen sein soll ... Je bescheidener dann ihr wissenschaftlicher Ballast ist und je mehr sie ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht nimmt, um so durchschlagender der Erfolg.«
Entsprechend lauteten denn auch die im folgenden zitierten Lehren Hitlers:
»Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergeßlichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag ...
»Es war grundfalsch, die Schuld am Kriege von dem Standpunkte aus zu erörtern, daß nicht nur Deutschland allein verantwortlich gemacht werden könnte für den Ausbruch dieser Katastrophe, sondern es wäre richtig gewesen, diese Schuld restlos dem Gegner aufzubürden, selbst wenn dies wirklich nicht so dem wahren Hergange entsprochen hätte, wie es doch nun tatsächlich der Fall war.
»Was aber war die Folge dieser Halbheit?«
»Die breite Masse eines Volkes besteht nicht aus Diplomaten oder auch nur Staatsrechtslehrern, ja nicht einmal aus lauter vernünftigen Urteilsfähigen, sondern aus ebenso schwankenden wie zu Zweifel und Unsicherheit geneigten Menschenkindern. Sowie durch die eigene Propaganda erst einmal nur der Schimmer eines Rechtes auch auf der anderen Seite zugegeben wird, ist der Grund zum Zweifel an dem eigenen Rechte schon gelegt. Die Masse ist nicht in der Lage, nun zu unterscheiden, wo das fremde Unrecht endet und das eigene beginnt.«
Wie der Führer einer Masse beschaffen sein müßte, der Erfolg haben wollte, hatte Hitler ebenfalls bei Le Bon gelesen, der feststellte, daß es im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Unterordnung einerlei sei, ob es sich dabei um eine Tierherde oder um eine Menschenmenge handele, da sich beide rein instinktiv unter die Autorität eines Oberhauptes stellen würden. Mit Le Bon war Hitler der Überzeugung, daß die Masse stets eine folgsame Herde sei und ohne Herrn nicht leben könne. Er glaubte ihm, daß in der Massel ein so starkes Bedürfnis nach Unterwerfung herrsche, daß sie sich jedem instinktiv unterordne, der sich zu ihrem Führer mache.
Le Bons Lehre, daß derjenige, der »Führer« sein wolle, der Masse durch besondere persönliche Eigenschaften, unter anderem durch einen starken Glauben (an eine Idee) und einen imponierenden Willen, imponieren müsse, um den nötigen Glauben auch in der Masse erzeugen und ihr seinen eigenen Willen aufzwingen zu können, hat Hitler stets betont und erfolgreich verwirklicht.
Wie Hitlers Ausführungen über die Propaganda, über die Masse und ihre Führer nicht die ausschließlichen Ergebnisse seiner eignen Überlegungen waren, so verhielt es sich auch mit seinen Erörterungen und Weisungen und Maßnahmen in der Piaxis im Zusammenhang mit der Organisation. Sie waren entscheidend von McDougall beeinflußt. Im 11. Kapitel des II. Bandes, das den Titel »Propaganda und Organisationli trägt, erklärte Hitler: »Nach meinem Eintritt in die Deutsche Arbeiterpartei übernahm ich sofort die Leitung der Propaganda. Ich hielt dieses Fach für das augenblicklich weitaus wichtigste. Es galt ja zunächst weniger, sich den Kopf über organisatorische Fragen zu zerbrechen, als die Idee selbst einer größeren Zahl von Menschen zu vermitteln. Die Propaganda mußte der Organisation weit voraneilen und dieser erst das zu bearbeitende Menschenmaterial gewinnen.« Aber er hat sich seit 1920 doch sehr intensiv um die Organisation der »Bewegung« gekümmert und stets konsequent die »principal conditions« im Auge behalten, die McDougall im gleichen Jahre in seinem Buch »The Group Mind« entwickelte.
IM NÄCHSTEN HEFT:
»Mein Kampf« als Quelle - Hitlers Jugendjahre - Frontsoldat Hitler - Entwicklung zum Antisemiten
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»Bildungshunger gestillt«
Hitler-Studienobjekte Homer, Dante, Schopenhauer, Rosegger: »In wenigen Jahren schuf ich ...
... die Grundlagen meines Wissens": Hitler-Studienobjekte Ranke, Marx, Treitschke, Chamberlain
Arier-Zeitschrift »Ostara« (1922): »Weltbild weitgehend fertig«
Hitler, Kriegsveteranen*: »Große Anziehungskraft auf Bürgerliche«
Französischer Psychologe Le Bon
»Die Mehrheit des Volkes ...
Amerikanischer Psychologe McDougall
... ist feminin veranlagt«
Parteiführer Hitler, Mitarbeiter*, 1926: »Es gibt auch eine Logik des Traumes«
* Die Anfang der zwanziger Jahre gemachte Aufnahme zeigt Hitler mit Freikorps-Offizieren, mit deren Hilfe er vor dem Putsch von 1923 seine politischen Ziele zu erreichen suchte.
* 1923 im Nürnberg.
* Von links: Christian Weber, Gregor Strasser, Hitler, Franz Xaver Schwarz, Max Amann, Ulrich Graf.