BUNDESWEHR Fahrt vorsichtig
Jeden Sonntag, gegen Abend, werden bundesdeutsche Truppenführer nervös. »Ich zucke schon immer zusammen, wenn bei mir das Telephon klingelt«, sagt Hauptmann Walter Antweiler aus Schwanewede bei Bremen; und erst am Montagmorgen, zu Dienstbeginn, beruhigt sich der Kompanie-Chef -- falls er alle seine Panzerjäger wieder beieinander hat.
Denn beim Waffendienst geht so schnell keiner verloren. Der Ernstfall findet außer Dienst, der Soldatentod auf der Straße statt -- im Privatwagen. Häufigste Ursache: überhöhte Geschwindigkeit, Übermüdung, Alkohol am Steuer. Jedes Jahr, so ermittelte der ADAC, verunglücken über 10 000 Soldaten in ihren eigenen Autos, und allein die Zahl der Toten steht manchmal für ein Bataillon -- 342 waren es 1974.
Und: Es sterben vergleichsweise doppelt bis dreimal soviel junge Soldaten zwischen 18 und 35 durchs Auto wie gleichaltrige Zivilisten.
Meist montags steht es in der Lokalzeitung: etwa, daß im Bayrischen der Soldat Wolfgang Marquard in einer »regnerischen, ungemütlichen Nacht eilig nach Hause« wollte -- »doch da kam er nie an«. Oder: Der Oberfeldwebel Michael Jacob, der nur noch 64 Tage zu dienen hatte, raste »so eilig« durch die geschlossene Ortschaft Jeversen bei Celle, »vorsichtige Schätzungen sprechen von mindestens 110 km/h«, daß er mit seinem BMW 2002 Turbo im Wohnzimmer eines Bauernhauses landete. Beide Soldaten, Fälle aus dem letzten Monat, waren sofort tot.
Oft sind es mehrere auf einen Schlag und meist die ganz jungen. Wenn sie den Dienst hinter sich haben, abends oder zum Wochenende, wenn sie nicht mehr »in dem strengen Rahmen stehen«, dann, so vermutet der hannoversche Oberstleutnant Wichard von Engel, »fällt alles von ihnen ab«. Immer wieder verbreitet das Verteidigungsministerium in seiner Tagesinformation ähnlich lautende Meldungen: »Wieder kamen bei tragischen Verkehrsunfällen sechs junge Soldaten ums Leben« und mahnt stereotyp: »Fahrt vorsichtig!«
Auch die Kompanie-Chefs warnen jeden Freitag vor Dienstschluß, »doch das fruchtet nur bis zur nächsten Ecke« (Engel). Es gebe kein Rezept, resigniert Oberstleutnant Ekkehart Löhr vom Verteidigungsministerium, »mit dem man einen durchschlagenden Erfolg erzielen könnte«. Immerhin versuchen Offiziere, den besonders gefahrenträchtigen Heimatverkehr ein bißchen zu steuern.
Ein Oberstleutnant von der 7. Panzergrenadierdivision in Unna: »Seit Jahren unternehmen wir die verrücktesten Klimmzüge, um die Unfallzahlen zu senken.« Wenn etwa in der Garnison Augustdorf freitags zwischen 16 und 17 Uhr die Soldaten Feierabend machen und in ihre insgesamt 4000 Privatautos steigen wollen, die Polizei aber starken Autobahnverkehr meldet, »dann erfinden wir noch irgendeinen Dienst, um die bis 19 Uhr festzuhalten«. Zwar mosern die Wehrpflichtigen beträchtlich, aber, so der Offizier, »dies nehmen wir hin, wenn man dadurch ein Menschenleben retten kann
Ein Oberst aus Schleswig-Holstein ließ sich gelegentlich noch Wirksameres einfallen. Er verbot den Rekruten, für Heimfahrten über 300 Kilometer den eigenen Wagen zu benutzen, zumal jeder Mannschaftsdienstgrad zum halben Preis mit der Bundesbahn nach Hause fahren kann, einmal im Monat sogar gratis -- ein Service, der nicht einmal zur Hälfte ausgeschöpft wird.
Das Auto-Fahrverbot, vom Oberst als »reine Fürsorge« angesehen, wurde von den Militär-Juristen alsbald unterbunden, weil die Order gegen das Grundgesetz verstieß. Es müsse, so bekräftigte erst jüngst wieder der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Schmidt, »dem Soldaten überlassen werden, ob und wann er sein privates Fahrzeug benutzt«.
Er benutzt es fast immer' wenn er nach Hause fahren will. Wehrpflichtige mögen noch so fern der Heimat stationiert sein, Dienst ist Dienst, und Schnaps schmeckt am besten in der heimatlichen Stammkneipe. Wenn in Kiel ein Schiff festmacht, dann rasen Marine-Soldaten eben mal nach Hildesheim, auch wenn sie nur wenige Stunden Landurlaub haben. Und sie bummeln am Wochenende nicht durch Bremen, wo sie stationiert sind, sondern rasen Hunderte Kilometer in Richtung Ruhrpott und weiter.
Auch reisen sie fast nie allein. Sie legen die Spritkosten auf Kameraden um -- bei drei Mitfahrern reist der Fahrer umsonst -- und sparen auch ein bißchen an der Sicherheit. Fast alle Wehrpflichtigen steuern Gebrauchtwagen, die schon in die Jahre gekommen sind -- 15 Prozent haben schon mehr als 100 000 Kilometer hinter sich, wie eine Untersuchung beim hannoverschen Fernmeldebataillon 1 ergab. »Am häufigsten sind abgefahrene Reifen und defekte Beleuchtung«, hat Hauptfeldwebel Siegfried Spruck festgestellt, »die Entschuldigung dafür: chronischer Geldmangel.«
Kein Wunder. Der »Pleitegeier Pkw«, so die Armee-Zeitung »Heer«, ist von 210 Mark Wehrsold kaum zu unterhalten, wenn man, wie die Zeitung errechnete, 335 Mark für Steuern und Versicherung, Benzin und Reparaturen zugrunde legt. Trotzdem mag keiner sein Auto abmelden, es würde doch nur, so der hannoversche Gefreite Franz-Josef Hofsümer, »in den 15 Monaten kaputtstehen«. Und die Bundesbahn möge ja ganz bequem sein, ergänzt ein Kamerad, »mit meinem Auto bin ich aber viel schneller zu Hause«. Oder er kommt dort nie an.