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Fakir-Fabel

aus DER SPIEGEL 29/1949

Im kalten Krieg zwischen Pakistan und Afghanistan (vgl. SPIEGEL Nr. 21/49) wurde letzte Woche eine neue Tiefst-Temperatur erreicht. Pakistan-Bomben trieben den legendären Fakir von Ipi über die Grenze nach Afghanistan. Er wurde wie ein Held empfangen. Pakistan reagierte mit einer scharfen Protestnote. Und mit neuen Bomben auf die vom Ipi-Fakir im pakistanischen Grenzgebiet hinterlassene Gefolgschaft kriegerischer Bergstämme.

In Karatschi, der Hauptstadt Pakistans, hält man den Fakir für einen verschworenen Feind des jungen Moslemstaates. Der ewige Störenfried an Indiens Nordwestgrenze hat sich vor allem durch seine unverhüllten Königs-Ambitionen verdächtig gemacht.

Eine Zeitlang hoffte er, König, von Afghanistan und Pathanistan*) zu werden. Inzwischen ist er bescheidener geworden. Wenn die Afghanen ihm zum Königstitel von Pathanistan verhülfen, wäre er zufrieden. Schlimmstenfalls würde er auch den Thron von Waziristan (eines Teiles von Pathanistan) akzeptieren. Aber König will er auf alle Fälle werden.

Der Titel gefällt ihm so gut. Als kürzlich ein Kurier des Fakirs abgefangen wurde, der Briefe nach Neu-Delhi, der Hauptstadt Indiens, zu überbringen hatte, fand man einen mit der Adresse »An den hochgeehrten Herrn Pandit Jawaharlal Nehru, König von Indien«.

Der Fakir von Ipi ist ein Waziri, Mitglied eines jener Bergstämme in der ehemaligen Nordwestprovinz, die zusammen Pathanis genannt werden. Sprachlich und volklich sind diese Pathanis Afghanen.

Waziristan selbst bildet etwa ein Parallelogramm, 100 Kilometer breit und 250 Kilometer lang. Der Fakir konnte dort bisher für seine vielen kriegerischen Unternehmungen bis zu 60000 Mann aufbieten, mit Gewehren ausgerüstet, die seit Jahrzehnten an Ort und Stelle produziert werden. Sie reichen allerdings nur für höchstens 200 Schuß. Dann müssen sie neu gebohrt werden.

Die Herstellung von Maschinengewehren lehnte der Fakir lange ab. Sie verbrauchen zu viel Munition, argumentierte er. Aber im zweiten Weltkrieg änderte er seine Ansicht. In den Höhlen des gebirgigen Waziristan wurden Dieselmotoren für die Herstellung moderner Waffen installiert. Angeblich wurden die Motoren 1940 von deutschen Agenten geliefert. Die forderten den Fakir auch auf, gegen ein fürstliches Entgelt in Indien und Afghanistan Unruhe zu stiften und auf diese Weise die Tommies zu pieken.

Unruhe stiften gehörte von jeher zum festen Programm der Waziris. Gegen andere ansässige Stämme operierten die Engländer meist mit Strafexpeditionen. Gegen die Waziris genügte das nicht. Auf deren Gebiet mußten die Briten unweit der afghanischen Grenze ihre einzige große Festung im Land der Bergstämme bauen, Rasmak.

Trotzdem brach 1936 in diesem ewig gewitterschwülen Wetterwinkel ein blutiger Aufstand aus. Sein Anführer war Hadschi Mirsa Ali Khan, der sich nach dem Dorf, in dem er wohnte, der Fakir von Ipi nannte. Die Engländer waren überrascht. Auf ihrer Liste einflußreicher Waziris rangierte der Fakir erst an 40. Stelle.

Sie mußten ihn bald anders einstufen. Der ehrgeizige Fakir stieg in kurzer Zeit

*) Pathanistan, die Heimat der Bergstämme, ist etwa identisch mit der ehemaligen. Nordwestprovinz von Britisch-Indien. zum starken Mann des Islam im Nordwesten Indiens auf. Er erwies sich als glänzender Krieger, schlau und von fanatischem religiösem Eifer. Vor allem aber verstand er sich auf die Psychologie seiner Leute. Amerikanische Reklamefachleute könnten sich von ihm in der Erfindung zugkräftiger Schlagworte eine Scheibe abschneiden, schrieb damals ein englischer Journalist.

So dachte sich Hadschi Mirsa Ali Khan beispielsweise die Parole von der »Islam-Bibi« aus, dem Baby des Islam. Diese Schöne Helena der Nordwestprovinz hieß eigentlich Musamat Ram, war der Sproß einer Hindu-Familie in der unweit Waziristan gelegenen Stadt Bannu und ließ sich sehr willig als 15jährige von einem angeblich direkt von Mohammed abstammenden Schullehrer entführen. Sie trat zum Islam über und heiratete.

Die Eltern waren empört. Musamat Ram wurde gewaltsam zurückgeholt und der mohammedanische Paris für zwei Jahre eingelocht. Darauf rief der Fakir von Ipi zum »Heiligen Krieg« gegen die Ungläubigen auf, die das »Baby des Islam« so häßlich behandelten.

Ein altes pathanisches Sprichwort besagt, daß es immer eines der »drei S« ist, die Kriege unter den Pathanis hervorrufen: San, Samin oder Sakat - Frauen, Land oder Besitz. Das Sprichwort hatte sich wieder einmal bewahrheitet.

Die Engländer wollten zunächst mit dem Fakir verhandeln. Dann setzten sie auf seine Ergreifung eine hohe Belohnung aus, durchkämmten mit Gebirgstruppen, Panzern, Artillerie und Flugzeugen das Gebiet, in dem sie ihn zu finden hofften. Vergebens.

Die zerklüfteten Berge eigneten sich vorzüglich für die Waziri-Guerillas. Kleine englische Kolonnen wurden angegriffen, Garnisonen abgeschnitten, Offiziere ermordet. Bannu, die Heimat der Islam-Bibi, wurde überfallen und geplündert. Sachschaden: 30000 Pfund Sterling.

Allein auf dem kleinen Garnisonfriedhof von Rasmak ruhen 120 tote britische Soldaten. Die Gesamtkosten an Menschen und Geld, die auf Rechnung des Fakirs gingen, lagen beträchtlich höher. Die Engländer investierten insgesamt 1500000 Pfund Sterling und 50000 Soldaten, um ihn zu fangen.

Der Fakir, damals etwa 35 Jahre alt, steigerte seine Gefolgsleute durch eine Art Suggestion in einen Zustand religiöser Raserei hinein. Motto: Kampf den »Ungläubigen«. Außerdem glaubten die »Diener Gottes«, wie die Waziris sich nannten, an übernatürliche Fähigkeiten dieses Mannes mit dem wallenden, mit Hennah rotgefärbten Bart und dem weiten, mit Weihrauch parfümierten Gewand.

Er suggerierte seinen Leuten, daß er Bomben und Gewehrkugeln in Papier verwandeln könne. Als eine Waziri-Mutter eines Tages durch eine englische Kugel ihren Sohn verlor und die Zauberkräfte des Fakirs in Zweifel stellte, rechtfertigte er sich mit Grabestrauer in der Stimme: »Dein edler Sohn ist gefallen, weil Du nicht genug an mich geglaubt hast«.

Allmählich gewannen die Engländer die Oberhand. Gegen 50000 modern ausgerüstete Tommies konnten auch die tapferen Waziris auf die Dauer nicht aufkommen. Ende 1937 war der Feldzug beendet.

Den Fakir jedoch konnten auch die 50000 nicht gefangennehmen. Nur das festungsartige Wohnhaus des »Feuerbrands« konnten sie beschlagnahmen. Daraufhin trieb er mit den Engländern in den Höhlen und Felsen Waziristans ein endloses Versteckspiel. Mit kleineren Angriffen führte er den »Heiligen Krieg« gegen Großbritannien weiter, 1938, 1939 und sporadisch den ganzen zweiten Weltkrieg hindurch.

Aus jener Zeit stammt auch das einzige, von dem Fakir existierende Photo (siehe Bild). Es zeigt einen finsterblickenden, barfüßigen, mittelgroßen Mann, das vernarbte Gesicht vom roten Vollbart halb verdeckt, die dunklen Augen von einem unordentlich geknüpften Turban überschattet, die linke Hand am mächtigen Schwert. Ein Mann, der geradewegs aus dem gruseligen Indien-Film »Bengali« entsprungen sein könnte.

Der Abzug der Engländer aus Indien stellte auch den Fakir vor eine neue Situation. Die Nordwestprovinz fiel an das mohammedanische Pakistan. Es gab keinen »ungläubigen« Landesherrn mehr, gegen den man kämpfen konnte.

Aber um Schlagworte war der Fakir nie verlegen: So proklamierte er nun den Kampf gegen die »Landräuber«. Das war auf die Pakistan-Regierung in Karatschi gemünzt.

Der neue Guerilla-Krieg des Fakirs freute sowohl die Afghanen in Kabul wie die Inder in Neu-Delhi. Die einen, weil sie das von Mirsa Ali Khan beherrschte Pathanistan von Pakistan abtrennen und Afghanistan als Satellitenstaat angliedern möchten. Die anderen, weil Pakistan sämtliche Garnisonen an der Nordwestgrenze verstärken mußte und sich deshalb nicht mehr so stark wie bisher in Kaschmir engagieren kann, auf das Indien ein Auge geworfen hat.

Es freute sich noch ein Dritter: Rußland. Die Sowjets gewannen in Afghanistan viel Einfluß, seit das Land durch den englischen Rückzug aus Indien nicht mehr direkter Pufferstaat zwischen Briten und Russen ist. Afghanistan könnte eines Tages ein asiatischer Satellit Rußlands werden wie Tannu-Tuwa oder die Mongolei. Dann wäre ein afghanisch protegiertes Pathanistan der Satellit eines Satelliten, und Stalin könnte den Eisernen Vorhang am Indus niederlassen. Mit dem Fakir als Vorhangzieher.

Die Regierung Pakistans spricht bereits von sowjetischen Emissären, die den Fakir aufstacheln und mit modernem Material versorgen. Für die Männer in Karatschi ist die öffentliche Erklärung des englischen Commonwealth-Ministers Philip Noel-Baker nur ein schwacher Trost, daß die gesamte Nordwestprovinz Pakistan gehört. Einschließlich Waziristans.

Fraglich bleibt jedoch, ob die Waziris ihrem Fakir auch auf Moskauer Wegen folgen werden. Nur eine Handvoll Getreuer begleitete ihn, als er jetzt in Afghanistan eintraf. Er wird sich ein sehr gutes Schlagwort ausdenken müssen, wenn er erneut die Waziris oder gar alle Pathanis um sich sammeln will. Mit der Islam-Bibi ist schon lange kein Staat mehr zu machen. Die wurde schon 1937 friedlich mit ihrem vorzeitig freigelassenen Mohammed-Sprößling vereint.

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