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Fall Hoefer: »Entmündigung des Bürgers«

aus DER SPIEGEL 23/1979

Elf Tage wartete der Staatssicherheitsdienst -- dann griff er zu. Am 14. Mai veröffentlichte der SPIEGEL einen Brief des DDR-Bürgers Reiner Hoefer an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker sowie Auszüge aus einem Memorandum des Diplom-Ingenieurs. Am 25. Mai wurde Hoefer verhaftet. Unklar ist noch, ob seine Frau das gleiche Schicksal erlitt.

Hoefer, wissenschaftlicher Assistent an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar, hatte in seinem Schreiben an Honecker die Zustände in der Ost-Republik analysiert und Fehlerquellen offengelegt. »Das gesellschaftliche Leben«, so der Dozent, »kann nur durch strenge Kontrolle und Zwang ... aufrechterhalten werden.«

Mitte April erhielt der 38jährige die fristlose Kündigung. Auch die Verhaftung traf Hoefer nicht unvorbereitet. In einem zweiten Brief an Honecker am 30. April schreibt er: »Wer ... abweicht, wird in Acht und Bann getan.« Das Schreiben im Wortlaut: An den

Vorsitzenden des Staatsrates der DDR Herrn Erich Honecker 102 Berlin

Sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender!

Am 22. 12. 1978 habe ich mich in einem Brief an Sie im Sinne einer Meinungsäußerung mit innenpolitischen und gesellschaftlichen Problemen der DDR auseinandergesetzt. In einem daraufhin folgenden Gespräch mit einer Kollegin und einem Kollegen Ihrer Eingabenabteilung wurden meine geäußerten Ansichten als realitätsfremd und falsch verworfen. Wenn ich auch gehofft hatte, wenigstens ansatzweise Zustimmung oder Verständnis zu finden, so muß ich jedoch die Haltung Ihrer Mitarbeiter akzeptieren. Daß aber daraufhin mein Brief an meine Dienststelle, die Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar, weitergereicht wurde, erfüllt mich mit Empörung.

Die Verfassung der DDR garantiert jedem Bürger das Recht, seine Meinung frei und öffentlich zu äußern. Artikel 27 schreibt vor, daß niemand benachteiligt werden darf, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. In meinem Fall wurde diesem Grundrecht zuwidergehandelt. Aber damit nicht genug: in die Bestrafung wurde auch meine Ehefrau einbezogen. Es wurden sofortige Einschränkungen ihrer beruflichen Tätigkeit verfügt und auch für die Zukunft angekündigt. Ich fürchte, die Folgen für unseren Sohn werden dann wohl auch nicht lange auf sich warten lassen.

In den mit mir geführten Aussprachen wurde mir die Urteilsfähigkeit über den behandelten Komplex abgesprochen. Ich sehe darin eine Entmündigung des Staatsbürgers schlechthin. Meine Meinungsäußerung wurde als staatsgefährdend bezeichnet -- wie kann eine an Sie gerichtete Meinungsäußerung staatsgefährdend sein? Ich werde in eine Reihe mit den Saboteuren der fünfziger Jahre gestellt. Meine Gesprächspartner in der Sprechstunde des Staatsrates fragten mich gar, wie ich mit diesen Ansichten hier leben wolle, Wie soll ich diese Frage beantworten? Was bleibt mir und meiner Familie überhaupt noch an Lebensraum?

Meinungsäußerungen sind also nur im Sinne der offiziellen Einschätzungen erlaubt. Wer davon abweicht, wird in Acht und Bann getan. Mein Schicksal ist dafür beredtes Beispiel. Das muß ein Nährboden für Unehrlichkeit sein. Damit bestätigt sich auf bedrückende Weise die Grundthese meines ersten Briefes.

Bitte erlauben Sie mir die Frage, ob Sie die in meinem Falle praktizierte Verfahrensweise gutheißen.

Hochachtungsvoll Reiner Hoefer 53 Weimar Jahnstraße 24

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