JAPAN Falsch gefüttert
Am Strand des Eilands Iki, im Südwesten Japans, setzten die Fischer einen Gedenkstein, 3000 Mark teuer. Laut betete dazu ein Bonze. Nach buddhistischem Ritus beschwor er das Seelenheil von 1000 Delphinen, die hier im Frühjahr von der Inselbevölkerung niedergemetzelt worden waren.
»Wir wünschen lediglich, daß diese Räuber uns in Zukunft zufrieden lassen«, verweltlichte Tadayoshi Ogawa, Chef der Fischereigenossenschaft von Iki, das Delphin-Requiem. »Die haben uns hier alle Fische weggefressen.«
Und das ist hier ein Vergehen, das selbst ein Massenschlachten der schutzwürdigen Meeressäuger rechtfertigt. Denn Japans Fischer sind, wenn es um ihre Fanggründe geht, sehr empfindlich: Zu übel haben ihnen Natur und eine feindlich gesinnte Welt, meinen sie, in den vergangenen Jahren bereits zugesetzt.
Wie kaum ein anderes Volk sind die Japaner in ihrer Ernährung auf das Meer fixiert; sie beziehen fast die Hälfte ihres gesamten Eiweißbedarfs aus Meeresgetier. Ein Siebtel der Weltfischbeute brachten bislang japanische Trawler an Land: Jahr um Jahr gut zehn Millionen Tonnen.
Doch die fetten Jahre sind vorbei: Viele Küstenstaaten (Japan selbst allerdings auch) haben seit dem vergangenen Jahr ihre eigene Fischereizone auf 200 Seemeilen ausgedehnt. »Und gerade aus diesen Gewässern«, meint traurig Satoshi Kamise vom Fischereiamt in Tokio, »haben wir rund 40 Prozent unserer Beute geholt. Die guten Zeiten sind wohl endgültig Vergangenheit.«
Vielleicht aber kommen sie doch noch einmal wieder. Denn das auf den Weltmeeren verlorengegangene Fangparadies soll innerhalb der nächsten sieben Jahre direkt an Japans Küsten neu entstehen. Etwa zwei Milliarden Mark hält das Landwirtschaftsministerium bereit für den Bau riesiger Fischfarmen: künstlicher, fischsympathischer Riffe aus Plastik und ausgedienten Autoreifen, großvolumiger Unterwasserhabitate aus Stahl und Beton.
Platz ist genug. Nach Berechnungen des Ministeriums haben 300 000 Quadratkilometer japanischer Küstengewässer eine geringere Tiefe als 200 Meter -- und könnten theoretisch als Farmen kultiviert werden.
Bislang werden erst ganze 10 000 Quadratkilometer als künstlich aufgebessertes Weideland für eßbares Meeresgetier genutzt. Chefingenieur Tadao Hosoda vom Tokioter Fischereiamt sieht deshalb Großes voraus: »Unser Siebenjahresplan soll unseren Fischern zusätzlich mindestens 300 000 Tonnen Fisch in die Netze bringen, Nahrung, die wir Japaner dringend brauchen.«
Schon heute bringt Japans Salzwasser-Zucht einen Jahresertrag von 800 000 Tonnen, annähernd ein Sechstel der Welternte an künstlich gezogenen Schuppen- und Schalentieren. Größere Fischfarm-Erträge hat nur die Volksrepublik China aufzuweisen -- mehr als zwei Millionen Tonnen.
Aber »wir legen mehr Wert auf Qualität«, relativiert Ingenieur Hosoda die Erfolge des Nachbarn, »auf Hummer und Auster, Meerbrasse und Gelbschwanzmakrele, Lachs und Aal. Technisch sind wir sicherlich am weitesten in der Welt«.
Das stimmt wohl. Schon seit Anfang der 70er Jahre tüfteln Tausende von Wissenschaftlern und Fischzüchtern mit Regierungsunterstützung an der »ungemein schwierigen Aufgabe, sensibles Fischvolk steuerbar zu machen«, wie Züchter Yoshimasa Yoshioka sagt.
Die optimistischen Zeiten des Glaubens, eine abgezäunte Bucht und reichlich Futter ergäben allein schon eine ertragreiche Fischfarm, sind vorbei. Besonders bei den in Japan hochgeschätzten Wanderfischen wie Lachs besteht Züchtung in Lenkung.
In einer Bucht der Insel Kiuschu etwa versucht Züchter Yoshioka, junge Meerbrassen mit Klaviermusik zum Bleiben zu bewegen: »Wenn sie sich das auf zwei oder drei Jahre merken würden, könnten wir die ins Meer entlassenen Jungfische zur Fangzeit einfach abrufen. Aber bislang haben die das binnen zehn Tagen vergessen.«
Wissenschaftler der Versuchsstation Shizuoka bleiben freigesetzten Zuchtfischen radioaktiv auf der Spur: den Setzlingen mischen sie strahlende Substanzen unters Futter.
In der Präfektur Ishikawa am Japanischen Meer versuchen Forscher, den begehrten Lachs in südlichen Gewässern heimisch zu machen. Zwei Millionen Lachseier aus Nordjapan werden nahe der Quelle des Tedori-Flusses ausgesetzt, die Jungtiere kommendes Frühjahr im Fluß selber. So, meinen die Experten, verschaffen sie den empfindlichen Kleinfischen bei der gefahrvollen Wanderung flußabwärts eine bessere Überlebenschance.
Ob die Lachse je zurück zum Tedori finden, wird sich erst in vier Jahren zeigen. Etwas weiter in ihren Erkenntnissen sind da die Forscher der Kinki-Universität in Westjapan. Aus 200 000 Thunfischeiern konnten sie, erstaunliche Ausbeute, 110 000 Jungfische züchten. Aber nach einem Monat waren's nur noch zwei. »Wir haben die Tiere wohl falsch gefüttert«, gestand Institutsleiter Teruo Harada. »Aber der Anfang ist dennoch vielversprechend.«
Die Pleite mag nicht am Futter allein gelegen haben. Denn bei allen optimistischen Prognosen und vielversprechenden Farmtechniken blieb bislang eine Schwierigkeit unberücksichtigt: Weite Teile der japanischen Küstengewässer sind so industrieverseucht, daß selbst extravagante Plastikhabitate die Fische nicht heimisch machen können.
Allein in der einstmals schönen Seto-Inlandsee gingen im vergangenen Sommer fast zwei Millionen Zuchtfische an der »Roten Flut« zugrunde, einer alles erstickenden Planktonschwemme. Im Sommer 1972 starben daran gar über fünf Millionen Fische.
Obgleich wahrscheinlich ist, daß die Rote Flut durch giftige Industrieabwässer verursacht wird, räumt Satoshi Kamise vom Landwirtschaftsministerium ein, daß »wir nicht wissen, wie das überhaupt zustande kommt«.
So recht wohl fühlen sich an Japans Schmutzgestaden offenbar nur die vom Verbraucher gering geschätzten Sardinen, die sich seit Jahren sprunghaft vermehren. Dieses Jahr werden wohl zwei Millionen Tonnen Sardinen in die Netze gehen -- ein neuer Rekord.
Kürzlich wurden unweit Tokios angelandete Sardinen schon zu einem Pfennig das Kilogramm gehandelt.