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Eigentum Falsche Erben

In Leipzig ist ein Ost-West-Konflikt zwischen zwei jüdischen Organisationen entbrannt. Vordergründig geht es um tausend Quadratmeter.
aus DER SPIEGEL 2/1995

Auf dem Parkplatz in der Leipziger Gottschedstraße stehen die Autos dicht gedrängt. Dahinter erhebt sich ein trister Plattenbau. Lediglich ein Gedenkstein am Straßenrand erinnert daran, daß auf dem öden Asphaltareal bis 1938 die größte Synagoge der Messestadt stand.

Das imposante, im maurischen Stil erbaute jüdische Gotteshaus war in der Pogromnacht 1938 von den Nazis in Brand gesetzt und die Ruine später abgeräumt worden. Jetzt möchten die Stadt Leipzig und die örtliche jüdische Gemeinde auf dem Gelände eine Gedenkstätte für die 14 000 von den Nationalsozialisten ermordeten Leipziger Juden errichten.

Doch aus dem Vorhaben wird vorerst nichts. Denn um die etwa tausend Quadratmeter große Fläche ist ein erbitterter Ost-West-Konflikt entbrannt - zwischen zwei jüdischen Organisationen.

Streitpartner sind neben der Stadt die »Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig« sowie die »Conference on Jewish Material Claims against Germany«, eine Hilfsorganisation für KZ-Überlebende mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Auseinandersetzung ist juristisch wie historisch hoch kompliziert, ihr Ausgang für alle jüdischen Gemeinden in der ehemaligen DDR von größter Bedeutung.

Gestritten wird, wem der Flecken Erde in der Gottschedstraße heute gehört. Nach dem Abriß der Synagogenruine beanspruchten 1942 die Nazis das Gelände. 1948 wurde der Platz auf Befehl der sowjetischen Militäradministration an die Leipziger jüdische Gemeinde zurückgegeben. 1987 wechselte er erneut den Besitzer: Die Religionsgemeinschaft hatte, um einer Enteignung zuvorzukommen, das Gelände an eine DDR-Wohnungsbaugesellschaft verkauft.

Die Stadt Leipzig findet nun, der Platz gehöre ihr. Die jüdische Gemeinde der Messestadt dagegen will den erpreßten Zwangsverkauf von 1987 nicht gelten lassen und sieht sich als Besitzerin. Weil beide Parteien bereit sind, auf dem Parkplatz eine Gedenkstätte zu errichten, könnte diese Auseinandersetzung schnell beendet werden.

Da jedoch will die Claims Conference nicht mitmachen. Die ist zwar nicht gegen eine Gedenkstätte, möchte aber über die Nutzung des Grundstücks erst entscheiden, wenn die Eigentumsfrage, notfalls vor Gericht, geklärt ist - zu ihren Gunsten. Denn für die Organisation, die jüdische NS-Überlebende in aller Welt vertritt, ist nicht nur der Zwangsverkauf an die DDR-Wohnungsbaugesellschaft Unrecht, sie hält auch die Mitglieder der Leipziger jüdischen Gemeinde für die »falschen Erben«, wie Claims-Direktor Karl Brozik sagt.

Die ursprünglichen Gemeinden seien während der Nazi-Zeit zerstört worden und damit untergegangen, argumentiert Brozik. Die »neu gegründeten« Religionsgemeinschaften in der DDR hätten deshalb kein Recht auf das Gemeindevermögen gehabt. »Das Gestohlene«, so Brozik, müsse »an den wahren Eigentümer« herausgegeben werden, »nicht an dessen Schwester oder andere Verwandte«.

Die Claims Conference beruft sich auf das sogenannte Luxemburger Abkommen aus dem Jahre 1952. Damals vereinbarten Bundesregierung und jüdische Hilfsorganisationen, daß die Claims Conference Rechtsnachfolgerin und damit Erbin sämtlicher von den Nazis vernichteter jüdischer Religionsgemeinschaften in der Bundesrepublik ist.

Die Regelung machte Sinn. Zwar gründeten sich gerade wieder kleine Gemeinden in der Bundesrepublik, doch die Überlebenden des Holocausts waren in alle Welt verstreut. Das von den Nazis gestohlene Gemeindeeigentum sollte deshalb über die Claims Conference auch jüdischen Opfern außerhalb der Bundesrepublik zugute kommen.

Nach der Vereinigung beschlossen der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Claims Conference, daß die alte Vereinbarung auch für die ehemalige DDR gelten soll. Die jüdischen Religionsgemeinschaften in den neuen Bundesländern hätten demnach Anspruch nur auf einen Teil des ihnen nach dem Krieg auf Befehl der sowjetischen Militäradministration zurückgegebenen Vermögens. Das meiste ginge an die Claims Conference, etwa zur Finanzierung von Alten- und Pflegeheimen für KZ-Opfer.

Der Beschluß hat die jüdischen Gemeinden in der ehemaligen DDR zutiefst verbittert. Die Claims Conference bringe mit ihrer Argumentation, die alten Gemeinden seien untergegangen, zu Ende, »was die Nazis nicht geschafft haben«, schimpfen Gläubige in Leipzig erbost.

Juristisch wollen sich die meisten Gemeinden allerdings nicht gegen die Claims Conference wehren. »Wenn man vereinnahmt wird, muß man sich wohl fügen«, sagt Roman König von der Dresdner Religionsgemeinschaft resigniert.

Nur in Leipzig regt sich Widerstand. Und wie so oft bei Konflikten zwischen Ost und West geht es um viel mehr als ums Geld. Die Religionsgemeinschaft, vor der Nazi-Zeit die sechstgrößte in Deutschland, fühlt sich auch um Geschichte und Identität betrogen.

»Hier hat es immer eine Gemeinde gegeben«, sagt Rolf Isaacsohn, der Geschäftsführer. Gleich nach dem Zusammenbruch sei er als Zwölfjähriger zusammen mit seinem Vater aus dem Konzentrationslager Theresienstadt nach Leipzig zurückgekehrt. 169 Gläubige hätten sich damals in der Messestadt wieder eingefunden.

Anfang der fünfziger Jahre waren es rund 400 Menschen. Doch nach dem antisemitischen Schauprozeß gegen den tschechoslowakischen Kommunisten Rudolf Slansky im November 1952 in Prag begann erneut ein Exodus der Leipziger Juden. Gemeindemitglieder wurden als »zionistische Agenten« beschimpft und festgenommen. Viele verließen daraufhin die Messestadt in Richtung Westen, unter ihnen auch der damalige Gemeinde-Vorsitzende, Salo Looser.

Zurück blieb eine kleine, überalterte Gemeinschaft, die beim Zusammenbruch der DDR nur noch aus 34 Gläubigen bestand. Inzwischen sind 60 jüdische Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR hinzugekommen.

Diese schwierige Geschichte der Juden in der DDR »jetzt einfach wegzuwischen« findet der Anwalt der Gemeinde, Hubert Lang, »ziemlich happig«. Schließlich »haben wir 1995 und nicht 1952«. Y

»Die bringen zu Ende, was die Nazis nicht geschafft haben«

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