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ITALIEN / SPIONAGE Falsche Schlüssel

aus DER SPIEGEL 27/1966

Kommodore Edelsten, Kommandant des britischen Schlachtschiffs »Warspite«, suchte mit dem Fernglas den westlichen Horizont ab, an dem eben ein rotes Notsignal aufgestiegen war. Dann meldete er seinem Geschwaderchef: »Drei Meilen voraus sechs Kreuzer oder Zerstörer. Offenbar Italiener; sie sind nicht kampfbereit.«

Es war am 28. März 1941, 22.25 Uhr, hundert Seemeilen südlich von Kap Matapan (Griechenland).

Das Notsignal kam von dem italienischen Kreuzer »Pola«, der drei Stunden zuvor von britischen Torpedo-Flugzeugen manövrierunfähig geschossen worden war.

Die von Kommodore Edelsten ausgespähten »Kreuzer oder Zerstörer« waren italienische Kriegsschiffe; die »Pola« hatte sie zu Hilfe gerufen.

Wenige Minuten nach ihrer Entdekkung durch Edelsten wurden die Italiener von der »Warspite« und zwei weiteren britischen Schiffen aus 24 schweren Geschützen (Kaliber 38,1 Zentimeter) unter Feuer genommen. Ohne einen Schuß abgegeben zu haben, versanken die italienischen Kreuzer »Fiume« und »Zava«, sowie die Zerstörer »Alfieri« und »Carducci«. Im Morgengrauen ging auch die »Pola« auf Grund. 3000 italienische Offiziere und Mannschaften kamen ums Leben.

Die italienischen Schiffe gehörten zu einem Verband, der - bestehend aus dem Schlachtschiff »Vittorio Veneto«, acht Kreuzern und 13 Zerstörern - zwei Tage zuvor zur Vorbereitung des für den 6. April geplanten deutschen Angriffs auf Griechenland in die Ägäis ausgelaufen war.

Aufgabe der Italiener: Durch gezielte Angriffe auf die britische Mittelmeerflotte sollten sie die Versorgung Griechenlands von Kreta und Ägypten lahmlegen.

Doch aus den Jägern wurden Gejagte: Die Briten kannten die Pläne der Mussolini-Flotte und griffen ihrerseits an.

Die Erste Strafkammer des Landgerichts Mailand soll jetzt - 25. Jahre nach dem Massaker von Matapan - entscheiden, ob der Überraschungsangriff der Briten durch Verrat ermöglicht wurde. Genauer: ob der Admiral Alberto Lais im Frühjahr 1941 als italienischer Marineattaché im damals noch neutralen Amerika den Verführungskünsten der britischen Spionin Cynthia (SPIEGEL 23/1966) erlegen ist und die geheimen Chiffrier-Unterlagen der italienischen Kriegsmarine an sie weitergegeben hat.

Das jedenfalls behauptet der amerikanische Autor Montgomery Hyde in seinem (vor zwei Jahren auch in Italien erschienenen) Buch »The Quiet Canadian«. Und deswegen wurde er - zusammen mit seinem italienischen Verleger - wegen Verleumdung angeklagt. Kläger sind ein Sohn und ein Enkel des 1951 verstorbenen Admirals Lais.

Montgomery Hyde beruft sich auf Angaben des früheren Chefs der englischen Spionageabwehr in den USA, Sir William Stephenson, der die damals 30jährige Cynthia auf den Attaché Lais angesetzt hatte.

Hyde: »Lais brachte Cynthia mit dem Angestellten des Chiffrier-Büros zusammen, der ihr Photokopien des Geheimschlüssels aushändigte.«

Und: »Die Verlegung der italienischen Flotte ins Ägäische Meer Ende März 1941 wurde den Briten mit Hilfe des Geheim-Codes vorher bekannt. Das Ergebnis war der aufsehenerregende englische Seesieg bei Kap Matapan.«

Briten-Admiral Cunningham, der Sieger von Kap Matapan, erwähnt zwar in seinem offiziellen Bericht über die Schlacht lediglich »verschiedene Anzeichen«, die auf die italienischen Absichten hingedeutet hätten - so zum Beispiel die Berichte britischer Aufklärungsflieger über italienische Flottenbewegungen oder die rege Aufklärungstätigkeit der Italiener über dem ägyptischen Hafen Alexandria.

»Cunninghams präzise Vorbereitungen«, so schreibt jedoch Konteradmiral Marc' Antonio Bragadin in seiner offiziösen Geschichte »Die italienische Flotte im Zweiten Weltkrieg«, »weisen eindeutig darauf hin, daß er besondere Informationen besaß, die ihm entweder von Spionen oder von seinem hervorragenden Geheimdienst zugespielt worden waren.«

Die gleiche Behauptung hatte der italienische Schriftsteller Antonino Trizzino - ohne Schuldige zu nennen - bereits Anfang der fünfziger Jahre aufgestellt und war prompt vom Oberkommando der italienischen Marine wegen »Verleumdung der Streitkräfte« verklagt worden.

Trizzino wurde freigesprochen. Er konnte nachweisen, daß die Engländer die italienische Seeoperation tatsächlich in allen Einzelheiten vorher gekannt hatten. Die Richter befanden: »Die Tragödie von Matapan hat keine positiven, sondern nur negative Aspekte: vor allem den Verrat.«

Dem neuen Prozeß um das Massaker von Matapan hat sich die italienische Marine deshalb nicht als Kläger angeschlossen. Das Verteidigungsministerium gab lediglich eine Ehrenerklärung für den »stets integren und ehrenwerten Offizier« Lais ab. Möglicherweise, so deuteten die Ministerialbeamten an, habe Attache Lais der britischen Spionin falsche Schlüssel ausgehändigt, um die Engländer zu täuschen.

Der Anwalt der Lais-Familie begründete die Klage unter anderem damit, daß die Italienische Botschaft in Washington keine militärischen, sondern nur diplomatische Schlüssel verwendet habe. Es sei daher absolut ausgeschlossen, daß sich die streng geheimen Chif-frier-Unterlagen für Operationen der italienischen Marine in Washington befunden haben könnten, als ein Krieg mit Amerika nicht mehr auszuschließen war.

Außerdem habe Montgomery Hyde in seinen beiden Büchern »The Quiet Canadian« und »Cynthia« verschiedene Darstellungen des Verrats gegeben: Im zweiten Buch ("Cynthia"), das aufgrund von Tonbandberichten der britischen Spionin entstand, erhält Cynthia den Geheim-Code erst, nachdem Lais aus Amerika abgereist ist - rund einen Monat nach der Seeschlacht von Matapan.

Dazu Autor Hyde vor Gericht: »Die Divergenz betrifft nur die Daten. Ich war immer überzeugt, daß der erste Bericht, der auf den Unterlagen von (Geheimdienstchef) Stephenson beruht, glaubwürdiger ist. Als Cynthia mir ihr Leben erzählte, war sie schon krebskrank und hat sicherlich einiges durcheinandergebracht.«

Die römische Wochenzeitschrift »L'Espresso« freilich glaubt, daß die englische Marine nicht nur über den verliebten Attache, sondern auch über andere Verliebte von der Kreta-Operation der Italiener erfahren haben könnte. »L'Espresso": »Als die ,Vittorio Veneto' die Anker lichtete, wußte das in Neapels Bordellen jedermann. Die Italiener sind kein sehr schweigsames Volk!«

Britischer Torpedoflieger-Angriff auf italienischen Kreuzer*: Verrot durch Cynthia?

* In der Schlacht von Matapan.

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