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SUBVENTIONEN Falsche Sicherheit

Staatliche Hilfen für bedrohte Branchen verfehlen meist ihr Ziel - und verzögern den notwendigen Strukturwandel.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Mit gut zehn Prozent hat Mülheim die niedrigste Arbeitslosigkeit im ganzen Revier, eine Zeche gibt es dort schon seit 20 Jahren nicht mehr. In Gelsenkirchen, wo auch heute noch Kohle gefördert wird, liegt die Zahl der Leute ohne Job dagegen mit mehr als 16 Prozent über dem Durchschnitt des Ruhrgebiets.

Ökonomen wundert das nicht: Subventionen bewirken selten, was sie bezwecken sollen. Die deutschen Steinkohlehilfen sollten die Probleme der Arbeitslosigkeit in den angeschlagenen Regionen an der Ruhr lindern - statt dessen haben sie den überfälligen Strukturwandel eher behindert und falsche Hoffnungen geweckt.

Der Geldsegen aus öffentlichen Kassen verleitete viele junge Menschen dazu, im Bergbau einen Job zu suchen. »Es ist pervers, wenn nach 40 Jahren Bergbaukrise das Durchschnittsalter der Beschäftigten bei 33 Jahren liegt«, sagt Heinz Schrumpf vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

Wegen der Kohle, so Schrumpf, habe ein rechtzeitiges Nachdenken über die Monostrukturen - und was danach kommt - nie eingesetzt. Die Subventionen hätten sich als Fluch erwiesen, »weil sowohl die Kommunen als auch die Menschen immer in der falschen Sicherheit gehalten worden sind, daß die Kohle eine langfristige Perspektive hätte«.

»Keine Mark mehr für die Kohle«, lautet daher die Parole von Erich Staudt, einem streitbaren Professor für Innovationsforschung an der Ruhr-Universität in Bochum. Das Geld sollte nach seiner Meinung besser für zukunftsgerichtete Investitionen eingesetzt werden. »Die Kohlesubventionen absorbieren die Kraft der Landesregierung zum Wandel«, sagt der Ökonom.

Solche Mahnungen fruchten wenig: Subventionen haben die kostspielige Eigenschaft, daß sie, wenn sie erst einmal beschlossen wurden, kaum wieder abgeschafft werden können.

Auch nach den jüngsten Bonner Beschlüssen bleibt die Steinkohle, gemessen an der Zahl der Beschäftigten, der gefräßigste deutsche Subventionsbezieher. Rund 120 000 Mark werden pro Jahr und Beschäftigten im Kohlebergbau bezahlt. In absoluten Zahlen allerdings rangieren die angeschlagenen Zechen gerade mal auf Rang vier der vom Staat Begünstigten.

In der Statistik unter dem schönenden Tarnnamen »Verkehr« geführt, bekommt allein der Bahntransport jedes Jahr über 40 Milliarden Mark von Bund, Ländern und Gemeinden. Damit hält er einen einsamen Rekord. Die staatliche Bauförderung ist mit 35 Milliarden der zweitdickste Brocken, und die Landwirtschaft folgt mit rund 30 Milliarden Mark pro Jahr aus Bonn und Brüssel auf Rang drei.

Ohne öffentliche Gelder gäbe es in Deutschland schon lange keine Zeche mehr und nur noch wenige Bauern. Die Zahl der Stahlwerke wäre ebenfalls nahe bei Null.

Es gäbe aber auch keinen Airbus, der wäre ohne staatliche Subventionen gar nicht erst entwickelt worden. Öffentlicher Nahverkehr wäre vermutlich weitaus teurer, und eine Karte für den abendlichen Opernbesuch würde nicht 50, sondern wahrscheinlich über 200 Mark kosten.

Das alles läppert sich. Für das Jahr 1995 hat das Kieler Institut für Wirtschaftsforschung die stolze Summe von rund 300 Milliarden Mark errechnet, mit der Bund, Länder und Gemeinden Unternehmen, Branchen oder Bevölkerungsgruppen unter die Arme gegriffen haben. Die Kieler Forscher, die den Subventionsbegriff extrem weit fassen, wagen sogar die Behauptung, daß die staatlichen Geschenke sich insgesamt zu 370 Milliarden Mark summierten. Das ist ungefähr genausoviel wie das, was der Staat mit Lohn- und Einkommen-, Körperschaft- und Zinsabschlagsteuern sowie dem Solidaritätszuschlag einnahm.

»Die Subventionen haben ein Ausmaß erreicht, das die Frage nach einer Kompatibilität mit einer marktwirtschaftlichen Grundordnung aufwirft«, tadeln die Kieler Forscher. »Die Masse der Unternehmen wird durch hohe Steuern belastet, damit ein enger Kreis von Begünstigten staatliche Hilfe erhält.«

Trotzdem neigen Regierungen nach wie vor dazu, ausgewählte Bevölkerungsgruppen mit Wohltaten zu versehen. An Begründungen fehlt es nie. Die Kohle soll laut Subventionsbericht trotz massenhaft vorhandener und billiger Kohlevorkommen in der westlichen Welt »als Beitrag zu einer sicheren Energieversorgung« bezuschußt werden.

In Deutschland wird die Landwirtschaft im Zeichen weit offener Weltmärkte noch heute mit der Begründung gefördert, daß »die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Produkten zu angemessenen Preisen« sichergestellt werden müsse.

In ihrer Entschlossenheit, der eigenen Wählerschaft auf Kosten anderer Gutes zu tun, schafft es die bayerische Staatsregierung sogar, ihren Bauern aus dem Bundestopf 700 Millionen Mark und aus Mitteln der Europäischen Union über eine Milliarde Mark mehr an Agrarsubventionen zuzuschanzen, als dem weiß-blauen Flächenanteil entspricht.

Das mag Wählerstimmen bringen - viel mehr bewegen die Milliarden aber nicht.

40 Jahre nachdem die ersten Schutzmaßnahmen gegen billige amerikanische Importkohle verhängt wurden, ist die deutsche Steinkohle noch immer eine Krisenbranche. Und die Mehrzahl der Werften an Nord- und Ostseeküste konnte auch mit massiven Hilfen nicht vor dem Untergang bewahrt werden.

Die kräftige Unterstützung der Landwirtschaft ernährt vor allem ein Heer von Bürokraten. Mittlerweile werden schon 55 Prozent des EU-Haushalts in den europäischen Agrarbereich gepumpt, einen Sektor, der nur noch fünf Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt.

In der Stahlindustrie konnten zwei massive Verbotsbeschlüsse der Europäischen Gemeinschaft die in den siebziger Jahren begonnenen Hilfen für die Stahlwerke der Mitgliedsländer nicht mehr aus der Welt schaffen. Der Airbus war - von Restbeträgen abgesehen - nur vom Dauertropf des Staates wegzubringen, weil die amerikanische Regierung den europäischen Sündern mit einem massiven Handelskrieg drohte.

Ruhrkohle-Chef Gerhard Neipp muß nun in den kommenden Jahren zwar etliche marode Zechen schließen und seine Belegschaft mehr als halbieren, Lehrlinge aber wird er auch weiterhin ausbilden.

Sind die Auszubildenden von heute die Demonstranten, die im Jahr 2005 für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf die Straße gehen werden? Neipp glaubt nicht daran: »Nur zehn Prozent der Lehrlinge«, prophezeit er, »gehen in Bergarbeiterberufe.«

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Subventionen je Beschäftigten in Mark

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