Falsche These
(Nr. 51/1977, SPIEGEL-Serie: Nollau über den Fall Guillaume und Brandts Sturz)
Es ist nicht meine Art, an alte Wunden zu rühren. Doch die von Günther Nollau in seiner Autobiographie erhobene Anschuldigung, mein Buch über Willy Brandt und die deutsche Linke enthalte in bezug auf ihn (NolIau) eine »Ente«, zwingt mich, darauf zu antworten:
Dr. Nollau ist offenbar bestürzt über eine Passage meines Buches, in der ich rhetorisch frage, welche Art von Abwehrmann das war, der Bundeskanzler Brandt im Mai 1973 nicht seinen Verdacht und seine Beweise der Spionagetätigkeit Guillaumes direkt vortrug. Er rechtfertigt sein Verhalten, indem er sagt, sein Chef sei nicht Brandt, sondern Innenminister Genscher gewesen. Doch ich schrieb nicht über seinen »Dienstweg«, sondern vielmehr über politische Wachsamkeit und Mut in einer Zeit der Gefahr. Sein Argument, es habe genügt, den Fall allein Genscher vorzutragen, erscheint mir schwach, nicht nur angesichts der Schwere des Falls und Brandts persönlicher Verstrickung, sondern auch angesichts der Tatsache, daß Dr. Nollau Willy Brandt seit fast 25 Jahren kannte. So erwähnt er auch nicht eine andere Stelle meines Buches, an der er davon sprach, daß Brandt »mir in sehr netter * David Binder war von 1966 bis 1973 Korrespondent der »New York Times« in Bonn und schrieb danach das Buch »The other German.
Weise geholfen« hat, aus Ostdeutschland herauszukommen und in der Bundesrepublik eine Karriere anzutreten, die schließlich zu seiner Position als Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz führte. Ganz offenbar hat sich Dr. Nollau 1973/74 für diese (ihm etwa 1948/50 gewährte) Hilfe Brandts nicht revanchiert.
Dr. Nollau schwächt seine Position weiter, indem er mit bewundernswerter Offenheit enthüllt, daß ausgerechnet zu der Zeit, als der größte Spionagefall in der Geschichte der Bundesrepublik ans Licht kam, sein größter Wunsch war, nach Bad Tölz zur Kur zu fahren, was er auch tat. Ein toller Abwehrchef!
Was nun die »Enten« angeht, so meine ich, Dr. Nollau könnte selbst einer kleinen Ente verdächtigt werden. Er behauptet, mich »gut« gekannt zu haben. Nach einem längeren Gespräch mit ihm Anfang 1973 in seinem Haus in Köln und einem kurzen Interview in seinem Büro könnte ich nicht sagen, daß ich ihn »gut« kenne, obwohl ich ihn sympathisch und intelligent fand. Vielleicht bezog er sich auf ein Dossier über mich.
Ich finde es traurig, daß DER SPIEGEL, der durch seine Veröffentlichung von Dokumentarserien, einschließlich der Nollau-Buchauszüge, so bewundernswerte Dienste geleistet hat, aus Nollaus Buch ebenso wie vor drei Jahren aus meinem Buch Passagen aus dem Zusammenhang gerissen veröffentlicht, um die These zu erhärten. Herbert Wehner habe den Sturz Willy Brandts herbeigeführt.
Diese These ist falsch, und die Geschichte wird ihre Unrichtigkeit beweisen.
Washington DAVID BINDER
DER SPIEGEL Nr. 8/1978