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HANDEL / LEIPZIGER MESSE Falscher Zungenschlag

aus DER SPIEGEL 13/1967

Vier Stunden lang schlenderte Walter Ulbricht unter dem Wimpelwald seiner Leipziger Frühjahrsmesse einher und sprach bald zu diesem, mal zu jenem Handelsmann ein leutseliges Willkommen.

Nicht eine Minute aber gönnte der DDR-Herr den 1280 Delegierten des zweitgrößten Ausstellers: der westdeutschen Industrie. Und die Bundespresse goß das Fiasko in Schlagzeilen wie »Messe der Enttäuschungen« ("Die Welt") oder: »Westdeutsche Firmen müssen die Politik ausbaden« ("Frankfurter Rundschau").

Es war Ulbrichts großer Bluff. Denn als in der letzten Woche die Messe dem Ende zuging, kamen sich die Händler des geteilten Landes plötzlich näher. Horst Sölle, DDR-Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, holte nach, was sein Regent versäumt hatte: Er machte Honneurs an bundesdeutschen Ständen. Und sein Stellvertreter Heinz Behrendt sprach von Geschäften. Er stellte für die Zeit nach der Messe detaillierte Kaufverhandlungen in Ost-Berlin so beredt in Aussicht, daß insbesondere die Vertreter der Rhein-Ruhr-Industrie hinterher ihre Gastgeber gegen das Wehgeschreih westdeutscher Blätter in Schutz nahmen:

> Wolfgang Schulze Buxloh, Vorstandsmitglied der Rheinischen Stahlwerke: »In der Berichterstattung unserer Presse war ... ein falscher Zungenschlag zu beobachten.«

> Ernst Wolf Mommsen, Vorstandsvorsitzender der Thyssen Röhrenwerke AG: »Wenn Ulbricht früher auf unsere Stände kam, gab es in Westdeutschland Krach. Jetzt ist er nicht gekommen, und im Westen heißt es, er habe uns geschnitten. Wie sollen es die armen Leute uns denn recht machen?«

> Ein Sprecher des Klöckner-Konzerns: »Es ist damit zu rechnen, daß in diesem Jahr im Stahlgeschäft nicht weniger abgeschlossen wird als im Vorjahr.«

»Ich fühlte mich gut behandelt«, resümierte auch der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, Otto Wolff von Amerongen.

Kein Zweifel: Das SED-Regime übte sozialistischen Realismus. Zwar lag der DDR-Führung daran, auch in Leipzig die Souveränität des Arbeiter-und-Bauern-Staates hervorzukehren. Aber ihr war bewußt, daß sie sich eine wirtschaftliche Abstinenz von der Bonner Republik vorerst nicht leisten kann.

Mehr noch: Die DDR muß derzeit darauf verzichten, die geplante und von der SED-Spitze ersehnte Umwandlung des Interzonenhandelsabkommens in einen Außenhandelsvertrag voranzutreiben. Denn der deutsche Binnenhandel bietet Ost-Berlin mehr Vorteile, als ihr ein Vertrag mit Bonn -- von Staat zu Staat -- jemals an politischem Prestige einbringen könnte.

Dank des Interzonenhandelsabkommens

> kauft und verkauft die DDR, anders als im Handel mit allen anderen westlichen Ländern, in der Bundesrepublik grundsätzlich zollfrei,

> ist der SED-Staat als einziges Ostblockland mittelbar dem Gemeinsamen Markt angeschlossen; so kann die DDR zum Beispiel in der Bundesrepublik Lebensmittel zu den in der Regel über Weltmarktniveau liegenden Inlandspreisen absetzen,

> werden die Ost-Berliner Bestrebungen erleichtert, durch Zusammenarbeit zwischen volkseigenen und westdeutschen Unternehmen mit DDR-Produkten auch auf bislang verschlossene Märkte vorzudringen. So arbeitet der VEB Kranbau in Eberswalde gegenwärtig an einem brasilianischen Auftrag für 132 Kräne, zu denen eine West-Berliner Fabrik alle elektrischen Ausrüstungen beisteuert. Und die West-Firma Rheinstahl Henschel AG wird Dampf-Erzeuger nach Ost-Deutschland liefern, wo sie von volkseigenen Unternehmen mit Motoren und Armaturen bestückt werden.

Überdies ist Westdeutschlands Wirtschaft zum interessantesten potentiellen DDR-Lieferanten für Industrieanlagen geworden, seit Bonns Wirtschaftsminister Professor Karl Schiller just vor der Leipziger Messe zum erstenmal Bundesgarantien für Fünf-Jahres-Kredite im Interzonenhandel in Aussicht stellte.

Die Leistungsfähigkeit der Bundesregierung auf diesem Gebiet führten den DDR-Machthabern ausgerechnet die Ostblock-Brüder aus Rumänien vor: Ein Bukarester Auftrag über Tagebau-Anlagen im Wert von 85 Millionen Mark ging nicht, wie erhofft, in die Auftragsbücher der DDR-Meßner, sondern -- unmittelbar vor der Messe -- an ein westdeutsches Firmenkonsortium unter Führung des Essener Krupp-Konzerns.

Die Rumänen teilten darob das Schicksal ihrer westdeutschen Partner: Sie wurden in Leipzig zu Beginn der Messe vom Gastgeber geschnitten.

* Auf dem Stand der polnischen Außenhandelsgesellschaft »Elektrim«; im Gefolge: Ehefrau Lotte Ulbricht (4. v. l.), DDR-Ministerpräsident Willi Stoph (3. v. r.).

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