BANKEN Fast blank
Es war eine deutsche Erstaufführung. Die Bankräuber hatten es nicht auf den Kassierer, sondern auf die Kunden abgesehen.
Die Täter kamen auch nicht, wie sonst bei Überfällen üblich, kurz vor Mittag. Ihr Auftritt erfolgte erst nach Feierabend, wenn in gewöhnlichen Banken nur noch die Putzfrauen arbeiten.
Die Kölner Filiale der Hamburger Verbraucherbank, der Tatort, ist keine gewöhnliche Bank. Die vier bewaffneten Gangster, einer von ihnen gelernter Bankkaufmann, hatten sich ein Institut ausgesucht, bei dem rund um die Uhr ein Roboter ("Bankomat") die Kunden mit Geld und Kontoauszügen bedient.
Mit einer »Legitimationskarte« öffnen Bankbesucher die Tür zum Foyer, mit dieser Karte und sechsstelliger Geheimzahl, die sie selber eingeben, bedienen sie den Geldautomaten. Nur wenn beides - Karte und Zahl - zusammenpaßt, blättert der Automat Bares in Fünfzig- und Hundertmarkscheinen in den Fallschacht.
Den Automaten-Service machten sich die Räuber zunutze. Kunden, die den Vorraum betraten, wurden mit der Drohung »Stellt euch nicht so an, sonst gibt es ein Blutbad« eingeschüchtert und mit S.74 vorgehaltener Pistole aufgefordert, ihr Konto zu plündern und das Geld rauszurücken.
Der Kaufmann Friedrich Masuth, 59, der nur mal seinen Kontostand ablesen wollte, mußte 6000 Mark aus dem Automaten blechen und bekam noch eins auf die Nase. Der Angestellte Eberhard Niebergall, 33, der einen Versicherungsbetrag überweisen wollte, sollte 9000 Mark abheben, konnte aber die Räuber auf 1000 Mark runterhandeln: »Jungs, mein Konto ist fast blank.«
Den Sozialwissenschaftler Christian Baule, 33, machte die Notlage erfinderisch. Er tippte permanent mehr Summen rein, als er an Bargeld drauf hatte, so lange, bis der Computer die Karte schluckte und die Zahlung verweigerte. Ein armer Student, der sein Konto wieder mal überzogen hatte, kam unberaubt davon; überhaupt war die Premiere im Ergebnis nicht aufregend: 13 000 Mark sackte das Quartett bei sechs Kunden ein, und schon einen Tag später saßen alle im Klingelpütz.
Trotzdem, die neue Art des Geldraubs hat Zukunft, weil viele Banken ihren Kundendienst nicht mehr von Angestellten, sondern von Apparaten erledigen lassen. Mehr als 200 stählerne Kassierer sind in der Bundesrepublik inzwischen installiert. Weltweit gibt es schon fast 30 000 Cash Dispenser, überwiegend in den Vereinigten Staaten und in Japan. In Japan lief auch das bislang größte Ding. In der Kinki-Sogo-Bank in Osaka kassierten Geldräuber mit gefälschten Karten 17 Millionen Yen, umgerechnet 170 000 Mark.
An der Eastside in New York wurden zwölf Kunden der Citibank, führend im Roboter-Geschäft, an einem Samstagabend gezwungen, die Karten rauszurücken. Es kam zu einer Schießerei mit der Polizei - ein Gangster wurde schwer verletzt. Erst eine Woche zuvor waren Bankomaten-Kunden in der 13. Straße überfallen worden.
Wie sie die Sicherheit der Kunden gewährleisten wollen, wissen die Manager der deutschen Geldwirtschaft und der Apparate-Hersteller noch nicht. »Generell überdacht«, sagt Horst Meissner vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, »haben wir das bisher nicht.« Für den Computerspezialisten Hubert Heckel vom Automatenkonzern NCR liegt »das Entscheidungsrisiko« allein »beim Kunden«. Jeder müsse wissen, ob er bei Gefahr zahlen wolle oder nicht.
In den nächsten Jahren wollen die westdeutschen Geschäftsbanken Tausende von Geldautomaten aufstellen, teils draußen neben den Schaukästen mit den Börsennotierungen, teils drinnen in den Vorräumen zur Schalterhalle. Die Kunden, so wird die Rationalisierung begründet, sollen sich jederzeit selbst bedienen können.
Hauptsächlich jedoch geht es den Banken darum, Geld zu sparen; sie wollen S.75 durch rigorosen Personalabbau die steigenden Gehaltskosten begrenzen. Fachstudien zufolge soll bis Ende der 80er Jahre jeder zehnte Bankangestellte in Europa entlassen werden. Dresdner-Bank-Chef Hans Friderichs: »Wir arbeiten an der Vollterminalisierung unserer Filialen.«
Auch die Banken, die noch keine Bankomaten haben, sind dabei, in den Schalterhallen automatische Kassentresore (AKT) zu installieren. Fürs erste, kündigte Vorstandsmitglied Christian Seidel von der Dresdner Bank an, »werden die zweiten Kassierer ersetzt«.
Die AKT-Geräte mit 1,25-Millimeter-Stahlblech-Gehäuse zahlen mit Verzögerung. Wenn ein Bankangestellter die Summe eingegeben hat, dauert es mitunter fünf Minuten, bis ein vierstelliger Betrag ausgezahlt wird. Wenn etwa ein Geiselnehmer den Weg zum großen Tresor freipressen will, muß er mindestens zehn Minuten auf die großen Scheine warten; ohne zwei Schlüsselträger kann er gar nichts erreichen.
Von der zeitlichen Verzögerung bei der Auszahlung erhoffen sich Banken eine abschreckende Wirkung auf Geldräuber. Schon das Zeitschloß für Kellertresore, das die Stahltür auf unkalkulierbare Zeit blockiert, hat sich bei Geldinstituten als wirksames Verhütungsmittel bewährt. Ungefährlich indes ist diese Schranke nicht, denn »niemand«, so Karl Heinz Gersemsky, Sicherheitsfachmann der Deutschen Bank in Eschborn, »kann sicher sein, daß Gangster, die so dicht vor dem großen Geld stehen, nicht zu Affekthandlungen neigen«.
Wenn der schnelle Raub nicht mehr geht, könnten es zumindest Amateure mit der Angst kriegen - fraglich ist, wie Profis reagieren. »Unwägbare Risiken« sieht Hans Georg Stritter von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, »Kunden und Angestellte sind gefährdet«.
Die Kriminalexperten sind noch unschlüssig. Der Freiburger Kriminologe Wolf Middendorff erwartet, daß Gangster, wenn sie in Gefahr geraten, »die Waffen wegwerfen und davonrennen«. Der Düsseldorfer Hans-Werner Hamacher, Chef des Landeskriminalamtes, warnt vor »Panikreaktionen": »Manchmal stehen vor dem Schalter potentielle Selbstmörder.« Besonders riskant für die Beteiligten sei es, »wenn ein Mann und eine Frau gemeinsam auftreten« und »sich gegenseitig beweisen wollen«.
Krimi-Paare wie Bonnie und Clyde treten in der Bundesrepublik nicht nur als Terroristen vor die Bankschalter, um mit Waffengewalt abzukassieren. Für Kriminalisten zählen sie zu den »Schnellkassierern« (Hamacher), von denen täglich zwei irgendwo in einer westdeutschen Stadt eine Bank berauben.
In jedem neunten Fall werden Geiseln genommen. Durch die vollautomatisierte Kunden-Betreuung, befürchten Sicherheitsexperten, könnten es noch mehr werden. »Wir wollten eigentlich 15 Kunden rasieren«, sagte einer der Kölner Räuber nach seiner Festnahme. »Mehr Leute, hatten wir ausgerechnet, hätten nicht in den Raum gepaßt.«
S.73Im Foyer einer Verbraucherbank-Filiale in Köln.*